Ausstellungsbesprechungen

Auszeit! Innehalten in der Kunst

Dem Müßiggang widmet man sich im Sprengelmuseum Hannover. Mit »Auszeit. Vom Faulenzen und Nichtstun« präsentiert das Haus künstlerische Variationen rund um Urlaub, Freizeit, Ruhe und die Faulheit – und das rechtzeitig zur Urlaubszeit bis zum 30. August! Bettina Maria Brosowsky hat sich eine Pause gegönnt.

Die Reformation ab dem 16. Jahrhundert veränderte auch die Bewertung der menschlichen Arbeit und der Zeit der Muße entscheidend. Die lebenserhaltende Arbeitslast (ascolia) war in der Antike weitgehend den Sklaven auferlegt, die freien Bürger konnten der hochgeschätzten Freizeit (scole) nachgehen, der Bildung und der Muße. Auch die Mönche des Mittelalters kultivierten eine innere Einkehr, die vita contemplativa – der Gegenpart zu ihrem christlichen Arbeitsethos, der sich als Buße für das begangene Vergehen Evas verstand, ihrem Streben nach Erkenntnis. Die Reformatoren Martin Luther und Johannes Calvin geißelten dann jedoch jegliche Kontemplation als sündhaftes Laster, Faulenzerei und träge Bequemlichkeit. Die Arbeit wurde zum Geschenk Gottes erhoben und zum eigentlichen Lebenssinn. Die industrielle Neuzeit, die Moderne und der Neoliberalismus perfektionierten das System zur wirtschaftlichen Effizienz bis hin zur aktuellen Selbstperformanz: ich beute mich permanent selber aus in der Illusion, dass ich mich so verwirkliche.

Höchste Zeit also für eine Pause, eine kleine Auszeit! Diese kann man im Sprengelmuseum Hannover genießen. Denn dort hat die Kunstwissenschaftlerin Dörthe Wilke zum Abschluss ihres zweijährigen Volontariats eine geistreiche Ausstellung kuratiert, die sich mit den ambivalenten Facetten des Nichtstuns und der Muße in der künstlerischen Darstellung beschäftigt. Dafür hat sie aus der umfangreichen Sammlung des Hauses einige Hundert Grafiken, Fotografien, Plastiken, Medien und Malereien gesichtet, gut einhundert davon ausgewählt, ergänzende Werke entliehen, eine Szenografie konzipiert sowie einen Katalog herausgegeben. Selber habe sie in den letzten Monaten das Thema dann leider nicht mehr verkörpern können, sagt Dörthe Wilke leicht amüsiert zu dem von ihr bewältigten Pensum, sie will sich deshalb demnächst in Ruhe ihrer Dissertation an der Kunsthochschule Braunschweig widmen.

Der Ausstellungsrundgang beginnt sprichwörtlich bei Adam und Eva, von Max Beckmann in einem Holzschnitt dargestellt. Nach dem Sündenfall schauen beide ihrem zukünftig arbeits- und schmerzvollen Leben jenseits des Paradieses entgegen. Wie von den Mühen bereits gezeichnet sehen sie aus, schämen sich, in ihrer Nacktheit nun vollkommen auf sich zurückgeworfen zu sein. Aber die nächsten Exponate stimmen bereits um: da ist das zarte Aquarell von Rudolf Jahns, der 1929 eine Strandszene auf Baltrum einfing. Die Hannoveranerin Grethe Jürgens warf mit Farbstift und Kugelschreiber einen Zeltplatz am Meer aufs Papier, Ernst Ludwig Kirchner zeichnete um 1911 in ähnlichem Kolorit eine Uferlandschaft mit zwei Booten. Die urbane Variante der Freizeit beschäftigte viele Fotografen. Der Ost-Berliner Fotograf Arno Fischer etwa spürte 1957 ungezwungene Gruppen in einem sommerlichen Park auf, lagernd, lesend, spielend. Das Goseriede-Hallenbad diente Walter Ballhause für ein vitales Stimmungsbild wasserfreudiger Hannoveraner der 1980er Jahre. Ballhause hatte aber auch ab 1930 das gesellschaftliche Stigma des unfreiwilligen Nichtstuns thematisiert: die Arbeitslosigkeit, häufig mit dem Verlust der Wohnung verbunden. Nun dienten Hauseingänge, Fensternischen oder Stufen als öffentlich exponierte Aufenthalts- und Ruheplätze.

Den Schlaf als Bruder des Todes fängt Käthe Kollwitz in ihrer charakteristisch düsteren Grafik ein, der physische Zustand der Dargestellten bleibt ungewiss. Und auch der einsame alte Mann in einer 1902 entstandenen Radierung von Arthur Kampf kann mit dem unbeschwerten Strandleben, das er beobachtet, bereits nichts mehr anfangen. Lebensphasen der Stille sind also äußerst unterschiedlich, zumal wenn die aktive Selbstbestimmung fehlt.

Um die eigene Zeitsouveränität zurückzugewinnen, entschied Direktor Reinhard Spieler, nun auch hausintern einen Gang zurück zu schalten. Die für den Juni vorgesehene Eröffnung eines großen Anbaus zum Sprengelmuseum wurde in den September verschoben. Die Architektur wird drei leere verglaste Raumzonen vorhalten, sogenannte Loggien mit Blick auf den gegenüberliegenden Maschsee. Sie sind baulich kumulierte Auszeiten, in denen nicht einmal mehr die Kunst Zutritt haben wird.

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