Buchrezensionen

Andreas Meichsner: The Beauty of Serious Work, Kehrer Verlag 2013

Der TÜV Rheinland ist einer der omnipräsenten Dienstleister in Deutschland und als Synonym für die Hauptuntersuchung am Auto fest im öffentlichen Bewusstsein verankert. Alle möglichen (und manchmal unmöglichen) Alltagsgegenstände werden durch seine Mitarbeiter geprüft. Eigentlich eine schnöde Arbeit, blanke Bürokratie. Andreas Meichsners Buch beweist das Gegenteil. Christian Müller hat es sich angesehen.

Gleich im Vorwort des klar gestalteten Fotobandes wird mir gesagt, worum es hier geht: Verwirrung und der Drang nach Sicherheit. Zwei Dinge, die nicht unbedingt zusammengehen, aber es hier dennoch tun. Denn einerseits geht es hier um den TÜV, die Behörde, die alles, was im Haushalt, im Kinderzimmer, im und am Auto und im Garten prüft und als sicher oder eben unsicher einstuft. Zugleich aber dokumentieren Andreas Meichsners Fotografien die Arbeit der Prüfer ohne sie in einen Kontext zu setzen. Lediglich kryptische Buchstaben- und Zahlenfolgen, die Prüfnormen, nach denen die Prüfer vorgehen, werden dem Betrachter angegeben – sie zu entschlüsseln oder nicht, bleibt ihm überlassen.

Gleich das Foto, das den Reigen dieser mysteriösen Bilder eröffnet, ist programmatisch: Mit heiligem Ernst, konzentriert und doch scheinbar liebevoll beugt sich ein Herr über einen rosa-weißen Plüschteddy und überprüft dessen Tauglichkeit anhand der DIN-Norm EN 55014-1. Was genau er da macht? Wiederbelebung, nachdem das Tier durch die Prüfung gefallen ist vielleicht, vielleicht auch einen Flauschigkeitstest oder einen Klangtest (immerhin befindet sich auf Teddys Pfote ein Aufkleber, wie er geräuschbewehrten Plüschtieren zu eigen ist). Man weiß es nicht und wird wohl in der entsprechenden DIN-Norm nachschlagen müssen, wenn man sich denn die Mühe machen will. Auch bildlich wird hier das Programm vorgegeben: vor neutralen Hintergründen (Prüfhalle, Außengelände der Prüfstelle, Büros, Testküchen, etc.) verrichten Menschen manchmal konzentriert und ernst, manchmal aber auch mit unterdrückter kindlicher Freude ihr zumeist zerstörerisches Werk. Wo genau sie sich befinden, wird nicht offenbart.

Zahlreiche solcher Situationen begegnen den Betrachtern von Meichsners Arbeiten und lassen sie meist amüsiert, aber auch etwas ratlos zurück. DIN EN ISO 8442-1 zum Beispiel: Eine recht sympathische Dame müht sich vor einer Backsteinwand ab, die Spitze eines Küchenmessers abzubrechen und ist dabei nicht nur konzentriert und angestrengt bei ihrer Arbeit, sondern wirkt durchaus auch amüsiert. Doch was genau sie da prüft und nach welchen Kriterien das dann in den TÜV-Prüfbericht eingeht – man kann nur raten. Es scheint durchaus sinnvoll, wen scharfe und spitze Gegenstände nicht beim ersten Widerstand brechen – doch wann behandelt man ein Messer auf diese Weise? Wieder gehen Verwirrung und der Wunsch nach Sicherheit eine Symbiose ein.

Manchmal fehlen die handelnden Personen jedoch ganz und der Blick des Blätternden fällt allein auf das Objekt an sich: Brennende Toaster und Puppen, ein Roboterarm mit Bügeleisen, ein bunter Koffer auf dem Laufband, gezogen von Maschinen, eine verkabelte Mikrowelle oder eine Zieh-Ente im Wasserbad. Hier stehen die geprüften Objekte für sich allein und lassen den menschlichen Faktor außen vor. Sie werden zu Installationen im Raum, die zahlreiche Gefahren des Alltags, aber auch ihre Absurdität verkörpern. Unbedingt zu erwähnen ist natürlich das massakrierte Känguru: EN 71-1 zeigt das arme Tier in eine vielleicht postapokalyptische Plüschtierstreckmaschine eingespannt, sein Junges im Beutel schaut hilfesuchend in die Kamera, während seine Mutter einen qualvollen Tod erleidet.

Derartigen Horrorszenarien stehen solche der Stille gegenüber: Ein junger Mann steht in einem – ja: Büro? einer Abstellkammer? – und lässt einen Drucker ein endloses Band regenbogenfarbener Streifen auswerfen. Man kann erahnen, dass es hier wohl um die Leistung des Geräts geht, aber man weiß es nicht genau. Ebenso finden sich die kleinen Dramen des Alltags wieder, etwa wenn ein Mann mit seinem Regenschirm gegen den Wind ankämpft, bei trübem Wetter und einem Himmel, dessen Farbe sich nur marginal von der Betonwand hinter ihm unterscheidet. Nicht zuletzt findet sich natürlich auch kaum verhohlene Freude: Drei Männer dürfen auf einem Kinderbett stehen (und vielleicht auch springen) und scheinen recht viel Freude an ihrer Arbeit zu haben. Der Hintergrund, vielleicht ein Abstellraum, ein Prüfraum, ein Flur ist wie immer vollkommen neutral und lenkt den Focus ganz auf die handelnden Personen und die Objekte, um die es hier geht.

Andreas Meichsners Bilder sind mehr als nur die Dokumentation der Arbeit des TÜV Rheinland, sie erschaffen einen Mikrokosmos, der im Kleinen die Welt draußen repräsentiert, aber auch zeigt, wie sehr die Arbeit der Prüfstelle unseren Alltag durchdringt. Zugleich lässt Meichsner den Betrachter auch die Schönheit der Verwirrung und des Nichtwissens erfahren: Man könnte einfach nachschlagen, welche Norm hier und da gerade geprüft wird, doch (ich habe dies bei einigen Bildern getan) geht dann der Zauber seiner Bilder verloren. Sie bilden genau dann eben keinen Mikrokosmos mehr ab, sondern einen Herrn, der dies und jenes prüft, was auf dem Bild durchaus ganz lustig ausschaut, jedoch nun den Blick auf die Handlung an sich lenkt und vom eigentlichen Bild, klug durchdacht und ansprechend komponiert, ablenkt. In ihrem Vorwort greift Anke Strauß genau dies auf und stellt die Frage, was denn Außerirdische sähen, wenn sie ausgerechnet beim TÜV Rheinland landeten – ohne den Kontext dieser Handlungen zu kennen. Der TÜV Rheinland als Raumschiff, als geschlossenes System – genau das erleben wir hier und doch rekurriert das Geschehen im Raumschiff auf das »da draußen«.

»The Beauty of serious Work« ist äußerst kunstvolle Fotografie, die dem alltäglichen Wirken des Einzelnen eine Bedeutung zumisst und ihm vor allem eine ästhetische Komponente zugesteht. So werden selbst profanste Handlungen zum Gegenstand der Kunst. Die klare Einbandgestaltung trägt dem Inhalt Rechnung und greift den Minimalismus von Meichsners Fotografien auf. Ein gelungener Band!

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