Termin

Madeleine Heublein "Zuflucht"

Ausstellung 12.02.2011–02.04.2011

Galerie Profil, Weimar

Arbeiten auf Leinwand und Papier

Vorzugsgraphik "Nest" - Radierung, Auflage 20 Exemplare (siehe www.galerie-profil.de)

Die Ausstellung vereint Arbeiten aus dem aktuellen Schaffen zum Thema Nest, Joch, Figur. Es liegt ebenfalls der neue Katalog bereit - auch mit Vorzugsgraphik "Joch" - Radierung, Auflage 20 Exemplare, sign. 

Zuflucht          Text von Ute Ackermann

„Zuflucht“ nennt Madeleine Heublein ihre neue Ausstellung in der Galerie Profil. Was wir sehen, scheint diesem Titel jedoch eher zu widersprechen: nichts Heimeliges, kein warmes Dach, keine Geborgenheit.
Stattdessen sehen wir gesichtslose Gestalten, verharrend, schlafend vielleicht, in erschöpfter Pose, „Am Gletscher“ in verwundener Haltung ruhend, in morgenkühler Farbigkeit überfrorene Kokons aus Binden und Bändern. Es ist nicht erkennbar, ob man einem kostbaren, prähistorischen oder grausamen Fund vor sich hat oder als voyeuristischer Zeuge die Intimität eines tiefen Schlafes beobachtet.
Madeleine Heubleins Arbeiten leben von der Widersprüchlichkeit und der Ambiguität ihrer Lesarten.
Was wir sehen, sind immer wir selber. Wir können nur durch die eigenen Fenster schauen und unser Spiegelbild erkennen. Missverstehen kann man Madeleine Heubleins Bilder schon deshalb kaum. Sie verleiten vielmehr dazu, über den eigenen Kosmos nachzudenken.
„Zufluchtnahme“ nennt man im Buddhismus das Bekenntnis zu Buddha, seinen Lehren und der spirituellen Gemeinschaft. Zuflucht nehmen bedeutet in diesem Sinne nichts Religiöses, sondern das Wissen um das Leiden, seine Heilung durch die Erkenntnis der Unabänderlichkeit und die Aufgabe des Widerstandes dagegen.
„Mache zunächst eine tiefgründige Untersuchung“, empfiehlt der Buddha einem Mann namens Upali, der wissen will, wie man wohl Weisheit erlernen kann. Diese Untersuchung braucht Zeit und sie vollzieht sich in der Stille und für jeden in der Konfrontation mit sich allein. Von nichts überzeugt zu sein, sondern zu betrachten, ist hier der Schlüssel. Von allem Außen abgeschieden, blickt man nach innen um zu begreifen und zu wachsen. Oder man lässt eine buchstäblich allzu verwickelte, gefesselte und deformierte Hülle und in der Kälte des Gletschers und der Unbeweglichkeit hinter sich.
Um auf die eingangs erwähnte Frage nach der Heimeligkeit zurückzukommen: Die Werkgruppe der hier ausgestellten „Nester“ bietet sie auch nicht. Damit schließt sich auch eine Anspielung auf ein häufig gebrauchtes Schimpfwort für diese Stadt aus. Es wäre ja zu schön gewesen, Herrn von Seckendorff zu zitieren, der schrieb:
„Du kannst Dir keine Vorstellung von Weimar machen, das wie ein Nest aussieht und die Hauptstadt spielen will. (...) Alles ist hier entsetzlich teuer (...) Das Nest liefert durchaus nichts. Alles muss man von auswärts kommen lassen.“ (Zitiert nach: Konrad Kratzsch: Klatschnest Weimar. Würzburg 2009, S. 13)
Die Themen Nest-Arbeiten können sehr gut durch die Etymologie des Wortes umrissen werden. Das indogermanische Urwort ni-zd-o bezeichnet einen Ort, an dem jemand nieder sitzt oder nistet; „Nest“ hängt zusammen mit dem ebenfalls indogermanischen nas: wohnen; nah-sta: binden, knüpfen schnüren und dem althochdeutschen: nesan: genesen, heil davonkommen.
Madeleine Heubleins „Nester“ sind unbewohnt und ihrer Funktion als Heimstatt beraubt – die Vögel allesamt ausgeflogen – bestenfalls und nun treiben die ehemaligen Brutstätten als fragile Gebilde in unterschiedlichen Phasen der Auflösung durch kühle Farbräume. Ohne ihre Bewohner können sie zum Thema Zuflucht nur noch als sentimentale Rudimente aussagen. Doch als ästhetische Objekte werden sie für die Künstlerin nun doppelt attraktiv.
Wie schon bei der Serie der „Liktorenbündel“ interessiert sich Madeleine Heublein für struppige, spröde Strukturen. Verbargen die römischen Liktoren in den Bündeln das Richtschwert, umschließen die „Nester“ als organisiertes Chaos einen Hohlraum. Sie definieren die räumliche Dimension einer Leere – eines Nichts –, das ohne seine Begrenzung nicht existieren kann. Madeleine Heublein widmet sich mit ihren „Nestern“ dem Entstehen von Ordnung aus einem disparaten Wirrwarr und ihrer erneuten Auflösung. Das Nest als Sinnbild für Geborgenheit ist nur für kurze Dauer sicher und fest. Es entflicht sich und zerfällt, wenn es nicht mehr bewohnt wird und wird nur bei Bedarf neu organisiert. Die „Nest-Serie“ übersetzt den Prozess dieser Wandlung unsentimental in Farbe und Form.
In ihrem Text zur Arbeit „Joch“ 2010 beschreibt die Künstlerin die Last, die einen jeden drückt und die körperlich empfunden wird. Sie spricht auch von den Versuchen, sich davon zu befreien. Mittelchen und Übungen müssen so lange wirkungslos bleiben, wie sie sich nur den Folgen zuwenden. Bis wir endlich aufhören, zu zerren und zu stemmen, werden wir in Unbeweglichkeit gefangen bleiben. Joch ist allemal etwas Unangenehmes.
Das Neue Testament belehrt uns mit den Worten: Matthäus Kap. 11, Vers 28-30:
„Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Matthäus Kap. 11, Vers 28-30.)
Doch wer wollte das wirklich und könnte ehrlichen Herzens von sich sagen, dass er seinen Eigensinn aufgegeben habe und mit dem untersten Platz zufrieden wäre. Da regt sich aller Widerstand und jeder Muskel wird hart. In der Empörung über die Zumutung der Demut pfeift man im Allgemeinen auf die versprochene Leichtigkeit und Seelenruhe und wählt den Gang zur Apotheke oder zum Yogalehrer seines Vertrauens. Im Grunde ist das sogar der richtige Weg, gehen doch die Worte Joch und Yoga auf eine gemeinsame indogermanische Wurzel zurück.
Streng gefasst bezeichnet es die kräfteverteilende Verbindung zwischen zwei Extremen. Zwischen Anspannung und Erschlaffung liegt jener Punkt der höchsten Gelassenheit, der das Spiel mit den Kräften erlaubt. Eine indische Schelmengeschichte schildert es als schlauen Trick, eine Kuh und ein Kamel, die einander nicht ausstehen können, vor einen Pflug zu spannen. Jeder will führen und zerrt in seine Richtung und der Bauer am Spannungspunkt der beiden starrhalsigen Viecher braucht nur noch entspannt zu lenken.
Madeleine Heublein schreibt: „Irgendwann bleibt jeder stehen. Um abzulegen, was ihn schmerzt, was ihm tiefe Wunden zufügt. (…) Wir fassen uns an die Schulter. Wir beugen uns nach vorne. Aber da ist nichts, das fällt. Wir haben zu lernen. Die Last die uns drückt, das sind wir selbst.“

Ute Ackermann
Kunstwissenschaftlerin Weimar

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