Kataloge

Barnet, Peter (Hrsg.): Images in Ivory. Precious Objects of the Gothic Age, Walters Art Gallery, Baltimore, August 1997, Princeton University Press, 1997.

Elfenbein, das seit der Antike für wertvolle Kunstobjekte bevorzugte Material, wurde in der Zeit der Gotik zu einem der wichtigsten Medien künstlerischen Ausdrucks.

Es galt als würdig, den Gottesdienst zu erhöhen und die Pracht herrscherlicher Repräsentanz zu steigern. Sowohl als spezielle Gattung der Kleinplastik als auch hinsichtlich des besonders kostbaren Materials haben Elfenbeinobjekte besondere Bedeutung erlangt. Gotische Elfenbeinschnitzereien begegnen in vielfältiger Form, so als Triptychen, Diptychen, Statuetten, Kästchen, Kämme oder Spiegelkapseln. Sie geben einen Eindruck von einem Teil des privaten Lebens der Menschen dieser Zeit. Schnitzereien mit biblischen Szenen schmückten einst private Kapellen und erlauben einen Blick in den Bereich der häuslichen Devotion, während Spielfiguren, Kassetten oder Spiegelkapseln mit weltlichen Episoden als Gebrauchsgegenstände in aristokratischen Haushalten fungierten. Über zweitausend gotischer Objekte haben sich bis heute erhalten. Sie sind weder datiert, noch signiert und nur die Wenigsten lassen sich mit Sicherheit bestimmten Ateliers zuweisen. Nur einige von ihnen tragen Inschriften und noch viel seltener begegnen auf ihnen Wappen. Darüber hinaus hat sich eine Reihe von Kunstwerken, etwa die außergewöhnlich große Spiegelkapsel mit der Darstellung eines adligen Paares im Musée Cluny (Kat.Nr.54), nur fragmentarisch erhalten und manche Elfenbeine, so ein Schreibtäfelchen in Detroit (Kat.Nr. 92), erwiesen sich als Fälschungen des 19. Jahrhunderts.

Für eine Beschäftigung mit gotischen Elfenbeinen ist noch heute das dreibändige Kompendium Raymond Koechlins (Les ivoires gothiques français. 3 Bde.. Paris 1924) maßgeblich, das gewissermaßen als Fortsetzung von Goldschmidts Corpus der karolingischen und romanischen Elfenbeine gesehen werden kann. In ihm sind mehr als eintausenddreihundert meist Pariser Elfenbeine des 13. bis 15. Jahrhunderts versammelt, nach sakralen und profanen Objekten unterteilt sowie nach Arten bzw. Schmucktypen gruppiert und katalogisiert. Trotz der in den letzten siebzig Jahren nach dem Erscheinen dieses monumentalen Grundrisses zahlreich zusammengetragenen neuen Erkenntnisse zu einzelnen Kunstwerken, Herstellungszentren sowie den großen Zusammenhängen der Elfenbeinschnitzerei mit anderen Kunstbereichen wurde Koechlins umfangreiches Werk im Ganzen bis heute nicht überarbeitet.

Auch der Katalog zur Ausstellung »Images in Ivory« basiert auf den von Koechlin geschaffenen Grundlagen. Als große Überschau über die gotische Elfenbeinskulptur versammelt er rund einhundert der bedeutendsten Schnitzereien dieses Materials aus europäischen und amerikanischen Sammlungen wie dem Louvre, dem Victoria and Albert Museum oder dem Metropolitan Museum. Der erste Teil des Kataloges enthält Essays namhafter Wissenschaftler. Zunächst gibt Peter Barnet eine Einführung in die Zeit der gotischen Elfenbeinkunst, welche mit einer kurzen Information über Eigenschaften und Herkunft des Materials eröffnet und sich anschließend ganz allgemein der künstlerischen Produktion im mittelalterlichen Paris widmet. Behandelt wird hier nicht nur die Rolle der französischen Metropole als kulturelles Zentrum des westlichen Europas, sondern auch die Entwicklung des gotischen Stils sowie die mit der Entfaltung einer neuen Art privater Devotion einhergehenden Veränderungen im sakralen Bereich.

Im Anschluss daran widmet sich der Essay von Elizabeth Sears den Bedingungen der künstlerischen Elfenbeinproduktion im mittelalterlichen Paris. Die französische Metropole war das erste Zentrum einer umfangreicheren Herstellung derartiger Artikel, wobei die serielle Anfertigung im Zusammenhang mit einem komplexen Veränderungsprozess innerhalb der künstlerischen Fabrikation gesehen werden muss. Dieser ging mit einer zunehmenden Ansiedlung der Werkstätten in den Städten ebenso einher wie mit einer auf den wachsenden Bedarf an Objekten reagierenden Rationalisierung, Organisation und Kooperation von Werkstätten. Die Zusammenarbeit verschiedener Betriebe bedingte wiederum eine Vereinheitlichung des formalen Ausdrucks. Hinzu kamen technische Neuerungen, welche nicht nur die Spezialisierung der Künstler, sondern auch die Aufteilung des Herstellungsprozesses nach sich zogen. Wie sich dem nach 1252 von Etienne Boileau verfassten Livre des métiers entnehmen lässt, gab es zwar eine objektspezifische, aber keine ikonographische Spezialisierung der Elfenbeinschnitzer. So schufen dieselben Pariser ymagiers sowohl Gebrauchsartikel, die sich auf die laikal-höfische Vorstellungswelt bezogen, als auch Objekte zu Andachtszwecken mit christlicher Thematik. Vor diesem Hintergrund ist auch mit einem engen Zusammenhang sowie der gegenseitigen Beeinflussung säkularer und sakraler Ikonographie zu rechnen. So zeigt etwa die große Anzahl gegen Ende des ersten Viertels des 14. Jahrhunderts hervorgebrachten profanen Objekte den unverwechselbaren, bereits voll entwickelten verfeinerten Reliefstil der Pariser Elfenbeinschnitzerei, der sich im Verlaufe des 13. Jahrhunderts bei der Herstellung von beinernen Andachtstafeln oder anderen Gegenständen mit Szenen aus dem Leben Christi, der Jungfrau oder der Legenda aurea herauskristallisierte. Darüber hinaus traten als Besitzer von Elfenbeinen zunehmend Laien auf, für deren Privatandacht nicht nur luxuriöse Artikel angefertigt wurden, sondern die auch ein großes Interesse an weltlichen Themen hatten. Den Verbindungen von Elfenbeinschnitzerei und Monumentalskulptur geht der Artikel Paul Williamsons nach, während sich Danielle Gaborit-Chopin mit der Problematik der polychromen Gestaltung der Elfenbeine befasst. Es folgt der Essay Richard H. Randalls Jr., welcher die Zusammenhänge zwischen weltlich-höfischer Literatur und profaner Elfenbeinkunst von ihren Anfängen um 1300 bis hin zu dem durch den Hundertjährigen Krieg verursachten und mit Produktions- und Qualitätseinbrüchen verbundenen Niedergang in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts untersucht. In kurzen Blöcken werden nicht nur die einzelnen Bildthemen wie etwa das des Jungbrunnens, des allegorischen Schachspiels oder der Minneburg besprochen, sondern auch wichtige Informationen zu Arten und Gebrauchsformen profaner Elfenbeine gegeben. Diese weltlichen Zeugnisse sind in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen spiegelt sich in ihnen die Popularität und weite Verbreitung der volkssprachlichen Dichtungen und Stoffe. Zum anderen war es die französische Elfenbeinkunst, welche Anfang des 14. Jahrhunderts eine eigenständige homogene Bildsprache höfischer Liebe mit versatzstückhaft verwendeten Motiven in größerem Umfang formulierte, seriell produzierte und in großer Stückzahl in Umlauf brachte.

In den letzten beiden Essays befassen sich schließlich Charles T. Little mit der gotischen Elfenbeinschnitzerei in Deutschland sowie Harvey Stahl mit der narrativen Struktur und dem Inhalt einiger gotischer Elfenbeine mit Szenen aus dem Leben Christi. Der zweite Teil des Kataloges ist in übersichtlicher Form den ausgestellten Objekten gewidmet. Die Kunstwerke wurden dabei in einheitlicher Form erfasst. Die erste Seite eines jeden Eintrags ist in drei Spalten gegliedert, von denen zwei in knapper Form die wichtigsten Daten zum Objekt und seiner Provenienz sowie weiterführende Literaturangaben bieten. Die dritte Spalte wird jeweils von einer hervorragenden farbigen Abbildung des besprochenen Kunstwerks eröffnet. An sie schließt sich dann der entsprechende Katalogeintrag an. Dieser behandelt wissenschaftlich das jeweilige Bildwerk und ordnet es im Rahmen seiner Zeit und innerhalb des Bereichs der Elfenbeinkunst ein, wobei der Text von zahlreichen begleitenden Abbildungen ergänzt wird. Einer chronologischen Ordnung folgend und mit dem frühen 13. Jahrhundert beginnend, dokumentiert der Katalog zunächst in zwei Abschnitten die Entwicklung der sakralen Andachtsbildwerke. Er eröffnet mit der Abteilung der ältesten gotischen Elfenbeine, zu denen unter anderem die thronende Muttergottes im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (1210-30) zählt (Kat.Nr. 1). Dieses noch dem Typ der romanischen Sedes sapientiae folgende Kunstwerk lässt bereits Anzeichen gotischen Stils erkennen. An die Stelle des Feierlichen und Starren ist bereits eine individuelle menschliche Gestalt und Lebendigkeit getreten, die ihren Höhepunkt in der bekannten Statuette des Verkündigungsengels im Louvre (1280-1300) findet (Kat.Nr. 16). Ins 14. Jahrhundert weiterführend, werden dann die seriell entstandenen sakralen Elfenbeine aus Paris und anderen Kunstzentren behandelt, wobei hier die Zahl der behandelten Werke - der Anzahl der erhaltenen Objekte entsprechend - besonders groß ist.

Es schließt sich ein Abschnitt mit Elfenbeinen rein weltlicher Thematik an. Dieser ist wie die vorangegangenen Kapitel gegliedert und stellt alle Arten profaner Elfenbeinkunst von der Spielfigur über Spiegelkapseln, Kämme, Schreibtafeln bis hin zu den Kästchen mit literarischer Thematik vor. Zu diesen zählt auch das in seiner Art singuläre Pariser Parzifalkästchen (c. 1310-30) (Kat.Nr. 62). Mit seiner Verbindung von Heiligenfiguren auf dem Deckel und dem beliebten Romanstoff auf den übrigen Seiten belegt es die enge Verbindung von säkularem und sakralem Bereich. Zu den in direkter Verbindung zur literarischen Tradition stehenden Objekten gehört darüber hinaus eine Kassette mit Szenen aus der beliebten Novelle von der Châstelaine de Vergi (1320-40), die stellvertretend für eine Vielzahl erhaltener und nur im Detail voneinander abweichender Kästchen dieser Thematik steht (Kat.Nr. 63). Dasselbe gilt für ein anthologisch kompilierendes Kästchen in Baltimore (1330-50), das als typisches Beispiel für eine ganze Reihe zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandener französischer Elfenbeinschatullen mit relativ konstanter Szenenauswahl aus populären volkssprachlichen Dichtungen herangezogen werden kann (Kat.Nr. 64).

Nach dieser Vorstellung der weltlichen Elfenbeine führt der Katalog weiter zu den Kunstwerken des späten 14. bis 16. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit verlor Paris seine vorherrschende Stellung im Rahmen der Elfenbeinkunst. Darüber hinaus wurde das wertvolle Material knapp, so dass zahlreiche Objekte ersatzweise aus Knochen oder Horn hergestellt wurden. Ein Epilog behandelt schließlich einzelne, vor allem hinsichtlich ihrer Echtheit umstrittene Werke. Um die gestiegene Nachfrage von Sammlern zu befriedigen, wurden seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mittelalterliche Elfenbeine gefälscht, wobei die Tatsache einer leicht möglichen Bearbeitung des Materials den Fälschern ihr Handwerk erleichterte. Das Problem von Original und Kopie betrifft vor allem die gotischen Elfenbeine, welche in großen Mengen nachgeahmt wurden. Noch heute gibt es Stücke, die Zweifel hinsichtlich ihrer Echtheit aufkommen lassen. Diesen Werken sowie den gesicherten Kopien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist das abschließende Kapitel des Kataloges gewidmet. Dieser vermittelt dem Leser die großen Wandlungsprozesse in Kunst und Gesellschaft der gotischen Zeit und führt die Geschichte der Entwicklung der eleganten Kunst der Elfenbeinschnitzerei, ihrer Künstler und Käufer sowie diejenige des Aufstiegs der sowohl religiösen als auch weltlichen Elfenbeine im Mittelalter auf anschauliche Weise vor Augen.

 

Bibliographische Angaben

Barnet, Peter (Hrsg.): Images in Ivory. Precious Objects of the Gothic Age, Katalog zur Ausstellung, Walters Art Gallery, Baltimore, August 1997
Princeton University Press, 1997.
296 Seiten, in englischer Sprache.
ISBN-10: 0691016119
ISBN-13: 978-0691016115

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