Termin

Ruth Tesmar "Dein Lied ist drehend wie das Sterngebilde..." J.W.v.Goethe West-östlicher Divan

Ausstellung 22.08.2013, 20:00 Uhr–10.10.2013

Weimar, Weimar, D

Veranstalter: Galerie Profil Weimar

Gaben der Liebe oder die Auferstehung des Briefes im Bild


Ruth Tesmar hat für ihre Ausstellung das Motto „Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe“ gewählt. Es ist dem Gedicht Unbegrenzt entnommen und dem persischen Dichter Hafis gewidmet. Dessen Gedichte las Goethe im Sommer 1814 - also vor knapp 200 Jahren - in dem kleinen Ort Berka bei Weimar. Sie lösten in ihm einen wahren Schaffensrausch aus. Am Ende standen weit über 100 Lieder und Sprüche, zu denen so berühmte Gedichte wie Selige Sehnsucht und Gingo Biloba zählen. Hafis wurde für Goethe zu einem 'Zwillingsbruder', mit dem er in einen edlen 'Dichterwettstreit' trat, nicht um seinen 'Vorgänger zu übertreffen, sondern um zu der lange verschütteten „Dichterquelle“ seiner Jugendzeit zurückzukehren, die sich in einem imaginären Reich der Poesie jenseits aller Zeiten und Völker befindet.

Die Beschäftigung mit Hafis wird zu einer Reise in ein bekanntes und zugleich unbekanntes Land. An Knebel schreibt er am 11. Januar 1815: „So habe ich mich die Zeit her meist im Orient aufgehalten, wo denn freilich eine reiche Ernte zu finden ist.“ Der Orient ist für Goethe ein riesiges Gebiet voller ungehobener Schätze und Kostbarkeiten, er umfasst China, Japan und Persien ebenso wie das Land des sagenhaften Eroberers Timur – das heutige Usbekistan mit seinen prächtigen Städten Samarkand und Buchara - aber auch das alte Palästina. In einem Brief an Schlosser am 23. Januar 1815 schreibt er: „China und Japan hatte ich vor einem Jahr fleißig durchreist und mich mit jenem Riesenstaat ziemlich bekannt gemacht. Nun will ich mich innerhalb der Grenzlinien der Eroberungen Timurs halten, weil ich dadurch an einem abermaligen Besuch im jungenlieben Palästina nicht gehindert werde.“ Es sind Reisen im Kopf und Wanderungen durch Bücher, auf denen sich Goethe eine neue Welt erschließt. Dabei ist er vor allem von der Sprache fasziniert. Im bereits angeführten Brief an Schlosser heißt es: „Wenig fehlt, daß ich noch Arabisch lerne, wenigstens soviel will ich mich in den Schreibezügen üben, daß ich die Amulette, Talismane, Abraxas und Siegel in der Urschrift nachbilden kann. In keiner Sprache ist vielleicht Geist, Wort und Schrift so uranfänglich zusammengekörpert.“

Im Morgenblatt von 1816 kündigte Goethe seine Liedersammlung mit folgendem Titel an „West-Östlicher Divan oder Versammlung Deutscher Gedichte in stetem Bezug auf den Orient“ (268). Die Druckfassung von 1819 wurde zunächst wenig beachtet und kaum verstanden, obgleich Goethe ihr ausführliche „Noten und Abhandlungen“ beifügte, die zeigen, wie wichtig ihm das Werk war. Erst im 20. Jahrhundert hat die Sammlung Anerkennung gefunden. Inzwischen ist der Divan mit seiner Botschaft, dass Orient und Okzident nicht „zu trennen“ seien und die Liebe als verbindendes Band zwischen den Menschen das eigentliche „Thema“ der Sammlung sei, zu einem bevorzugten Gegenstand in gegenwärtigen Orientalismus- und Liebesdiskursen geworden.

Wie eng beide Diskurse zusammengehören, zeigen die Arbeiten von Ruth Tesmar, die sich der Liedersammlung von Goethe über die „Schreibezüge“ nähert und die 'Sprache der Liebe', von der Julia Kristeva gesprochen hat, vor allem als 'Schriftverkehr', als Austauch von Briefen und Liebesgaben, ins Bild setzt. Mit den vierzig Arbeiten, die Ruth Tesmar für die Ausstellung ausgewählt hat, knüpft sie an frühere Arbeiten wie z.B. ihre skriptoralen Installationen und Buchillustrationen an, für die sie mehrfach ausgezeichnet worden ist. Vor allem Vergleiche zu den Briefen an Leibniz oder zu der Bildfolge Itinera litterarum. Auf Schreibwegen mit Wilhelm von Humboldt drängen sich auf und zeigen, dass die Handschrift und der Brief als inzwischen unzeitgemäss gewordene Formen der Kommunikation bei Ruth Tesmar schon seit langer Zeit im Mittelpunkt ihres Schaffens stehen.


In ihrem aktuellen Divan-Zyklus, an dem sie zweiundhalb Jahre gearbeitet hat, gibt sie dem Brief als Medium eine ganz neue, aufregende Materialität, wenn sie kostbare, z.T. eingefärbte Büttenpapiere im alten Briefformat in traditioneller Weise faltet, aufklappt, schließt und versiegelt, aus Briefen und Umschlägen Häuser, Pavillons, Schreine, Schatullen und Liebestempel baut, das Postamt als Sammel- und Verschickungsstelle von Briefen spielerisch in ein Bild einmontiert oder der „Magie des Wortes“ - um auf einen Text des von Ruth Tesmar geschätzten Pawel Florenski zu verweisen - in verschlungenen Linien und zaubrischer Farbigkeit in ihren eigenen 'Schreibezügen' nachspürt. Alle Arbeiten sind Unikate. Dabei mischen sich eigene und fremde Texte in bedeutsamer, manchmal ironischer Weise.

Es geht Tesmar nicht um eine Illustration einzelner Gedichte, sondern um den 'Ton' und die 'Stimmung' der Lieder. So ist es wohl auch nicht zufällig, dass sich als 'Unterlagen' z.T. alte Notenblätter finden, die auf den Liedcharakter des Divans anspielen, mit ihren Linien und Punkten zugleich aber auf Grundformen der Schrift und des Schreibens verweisen. Der Punkt – durchaus im Sinne des punctum von Roland Barthes zu verstehen – wird zum geheimen Bezugspunkt eines Schreib- und Malprojektes, in dem sich die Schriftkünstlerin und die Bildkünstlerin Ruth Tesmar begegnen und sich Verbindungslinien zu Dichtern und Malern der Vergangenheit und Gegenwart ergeben, zu Novalis, Rilke, Klee, Marc, Lasker-Schüler, Höch aber auch zu Bruno Schulz und H.C. Artmann, nicht zu vergessen zum Hohen Lied, das als gemeinsamer Subtext von Goethes Liebesgedichten und Tesmars Schriftbildern erkennbar wird.

Wichtig sind nicht nur die Formen und Farben, sondern auch die Rahmungen und Formate, die Tesmar für ihre Arbeiten wählt. Neben vierundzwanzig kleineren Kästen im Format 60x50 stehen zehn großformatige Arbeiten, die Titel wie „Abendlied“, „Morgengabe“, „Memorial“, „Requiem“ oder „Vermächtnis“ tragen und dem längst totgesagten Brief zu einem beeindruckenden Auftritt verhelfen. Bei den letzten fünf Blättern handelt es sich um kleine sogenannte Briefhäuser, in denen Tesmar sich vom Papier und dem Umschlag als Ausgangsmaterialien anregen läßt und die Goethe Äußerung, dass der Brief wie ein „Fächer“ (25) sei, spielerisch aufgreift.

Die Arbeiten bestehen aber nicht nur aus Schrift, Texten und Noten, sie enthalten auch gepresste Blumen und Blätter, Flügel von Schmetterlingen, aufgespießte Eintagsfliegen, Federn von Vögeln kunstvoll hergestelle und verfremdete Stoffdrucke sowie Fingerabdrücke, die auf pflanzliches, tierisches und menschliches Leben verweisen und mit den erotischen Assoziationen spielen, welche die Erinnerungsgegenstände auslösen Dabei entwickeln die verschiedenen Materialien auf dem Blatt durchaus ein Eigenleben.

Als ich am 27. Mai dieses Jahres im Menzel-Dach zu Berlin erstmals die Arbeiten von Ruth Tesmar sehen konnte, bot sich mir ein verwirrendes Bild von ausgebreiteten, sich überlagernden Gegenständen, Briefblättern, Farbkästen, Notizen, Büchern und Textauszügen. Alles war noch im Entstehen. Auf meine Frage, welche Werke denn schon fertig seien, erhielt ich die Antwort: „Ich muß das noch beobachten.“ Wie schade, dass sich dieser Schaffensprozeß als eine ganz eigene Form der neugierigen und liebevollen Beobachtung der Zusammenstellung unterschiedlicher Materialien der Dokumentation en detail entzieht. Am Ende steht das Werk. Aber diesem ist der Entstehungsprozeß noch anzumerken: Das Papier wird zum Schauplatz einer innigen Zwiesprache zwischen der Schrift und den Dingen. Es ergibt sich eine eigentümliche Spannung zwischen den beschriebenen und bedruckten Bütten- oder Notenblättern als 'Untergrund' und den darüber gelegten abstrakten Papiercollagen oder den farbintensiven Aquarellierungen, in denen orientalische Landschaften mehr zu erahnen als zu erkennen sind. Es entstehen 'Rätselbilder' – Goethe spricht in seinem Divan vom „Wortbild“ und „Geheimer Chiffern Sendung“ – die nach Auflösung drängen. „Erklär mir Liebe“ wird Ingeborg Bachmann später sagen.

Bei Goethe wie bei Tesmar geht es um Liebe, genauer um den Liebesbrief, der zwischen den Liebenden zirkuliert und von dem Traum eines „lebendig Wesen“ kündet, das - wie das Blatt des Ginko Biloba - „eins und doppelt“ ist. „Alles ist Blatt“ heißt eine Arbeit des Zyklus, in der Tesmar eigene Texte über die altmodische Gewohnheit von Liebenden, ihren Briefen gepresste Blumen und Blätter oder auch abgeschnittene Locken als Gaben beizulegen, mit historischen Notenblättern unterlegt und mit Blütenblättern zu einem Schriftblatt collagiert, das wie ein kostbares Geschenk an uns Nachgeborene wirkt. Die Adressaten dieses Geschenks sind wir als Betrachtende und Lesende, die den Sinn zu entschlüsseln und auf uns zu beziehen suchen. Goethe spricht in seinem Divan davon, dass es sich bei der Liebe um „eine freiwillige Gabe“ handele, und es nicht einfach sei, die „geheime Doppelschrift“ zu entziffern.

Marianne Willemer, die ursprüngliche Adressatin der Liebesgedichte konnte die „Geheimschrift“ nicht nur entziffern, sie konnte darauf auch kongenial mit eigenen Gedichten antworten, die anonym in den Divan eingegangen sind. Von ihr stammen auch die sogenannten Chiffre-Gedichte. Sie bestehen aus einer knappen Zahlenfolge, die nur dem verständlichlich ist, der sie - wie Goethe – als Hinweise auf Seiten und Zeilen von Divan-Gedichten auflösen konnte. Für ihn war es kein Problem den Angaben I 404, 19-20 die Nachricht zu entnehmen, die da lautete:“ Lange hat mir der Freund schon keine Botschaft gesendet / Lange hat er mir Brief, Wort und Gruß nicht gesendet“. Goethe antwortete darauf mit dem Abschiedsgedicht Und warum sendet, in dem sich die Zeilen finden:

Nicht mehr auf Seidenblatt
Schreib' ich symmetrische Reime;
Nicht mehr fass' ich sie
In goldne Ranken;
Dem Staub, dem beweglichen, eingezeichnet
überweht sie der Wind, aber die Kraft besteht,
Bis zum Mittelpunkt der Erde
Dem Boden angebannt.
Und der Wanderer wird kommen,
Der Liebende. Betritt er
Diese Stelle, ihm zuckt's
Durch alle Glieder.
„Hier! Vor mir liebte der Liebende.
(….)
Er liebte! Ich liebe wie er,
Ich ahnd' ihn!“

Ruth Tesmar ist eine solche Wanderin, die die Liebesbotschaft aufgenommen und verstanden hat. In der Arbeit „Kaleidoskop“ findet sich die selbstironische handschriftliche Notiz „Heute am 22. Juli 2013 in Schwerin habe ich den DIVAN verstanden. Das Rätsel ist ...“ Es bleibt Ihnen überlassen, sich heute am 22. August 2013 auf Ihre eigene Seh-und Entdeckungfahrt mit den Bildern von Ruth Tesmar zu begeben.

Inge Stephan, 22. August 2013 in Weimar


 

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