Ausstellungsbesprechungen

1933 – 45 — Verfolgt, verfemt, entartet. Werke aus der Sammlung im Willy-Brandt-Haus Berlin, Kulturforum Burgkloster Lübeck, bis 28. August 2011

Im Anschluss an eine vielbesuchte Chagall-Ausstellung präsentiert das Kulturforum Burgkloster in Lübeck Werke verfemter und verfolgter Maler der zwanziger und dreißiger Jahre, und auch diese Ausstellung hat alle Chancen, ein Publikumsrenner zu werden. Die Bilder geben einen schönen Überblick über die Zeit zwischen den Kriegen und während des Nationalsozialismus,und es finden sich auch einige Überraschungen aus der Hand berühmter Künstler. Stefan Diebitz hat sich die Präsentation angesehen.

Es sind immerhin 103 Bilder von fünfundachtzig Künstlern, die in verschiedenen Räumen des alten Klostergebäudes gleich hinter dem Burgtor gezeigt werden, und wenn auch nicht ausnahmslos alle Arbeiten wirklich hochwertig sind, so finden sich doch einige Perlen und bekommt der Besucher zudem einen sehr intensiven Eindruck von der Epoche und einem Teil ihrer Kunst. — Nur von einem Teil, denn es sind natürlich meist die kritischen, politisch mehr oder weniger weit links stehenden Künstler, die von dem Nationalsozialismus in der berüchtigten Ausstellung von 1937 und auch sonst verfemt wurden, und so sind sehr viele Bilder direkt und oft plakativ politisch und dazu in ihrer Aussage anklagend oder aggressiv. Meist handelt es sich um Plakate, um Holzschnitte oder um politische Karikaturen, auf denen immer wieder der dicke Kapitalist mit dem Zigarrenstumpen im Mund auftaucht – wie die hungernde Mutter mit dem großäugigen Kind oder dem Arbeiter mit Schirmmütze eine stehende Figur. John Heartfield ist für diese Tendenz typisch, oder George Grosz, von dem unter anderem »Der Kapitalist« gezeigt wird, eine Federzeichnung.

Viele Arbeiten sind in ihrer Bildaussage plakativ, und das korrespondiert mit den künstlerischen Techniken, dem Holzschnitt oder dem Druck. In jedem Fall dominiert die Linie über das Malerische. Abstrakte Arbeiten finden sich nur verschwindend wenige, aber es gibt doch einige Bilder, in denen sich die Künstler von einem agitatorischen Stil erfolgreich lösten. Besonders schön ist etwa ein frühes und natürlich abstraktes Ölbild Willi Baumeisters (1889 – 1955), in dem sich bereits die Nachkriegskunst ankündigt, oder der kryptische Holzschnitt »Hertwig gewidmet« von Johannes Molzahn (1892 – 1965), dessen komplizierte, auf den ersten Blick ganz undurchschaubare Strukturen zu einer intensiven Beschäftigung herausfordern. Ein anderes Bild, für das man sich ganz unbedingt mehr Zeit nehmen sollte, ist das Bildnis eines Kopfes von Paul Goesch (1885 – 1940), einem halbvergessenen, aber wirklich bedeutenden Künstler, der als psychisch Kranker den Euthanasiegesetzen zum Opfer fiel. Das Bild zeigt zwei Prozessionen in einem Kopf, und man kann es deshalb waagerecht wie senkrecht betrachten.

Das vielleicht überraschendste Bild der Ausstellung ist ein Aquarell von Otto Dix, »Nebel am Abend«, das viel malerischer daherkommt als andere Bilder dieses Malers. Es zeigt eine abendliche Szene mit Passanten unter einer Gaslaterrne, und das Untypische dieses Bildes besteht darin, dass sich alles Harte und streng Sachliche, das sonst das Werk dieses Künstlers dominiert, zu Gunsten einer städtischen Abendstimmung zurückgedrängt findet. Das beeindruckendste und nachhaltigste Werk ist für mich »Erwerbslos« von Käte Kollwitz, ein Holzschnitt von 1925, in dem die Gesichter auf eine ganz unnachahmliche Weise auf bloßen Ausdruck hin reduziert sind; es überlief mich kalt, als ich dem kleinen Kind – dem linken von drei Figuren – in die Augen schaute, denn in diese Augen war der nackte Hunger geschrieben.

Es gelingt der Ausstellung vorzüglich, den Charakter der Kunst der zwanziger und noch eines Teils der dreißiger Jahre einzufangen. Aber so schön und beeindruckend viele Arbeiten auch sind, in ihrer geballten und konzentrierten Masse erwecken sie den Eindruck einer künstlerischen Sackgasse, und es scheint deshalb ganz logisch, dass das Pendel in der frühen Bundesrepublik zur Gegenseite hin ausschlug, hin zur abstrakten Kunst.

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