Ausstellungsbesprechungen

»Poetische Transkriptionen« – Rainer Nepita, Bilder / Abi Shek, Skulpturen. Galerie Anja Rumig, 8. August 2009

Der eine, Rainer Nepita (geb. 1954), sieht sich als Archivar, der andere, Abi Shek (geb. 1965), versteht sich als Archäologe, was ein Licht auf die Vielschichtigkeit ihrer Kunst wirft – kein Wunder, dass sie poetische, kreatürlich-florale Assoziationen weckt. So weit beide Positionen auch voneinander entfernt sind, finden sie sich innerhalb der Galeriepräsentation in einer Zweisamkeit eigenständiger Charakterbilder, die selten in dieser Höhe gelingt.

Die kräftig bunten Gemälde Nepitas können als intensive Kulissen für die Plastiken Sheks fungieren, wie sie ihre Umgebung selbstbewusst in einen Klangraum verwandeln, und Sheks skurrile Tierfamilie vermag die auratisch-malerischen Hintergründe bühnenreif zu umspielen, wie sie sich in ihrem existenzialistischen Wesen selbst genügt.

Rainer Nepita sammelt seine Ideen in der Natur, die er mit filigranen Detailstudien in skriptorale Zeichen transkribiert – seine Skizzenbücher sollen ganze Regale füllen. Über diese metamorphotische Ästhetisierung schafft sich der Künstler das Rüstzeug für eine gemalte Naturhaftigkeit, die gleichsam abstrakt über die Leinwand geistert und in lebhaften Linien Mikroorganismen ins monumentale zu vergrößern scheint. Mit seinem atemberaubenden Gespür für Komposition zeigt Nepita Zwiegespräche dieser Linien mit den farbtönenden Flächen. Ganz anders Abi Shek: Gegenüber der leidenschaftlichen Sensibilität, die Nepita malerisch hymnisiert, tritt bei ihm der sinnliche Moment zunächst zurück – mehr noch, man glaubt, die dem Schrottplatz entstiegenen, sichtbar verlöteten und verschraubten Tiere könnten das Sensorium nur in aller Härte ansprechen. Doch wer die Fabelwesen in ihrer Künstlichkeit akzeptiert, gewinnt nicht nur den Eindruck ursprünglich emotionaler Archaik, sondern auch die Anmutung, auch so ein Tier sei letztlich nur ein Mensch. Denn so einfach Abi Shek vorgeht, so leicht gelingen ihm Stimmungsbilder, die uns nur allzu vertraut sind.

Kurzum: Beide Künstler nutzen Naturvorgaben, um sie in eine eigenständige Bildsprache zu übersetzen. Dass sie dabei in einer munteren Ursprünglichkeit ihre Umgebung für sich einnehmen, ohne sich ihre jeweils eigene Aura streitig zu machen. Die Stärke ihrer Arbeiten macht sie von Vorbildern frei. Nepita, der sich von seinem einstigen Lehrer an der Freiburger Außenstelle der Karlsruher Kunstakademie, Peter Dreher, völlig entfernt hat, schöpft aus dem unendlichen Fundus seiner Skizzen. Und Shek, der bei Michael Ulman in Stuttgart studierte, hat eine phantastische Zoologie entwickelt, dieabslut einzigartig ist.

Nebenbei: Die Galeristin Anja Rumig, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, nicht nur gegenwärtige Kunst zu fördern, sondern auch die Kunstgeschichte als aktiven Bestandteil unserer Gegenwart zu vermitteln. So war in der letzten Ausstellung das Werk Otto Ritschls zu sehen, der den Stuttgartern zu wenig bekannt ist: Geboren 1885 in Erfurt, gestorben 1976 in Wiesbaden (wo er in den 1930ern und 1940ern zum Kreis um Jawlensky und Nay gehörte), holte ihn der Arzt und Kunstfreund Ottomar Domnick in die Schwabenmetropole: Dort leitete der nach dem Krieg mit Ackermann und Baumeister die künstlerische Wende ein, ist wesentlich beteiligt am Triumphzug der Abstraktion im deutschen Südwesten. Eines der Schlüsselwerke jener spannenden Zeit ist »Das Paar« von 1946, das Anja Rumig auch noch nach der beeindruckenden Schau in der Galerie zeigen kann – und wer weiß, vielleicht sichert sich die Stadt ja noch dieses Gemälde.

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