Buchrezensionen

Anette Hüsch (Hrsg.): Corinne Wasmuht – Supraflux, Kerber 2014

Anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle zu Kiel ist dieser kleine Katalog erschienen. Mit dem Erscheinen kurz vor der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises an die Berliner Künstlerin, wird er eher zufällig zur Festschrift. Er stellt Bilder aus allen Werkphasen vor und wartet bei den aktuellen großformatigen Raumbildern mit Detailaufnahmen auf. Diese Werkübersicht ist klein, aber fein, findet Günter Baumann.

Am 3. Juli bekommt die Malerin Corinne Wasmuht den Käthe-Kollwitz-Preis in die Hand – bekannt ist das schon seit Anfang des Jahres. Die Nachricht von einem so hoch dotierten Preis – es geht um 12.000 Euro – macht freilich schnell die Runde, wird dann aber auch vom Alltag rasch überholt. Mit dem Katalog, der anlässlich ihrer jüngsten Ausstellung in der Kunsthalle zu Kiel erschienen ist, liegt pünktlich zur Preisverleihung eine schmale, und doch ungemein tiefgründige Werkübersicht bereit, die eher zufällig nun zur Festtagsschrift geworden ist. Das liegt allerdings weniger am Zusammenfall von Preisvergabe und Ausstellung, die in diesen Tagen zu Ende ging, als an der fulminanten Publikation selbst, die die Kunst in all ihren bisherigen Facetten und Vielschichtigkeit vorstellt und ergänzt um Essays zur Malerei und zur Collage sowie um eine aphoristische Reflexion des Philosophen Marcus Steinweg, der kongenial seine Philosophie des »Überstürzten Denkens« mit Wasmuhts Arbeiten abstimmt.

Nach ihrer Ausstellung »Supracity« in Berlin und Nürnberg variierte die in Karlsruhe lehrende Professorin den Titel bzw. steigerte ihn zu »Supraflux« – ein Kunstwort, das an technoide Begriffe wie Supraleiter denken lässt, aber auch Assoziationen zu Fluxus zulässt: weniger in Anlehnung an die gleichnamige Kunstbewegung als vielmehr an die Bedeutung des Wortes, das wie das griechische »panta rhei« (Alles fließt) an die Flüchtigkeit allen Seins erinnert. Raum und Zeit sind die wichtigsten Betätigungsfelder der Künstlerin, die den langwierigen Prozess einer nahezu altmeisterlichen Präzisionstechnik mit der Hochgeschwindigkeitsästhetik der neuen Medien verbindet. Kaleidoskopartig entwickelt Wasmuht Parallelwelten zum linearen Lebenslauf, wobei die Faszination darin liegt, dass sie die übereinander collagierten Räume und Situationen bei aller Überblendung als so glaubhaft vermittelt, dass wir meinen, unsre eigenen Wahrnehmungen würden als Déjà-vus im Zeitraffer an uns vorbeiziehen, während uns jenes Leben in Echtzeit dagegen wie die eigentliche Fiktion vorkommt.

Der Überblick über Wasmuhts Schaffen beginnt im Buch mit einer prismatischen Feuerszene aus dem Jahr 1989/90, der Bilder in schlangenhafter Ornamentik und haarigen Geflechtdarstellungen folgen, die – brillant in der Ausführung – eine Stofflichkeit wiedergeben, die nicht nur die Lust am Malen erkennen lassen, sondern auch die Orientierung an renaissancistischen und klassizistischen Haar- oder Korbflechtwerkgestaltungen zeigen. Mit einer unglaublichen Detailverliebtheit und Raffinesse geht die Künstlerin in den 1990ern von der ornamentalen zur mikroorganischen Struktur über. Aus dieser »Mikroskopischen Anatomie« geht es konsequent weiter in Scheinräumlichkeiten, die sich mehr und mehr des Internets (Motive) und der digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten (Überblendung) bedienen – wenngleich Wasmuht nach wie vor die klassische Ölmalerei pflegt, mal auf Holz, mal auf Nessel. Eine eigene Werkgruppe stellen die Collagen dar, die nicht so groß sind wie die Gemälde und einen persönlicheren Raumkosmos einfangen. Hier wie dort fällt die Gewissenhaftigkeit auf, mit der die 50jährige Künstlerin ans Werk geht – in bewusster Abgrenzung zur gestischen Malerei. Dabei wäre ein Vergleich der informellen Wischbilder eines Karl Otto Götz im Vergleich zur figurativ-gegenständlichen Malerei von Corinne Wasmuht hochinteressant: das rasante Tempo, das unsere Zeit prägt, hat ein breites Spektrum der Darstellungsmöglichkeiten. Zugegeben, Götz kommt noch von der traditionellen Malerei her, die sich mit der äußerlichen Wirklichkeit auseinandersetzt, während Wasmuht die Pixelrealität des Informationszeitalters vor Augen hat. Entsprechend unterschiedlich sind denn auch Fragestellungen wie die der Simultaneität, die in beiden Werken anklingen. Nebenbei bemerkt war der doppelt so alte Götz einer der prägendsten Professoren in Düsseldorf, noch bevor Corinne Wasmuht dort bei Alfonso Hüppi und Günther Uecker studierte.

Ganz eigenständig ist Wasmuht, die zu den besten Maler(inne)n der Gegenwart gehört – und in der Nachfolgegeneration von Richter, Kiefer & Co. sicher eine Leitbildfunktion einnehmen wird – in der konzeptuellen Ausrichtung ihres Werks. Am Anfang des Schaffens steht die Archivpflege: Die Welten, die die Künstlerin in ihre Bildsprache überträgt, findet sie nicht in der Natur und nicht (unmittelbar) in der Stadt, sondern in den digitalen und gedruckten Medien, auch im Film. Das bisher noch wenig bekannte Papiercollagenwerk greift auf einen riesigen Fundus an Vorlagen zurück. Die teilweise monumentalen Gemälde nutzen dies auch, doch malt sie im Jahr kaum mehr als eine Handvoll Bilder. Da betrachtet man den Katalog mit seinen rund 20 gemalten Arbeiten mit anderen Augen.

Was der Katalog nicht leisten kann, ist die frappante Wirkung der Originale in er unmittelbaren Anschauung zu erzeugen – eine der jüngsten Arbeiten ist »Pain Towers 7« mit über 7 Meter Länge! Wo eine Publikation kapitulieren muss, kann das Layout und der textliche Anteil ausgleichen. Wasmuht entscheid sich dafür, einer Bildstrecke mit den einzelnen Werken Detailbilder hinzuzufügen, die einen Einblick in die Arbeitsweise der Künstlerin geben. Eine prächtige Idee war es jedoch, den sehr erhellenden Essays der Kieler Kuratorin Annette Hüsch sowie von Dörte Zbikoswski Thesen des Philosophen und Konzeptkünstlers Marcus Steinweg zur Seite zu stellen. Philosophie, so Steinweg in einem Interview, »gibt es nur als Überstürzung, das heißt, als Erfahrung elementarer Orientierungslosigkeit. Sich in der Orientierungslosigkeit – das heißt in der Wirklichkeit – zu orientieren, wäre eine erste Definition von Philosophie«. Das Denken in Zeiten permanenter Reizüberflutung ist so präzise wie kopflos. Unter Einbeziehung der Philosophie Wittgensteins, Heideggers, Derridas und Agambens tastet sich Steinweg, der bereits oft mit Künstlern wie Thomas Hirschhorn und Rosemarie Trockel kooperiert hat und sich hier auch ein Stück weit in eine ungewohnte Gattung hineinarbeitet, systematisch über die Inkommensurabilität der Wirklichkeit hin zur Malerei Corinne Wasmuhts. »Ich glaube«, so resümiert er, »dass Corinne Wasmuhts Bilder … Logosarchitekturen sind. Schwebende, aber feste Gefüge.« Vom Seinsmodus im Raum gehen die Motive in einen Zeitmodus über, indem sie den Raum »fragmentieren, perspektivieren und simultanisieren« und in der Koinzidenz, im Zusammenfall von »Licht und Dunkelheit, Öffnung und Verschließung, Form und Chaos, Konsistenz und Inkonsistenz«.

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