Ausstellungsbesprechungen

Hectorpreis 2015 – Alicja Kwade, Kunsthalle Mannheim, bis 6. September 2015

Die Kunsthalle Mannheim und die Hector Stiftung vergeben seit 1997 im dreijährigen Rhythmus den Hectorpreis für junge Kunst in Deutschland im Bereich der Bildhauerei, Objektkunst und Rauminstallation. Bis zum 6. September zeigt die Kunsthalle Arbeiten der diesjährigen Preisträgerin Alicja Kwade. Marco Hompes hat sich dort bereits umgeschaut.

Eine besondere Tücke der deutschen Sprache ist der Unterschied zwischen »Dasselbe« und »das Gleiche«. Dabei ist die Unterscheidung gar nicht so schwierig: Würden beispielsweise zwei Schauspielerinnen bei den Oscar-Verleihungen das gleiche Kleid tragen, dann wäre dies für beide eher unangenehm. Dasselbe Kleid zu tragen würde hingegen bedeuten, dass beide gemeinsam in einem einzigen Kleid stecken würden. Das wäre dann kein unangenehmer Zufall mehr, sondern eher eine komische Performance.

Was im Prinzip eine simple Unterscheidung ist, wird in Anbetracht einiger Werke Alicja Kwades hingegen zum wahren Denksport. In der Kunsthalle Mannheim kann man sich in einer aktuellen Sonderausstellung im Zusammenhang mit der Verleihung des »hectorpreises 2015« an die Künstlerin, dieser und anderen Aufgabe stellen.

Gleich im ersten Raum der Ausstellung werden die Besucher und Besucherinnen auf die Probe gestellt. Dort hängen nämlich zwei Fotografien, die auf den ersten entfernten Blick dasselbe Motiv zeigen. Zu sehen ist darauf eine junge blonde Frau im verlorenen Profil. Eines der Bilder wurde jedoch gespiegelt, was die Frage aufwirft, ob es denn nun noch das gleiche Bild ist oder nicht. Auf einen zweiten, genaueren Blick wird dann klar, dass auch das Ausgangsmotiv nicht dasselbe ist. Es lassen sich einige wenige Unterschiede festmachen. Es muss also zwei Originale geben. Bei einem wurde die Frau von links fotografiert, bei dem anderen dieselbe Frau von rechts. Durch den bereitgestellten Werktext wird man nun eines Besseren belehrt. Auch bei den Abgelichteten handelt es sich um zwei unterschiedliche Personen. Ein Foto zeigt die Künstlerin, das andere ein Modell in einem Magazin. Gibt es nun also zwei Originale? Ein Original und seine Kopie? Oder sollte man lieber von einer Imitation sprechen? Was wäre, wenn die Besucherinnen und Besucher keinen Informationstext hätten? Wirklich sehen kann man den Unterschied in der Arbeit »Ich ist eine Andere« von 2001 nur schwer. Unser Wissen um Realität und Fiktion, so kann man folgern, hängt im Wesentlich auch durch die vorhandenen Informationen ab. Es wird klar, wie endlich das sprachliche Vermögen ist und wie schnell die menschliche Wahrnehmung in die Irre geführt werden kann.

Das, was sich auf den ersten Blick als Dasselbe präsentierte, ist am Ende nicht einmal mehr das Gleiche. Walter Benjamin hätte sicherlich seine Freude daran gehabt, seinen Aufsatz über »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« hinsichtlich Kwades Arbeiten zu überdenken. Schließlich benötigt eine perfekte Kopie oftmals mehr Arbeit als das Original. Und trotz aller Mühen kann eine Replik niemals völlig identisch mit dem Vorbild sein. Das beste Beispiel hierfür ist die ausgestellte Arbeit »Nissan (Parallelwelt 1 + 2)« von 2009, bei der zwei Nissan Micra (Baujahr 1995) nebeneinander präsentiert werden. Eines der Autos gehörte dem Freund der Künstlerin. Bei dem anderen handelt es sich zwar um das gleiche Modell, jedoch wurde dieses für den englischen Markt produziert. Demnach ist das Lenkrad einmal auf der rechten, einmal auf der linken Seite. Die Macken, Risse und Dellen des deutschen Autos übertrug die Bildhauerin spiegelverkehrt auf das englische Pendant. Ist das deutsche Modell nun ein Ready-Made und das englische ein künstlerisch bearbeitetes Objet trouvé? Da kann einem ganz schnell der Kopf rauchen. Glücklicherweise kommen die Arbeiten niemals spröde daher, sondern sind ästhetisch poliert und in ihrer manchmal minimalen Ästhetik überaus einnehmend.

Dies gilt auch für das sogenannte »Selbstporträt« von 2005. Zu sehen ist ein Schaukasten, in dem 22 Ampullen, befüllt mit den Elementen des menschlichen Körpers, montiert sind. Von dem nicht sichtbaren Sauerstoff bis zum glänzenden Kupfer sind die wichtigsten chemischen Bestandteile des Menschen aufgeführt. Das mag vielleicht sehr nüchtern klingen, ist letztlich aber doch inhaltlich wunderbar tiefgründig.

Im gleichen Raum funkeln auf dem Boden zahlreiche Edelsteine, die sich bei näherer Betrachtung als gar nicht so edel entpuppen. Es sind lediglich Steine, welche die Künstlerin auf den Straßen Berlins sammelte. Im Prinzip sind sie also recht wertlos. Mit dem richtigen Facettenschliff und in entsprechender Menge wird daraus ein glitzernder Teppich, der neu über den Wert des Alltäglichen und über die Marxsche Unterscheidung zwischen Tausch- und Gebrauchswert nachdenken lässt. Scheinbar Alltägliches nutzte die Künstlerin auch für ihre wohl bekannteste Arbeit. »Parallelwelt (schwarz/weiß)« ist eine Installation aus Schreibtischlampen des gleichen Typs (Kaiser-Idell), die einen schwarz, die anderen weiß. Diese wurden in gleicher Position einander gegenübergestellt. Dazwischen befindet sich ein beidseitig verspiegelter Spiegel. Derart entspricht das Spiegelbild der einen Lampe exakt der (realen) anderen Lampe und vice versa. Je nach Standpunkt sind nur die beiden realen Lampen oder nur eine reale Lampe und ihr Spiegelbild oder ein neues, halb materielles, halb immaterielles Bild zu sehen. Ebenso wie bei dem Eingangswerk kann man sich Gedanken über den Status des Bildes, aber auch über die einfache Manipulation der menschlichen Wahrnehmung machen.

Der Lampentypus Kaiser-Idell spielt auch in der benachbarten Ausstellung »Der kühle Blick. Graphik der Neuen Sachlichkeit« eine Rolle. Inmitten dieser äußerst lieblos eingerichteten, gänzlich männlich bestückten Ausstellung begegnet man erneut einer Arbeit Kwades. Die einzelnen Bestandteile der bereits bekannten Lampen wurden zu Pulver zermahlen und ästhetisch in einer Schauvitrine präsentiert.

Deutlich wird in der Mannheimer Schau, dass die junge deutsche Bildhauerin immer wieder ähnliche Herangehensweisen nutzt: Spiegeln, Imitieren, Alltagsgegenstände zu poetischen Installationen zusammenführen und Dinge in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen. Dabei ist aber doch jede Arbeit anders und entfaltet, zusammen mit ihrem jeweiligen Titel, eine eigene poetisch-philosophische Strahlkraft. Es ist eine Ausstellung, die nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Kopf betrachtet werden muss.

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