Termin

Hans Winkler (1919-2000). Malerei

Ausstellung 25.07.2009–03.09.2009

Galerie Profil, Weimar, Deutschland

Eine Ausstellung zu Ehren des 90. Geburtstages des Künstlers.

Prof. Dr. Kai Uwe Schierz (zur Eröffnung)

Es gibt Bilder, die scheinen ganz sich selbst zu genügen. Ein Farbfleck antwortet dem anderen, Flächen und Körper balancieren miteinander, Liniaturen spannen Seile über diffuse Abgründe, an der einen Stelle wirkt das Flüssige und lässt die Farbe verlaufen, dann wieder stockt der Malfluss, wird pastos und schwer, zarte Strichlagen mit der Tuschefeder errichten ein Gerüst, das leicht wirkt und doch dicke Tuscheflächen abzustützen vermag – und so weiter und so fort. Man steht vor dieser Art von Bildern und lässt sich von ihnen Geschichten erzählen. Das kann dauern und man merkt kaum, wie beim Schauen und Empfinden die Zeit vergeht.

Oft werden derartige Bilder mit dem Attribut „abstrakt“ versehen, wobei eine solche Bezeichnung nur zu leicht verdeckt, wie konkret und beziehungsreich sie ihre kleinen und großen Geschichten, ihr intimes Geflüster, ihre offenherzige Beredsamkeit oder ihre horizontsprengende gestische Wucht vor unseren Augen zum Besten geben. Den besten dieser Bilder merkt man gar nicht an, dass sie einer bildnerischen Kalkulation und materialsicheren Kennerschaft entsprungen sind. Vielmehr entfalten sie ihre visuellen Attraktionen wie nebenbei, ganz selbstverständlich, so dass ihr Gelingen als Bildwerke uns Betrachtern Mut gibt, auch das Gelingen des Lebens, wie wir es erfahren, für möglich zu halten.

Hans Winkler, der am 18. August 09 neunzig Jahre alt geworden wäre, hat viele derartige Bilder gemalt. Dass sie sich scheinbar selbst genügen – im Sinne eines lebendigen Gesprächs ihrer Formen und Farbigkeit, dem wir nur zu lauschen brauchen – heißt jedoch nicht, dass sie alle ihre Zwecke nur in sich hätten. Der Künstler hat dazu einmal geschrieben, Kunst sei der ohnmächtige Versuch, wohltuend in die Geschichte einzugreifen und jeder Künstler brauche soviel Naivität, dass er an die Nutzlosigkeit seiner Versuche nicht ganz glaube.

Was meinte er mit „wohltuend in die Geschichte eingreifen“? Sicher nicht, dass die Kunst als Waffe zu gebrauchen sei, im Sinne einer propagandistischen Argumentations- und Überzeugungsfunktion, wie es als ideologisch begründetes Ideal lange Zeit in der DDR gültig war. Das Eingreifen, wie es Künstler wie Gerhard Altenbourg oder Kurt Streubel oder Hans Winkler verstanden, hatte etwas mit der Schulung von Sensibilität zu tun, mit der Fähigkeit zur Wahrnehmung feiner Unterschiede, der Ausbildung einer subjektiven Souveränität gegenüber den eigenen Erfahrungen im schon genannten Sinne: Das sichtbar Gelingende im Kunstwerk, das heißt, die stimmige Balance all seiner diversen Elemente, der stabilen und der labilen, man könnte auch sagen: ihre Musikalität, verleiht uns Mut, dergleichen Gelingen auch im real gelebten Leben mit all seinen Facetten – den stillen und den lauten Momenten, den kleinen und großen Widrigkeiten, den verhaltenen und den großen Emotionen – für möglich zu halten. Die spezielle Ordnung der Kunst als Lebenssinnverheißung.

Nicht weniger verband Hans Winkler mit der Kunst, mit seinem eigenen künstlerischen Tun. Seine Lebenszeit als Künstler bescherte ihm Anerkennung, ganz am Anfang und dann wieder im schon reifen Alter, aber noch mehr die kleinen und großen Widrigkeiten, persönliche Anfeindungen und Materialmangel. Wenn wir heute jedoch auf dieses umfangreiche und künstlerisch reiche Werk zurückschauen, auf die Experimentierlust, die sich in der Vielgestaltigkeit dieses Werkes abbildet, dann mag man kaum glauben, dass Hans Winkler nicht selten an den Verhältnissen gelitten hat, dass für ihn nach eigner Auskunft das Zeichnen und Malen oft bedeutete, seiner Bedrückung Form zu geben. Und ich finde, das ist gut so. Denn genau diese Überraschung angesichts der leuchtenden Farben, die scheinbar spielerisch zur Form finden, angesichts der Lockerheit und Selbstverständlichkeit, mit der hier feinste bildnerische Nuancen ausgelotet werden, lyrische Gespinste gewoben oder kräftige Rohrfederstriche gesetzt, ist der beste Beweis für das, was ihm als wohltuende Wirkung der Kunst in der Geschichte vorschwebte, obwohl er an diesem großen, emanzipatorischen Anspruch selbst zweifelte.

Hans Winkler hat Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre seine entscheidenden künstlerischen Prägungen erfahren, die sein Schaffen ein Leben lang bestimmen sollten. Die Formenwelten Kandinskys und Klees lebten nach, vor allem die von ihnen auf je unterschiedliche Weise bedachte und gelebte Wechselbeziehung zwischen Musik und Bildnerei. Werner Gilles stand für die spezifisch deutsche Rezeption des französischen Surrealismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit, und das westeuropäische Informel vermittelte die Möglichkeit, in großer Unabhängigkeit von ideologisch motivierten Indienstnahmen die Kunst zu einem Seismographen auszubilden, der die inneren, subjektiven Erregungen ihrer Schöpfer in die Sichtbarkeit hob. Zugleich richtete das Informel seinen Fokus auf die konkreten Ausdruckswerte der bildnerischen Materie. Damit wurden Formprinzipien etwa in der Art bestimmend, wie sie Karl Otto Götz beschrieb: „Keine fest umrissenen Formen oder Förmchen malen, sondern die jeweilige Malmaterie so bearbeiten, dass es nur noch Passagen, Strukturen, Texturen, Farbflüsse oder Verflechtungen von Mal- und Zeichenstrukturen gibt.“

Hans Winkler vertraute über weite Strecken seiner visuellen Intuition mehr als den Regeln der Konstruktion und der klassischen Komposition. Wie die Surrealisten forderte er – zur Stimulierung der eigenen kreativen Potenziale – immer wieder den Zufall heraus, arbeitete mit Techniken wie Monotypie oder Grattage. Ganz in diesem Sinne vermerkt er im Juni 1978 in seinem Tagebuch eine wichtige Selbsterkenntnis, die zugleich sein künstlerisches Credo enthält, nämlich dass er „mit jedem neuen Bild einen Sprung ins Ungewisse wage, und die dadurch nötige Rettungsaktion stellt die eigentliche künstlerische Bemühung dar.“ Er ließ die Farben fließen und ins Papier diffundieren, wusch die Farbe zum Teil wieder ab, nur um sich von den verbliebenen Spuren zu neuen bildnerischen Reaktionen anregen zu lassen, und das oftmals in vielen Arbeitsgängen. So baute jede Setzung auf der vorhergehenden auf. Dieses Weiterentwickeln einer ersten, aus den Eigenheiten der bildnerischen Mittel generierten oder spontanen Eingebungen entsprungenen Spur zu immer komplexeren Gebilden führt beim Betrachter zu dem eingangs beschriebenen Eindruck, die in den Werken sichtbaren Spuren, Richtungsbeziehungen, Strukturen könnten sich selbst genügen, weil sie sich so offensichtlich aufeinander beziehen. Sie scheinen nicht mehr mit äußeren Geschichten zu interagieren, sondern sich ihre ganz eigenen Geschichten zu erzählen. Dieser Aspekt gegenstandsloser Bildnerei kann durchaus als eine Form der Freiheit und Unabhängigkeit erlebt werden. Noch in der gesellschaftlichen Isolation hat Hans Winkler diese Freiheit und Unabhängigkeit gelebt.

Die kleine Ausstellung hier in der Galerie Profil zeigt eine Werkauswahl aus der ganzen Spanne des Schaffens von Hans Winkler – von den frühen Tuschezeichnungen, geschaffen in den Jahren 1949 und 1950, die selbst in der figürlichen Formulierung bestimmter Themen eine bemerkenswerte bildnerische Souveränität entwickeln, über die wunderbar lockeren Monotypien aus dem Jahr 1958, die farblich reichen wie gestisch bewegten Tusche- und Aquarellblätter aus der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, denen die Zweiphasenbilder aus jener Zeit, ausgeführt in einer Mischtechnik aus Gouache und industriell gefertigter Latexfarbe auf Fahnentuch oder Leinen, kontrapunktisch antworten. Sie entstanden aus der Überarbeitung älterer Werke, wobei hier das Spontane und Fließende des ersten Zustands durch eine pointilistisch vorgetragene geometrische Schicht gebändigt wird. Den Abschluss bilden nonfigurative Hinterglasbilder aus den frühen 1990er Jahren, als Hans Winkler und sein Schaffen mit dem Weimar-Preis eine späte Würdigung erfahren durfte.

Selbst diese kleine Auswahl führt uns das weite Feld vor, das Hans Winkler mit großer Beharrlichkeit und wahrer gärtnerischer Leidenschaft ein Leben lang bestellt hat. Diese Arbeit, die für ihn eigentlich das Leben war, das eigentliche Leben, hat an vielen Stellen Früchte hervorgebracht, die offenbar ohne Verfallsdatum sind, so dass wir sie noch heute in ihrer ganzen Frische genießen können. Das grenzt an ein Wunder und ist doch nur Kunst, wenn auch eine wunderbare.

Kai Uwe Schierz


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