Ausstellungsbesprechungen

Auf Zeit – Was hinter dem Putz steckt, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, bis 27. Oktober 2013

Farbschichten über Farbschichten bedecken die Wände der Kunsthalle Baden-Baden. Sie sind Zeugnis einer langen Ausstellungsgeschichte. Doch was steckt hinter dem Putz? Gudrun Latten hat sich in der aktuellen Ausstellung auf Spurensuche begeben.

Auf Wand gemalt statt in Stein gemeißelt? Die Ausstellung fördert zutage, wie vergänglich ein solcher Maluntergrund, ein Stück Architektur sein kann. Das konservatorische Gespür scheint vielen zeitgenössischen Künstlern völlig abhanden gekommen zu sein. Keine Rücksicht auf Verluste! Après nous le déluge! Konserviert wird im Museum für zeitgenössische Kunst auf eine ganz andere Art und Weise. Nur direkt auf die Wand aufgetragene Arbeiten scheinen es ins Gedächtnis des Museums zu schaffen – doch auch diese sind dort nur »Auf Zeit«. Die Romantik der Vergänglichkeit tropft bei dieser Ausstellung aus allen Poren.

Man geht mit der Erwartungshaltung in die Ausstellung, alte Wandarbeiten von Blinky Palermo, Helmut Middendorf und Hamish Fulton zu sehen oder zumindest einen Einblick in die wechselvolle Baugeschichte des Museums zu erhalten. Diese Erwartungshaltung wird enttäuscht. Die ehemaligen Exponate, eigens für dieses Museum angefertigt, mussten als Reproduktionen im Kleinformat erneut auf den Wänden angebracht werden. Die bemalten Wände von Lawrence Weiner und Sol LeWitt wurden aus amerikanischen Museen für die Ausstellung herbeigeschafft. Auch an archäologischem Gespür scheint es zeitgenössischen Künstlern zu mangeln. Nicht einmal Malene Landgreens »Compass Rose« vermochte bislang bei der Suche nach den verborgenen Wandmalereien zu helfen. Auch ihre »Wanderlust« bedeutet zugleich einen Wandverlust. Die Kunsthalle Baden-Baden treibt derzeit ein Spiel mit der Zeit, auf Zeit. Es geht um die verschiedenen Schichten, die im Laufe der Zeit auf eine Wand aufgetragen wurden und sich auch noch nach Jahren unter der Tapete und unter dem Putz verbergen.

Wall Drawings findet man direkt im Eingangsbereich. Franz Ackermann hat alle vier Wände des Oberlichtsaales gestaltet. Er hat diesem Raum ein illusionistisches Farbgefüge übergestülpt, das an Sol LeWitt erinnert. Eine künstliche Wandverkleidung. Er erweitert das Blickfeld des Betrachters, die Wände werden durchsichtbar, ein Blick hinter die Wände wird mit dieser Übermalung möglich, zugleich rückt die Wand selbst in den Hintergrund, wird Maluntergrund. Ein Verwirrspiel mit Schichten und zeitlichen Bedingtheiten spielt sich auf dieser riesigen Wandoberfläche ab. Was kommt bloß unter dem Putz zum Vorschein?

Geräuschvoll werden Löcher in den Wänden hinterlassen. Der »Corner Basher« gräbt langsam große Löcher in die Wand, zerfetzt sie regelrecht. Das zerbrochene Material, die zerbrochene Geschichte einer Wand liegt dem Betrachter zu Füßen – es scheint sich um eine Polter-Scherben-Glücksmaschine mit romantischem Einschlag zu handeln. Aber halt! – es ist doch die Ruinenromantik, auf welche hier angespielt wird. Die Miniaturabrissbirne strahlt Gewalt aus, das mühsam erbaute und über Jahre erhaltene Mauergefüge wird innerhalb weniger Sekunden und Minuten mit dieser Maschine zerschmettert, dekonstruiert. Zwei Löcher geben den Blick auf die Vergangenheit frei. Sie werden mit jedem Besuchenden, der den »Corner Basher« einschaltet, ein bisschen größer.

Die Arbeit an der Wand, mit der Wand, auch hinter und in der Wand ist das Thema dieser Ausstellung. Es sind neue Wände, alte Wände, fremde Wände, bemalte und unbemalte Wände, Leinwände, Mauern, hauptsächlich sind es Museumswände – unglaublich, was diesen Wänden innewohnt. Es ist viel mehr als der Putz uns meist glauben machen möchte. Vorbei ist es mit der irreleitenden Zier des Putzes – die Wände werden bloßgestellt, die Wahrheit wird freigelegt, das Innenleben der Wände wird ans Tageslicht gezerrt. Das Spiel mit dem Fenster Albertis, mit Wand und Leinwand, mit der Begrenzung der Leinwandfläche ist sowohl in den Begriffen als auch in der Ausstellung gegenwärtig.

Der erste Ausstellungsraum ist durchsetzt mit fremden Wänden. Diese werden wie Leinwandbilder ausgestellt. Diese Wände wurden offensichtlich aus den verschiedensten Museen entnommen, so aus der Tate Liverpool, der Serpentine Gallery, dem Fridericianum oder auch der Hayward Gallery. Ein recht traditionelles Gewand für diesen Ausstellungsraum. Wieviel Identität steckt in diesen Wänden? Sind diese Wände Stellvertreter für das ganze Museum? Das Museum ist ins Blickfeld von gleich zwei Kuratorenteams gerückt. Für diese Ausstellung sind die Kunsthalle Baden-Baden und die Kunsthalle Bielefeld eine Kooperation eingegangen. Der Baden-Badener Kurator Johannes Holten hat sich für sein Ausstellungshaus das passende Thema ausgesucht, befindet sich doch direkt nebenan die bekannte Kunstsammlung Frieder Burda. Es heißt also: neben dem Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst wird in zeitgenössischer Manier bewahrt. Die Sammlung von Johannes Holten wird vergeblich in den Wänden der Kunsthalle gesucht. Die Ausstellung legt auch das offen – alles temporary bei contemporary.

Wandmalerei, Muralismo, Fresko und Graffiti – wer verwendet noch Leinwand? In dieser Ausstellung nur Christl Mudrak. Sie hat ihr eigenes Atelier nachgebildet. Überall darf offiziell gemalt werden, hier ist die Wand aus Leinwand. Die Malfläche wird nun nur noch vom Türrahmen begrenzt. Eine neue Flexibilität zeichnet diesen Raum aus. Betritt man den letzten Saal der Ausstellung, stößt man endlich zum Kern dieses Problems mit der Wandmalerei vor: die Wände wurden beschriftet, wie von Kinderhand. Hier hat Nedko Solakov »A (Not So) White Cube« inszeniert. Mit Bleistift, nicht mit Filzstift, hat er die Wände vollgekritzelt und beschriftet. Klein sind die Bemerkungen, ähnlich Marginalien auf Papier in Büchern.

Kaum merklich hat er die Geheimnisse des Raumes gekennzeichnet. Unglaublich, welche Entdeckungen er in diesem Raum gemacht hat! „Die Wand lebt!“ – würde man gerne rufen. Dieses durchaus unheimliche Geschehen, welches sich in diesem Raum abgespielt haben soll undnun von Solakov ans Museumslicht gezerrt wurde, darf nun nicht mehr berührt werden. Solakov hat den Raum mit den Augen eines Kindes unter die Lupe genommen: ein Tal und acht Sterne, ein Loch, eine ganze Steckdosenfamilie, mit insgesamt sechs Brüdern und Schwestern, sogar ein eigenes Haustier hat der White Cube. Die Beschriftungen füllen den Raum mit Leben. Fast wie zuhause! Der Museumsraum erzählt vor allem eine Geschichte von Solakov und nicht, wie man meinen könnte, von vergangenen Ausstellungen. Die kleinen Ereignisse werden überhöht, das Schraubenloch, welches vor Jahren gebohrt wurde, findet Eingang in das Kunstwerk. Die Kunsthalle Baden-Baden ist bei dieser Ausstellung nicht Skulptur wie das Guggenheim in Bilbao, sondern selbst Exponat. Die gewöhnliche weiße Museumswand wurde zum Kunstwerk erklärt!

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