Ausstellungsbesprechungen

Birgit Brenner – Alles in Zeitlupe, Kunstsammlung im Stadtmuseum Jena, bis 12. August 2012

Birgit Brenner erzählt in ihren raumgreifenden Installationen Geschichten aus dem Leben, von der Liebe und vom Scheitern. Dabei beweist sie einen gewissen Galgenhumor, findet Rowena Fuß.

Bereits kurz vor der Glastür, die den Eingang zur Schau bildet, wird der Besucher riesiger, aus der Wand ragender Brüste und Autoreifen gewahr. Und schon befindet er sich mitten in der Brennerschen Erzählung. Den Ausgangspunkt und Rahmen für den Rundgang bildet gleich links von der Pforte der Text über das Geschehen in einem fiktiven Wohnhaus »Goethestr. 11, Sommertag, heiß, kurz vor 23 Uhr«. Zu dieser Zeit hatte der Bewohner im 1. OG rechts mal wieder Stress mit der Freundin und wollte deswegen erneut den Versuch starten, sich umzubringen — mit einem Gürtel am Türgriff. Das Scheitern ist vorprogrammiert. Ein Paar im 2. OG links versucht hingegen schon seit längerem ein Kind zu zeugen, während eine Frau im 1. OG links — 40, blond, müde, von der Gesichtschirurgie geprägte Züge — ganz in Rosa vor dem PC sitzt und versucht, den Mann fürs Leben zu finden.

Brenner betrachtet das scheinbar Dramatische mit großer Nüchternheit. Ihre Figuren im »Drehbuch«, so nennt sie den Text, schwenken aus der Gesellschaft zwar heraus, gehören aber dennoch dazu. Wichtig ist ihr, dass die Stimmung in den Szenen immer kurz vor dem Kippen steht, ohne dass es tatsächlich passiert. In der Wirtschaft heißt das Break-even-Point, man laviert an der Rentabilitätsgrenze herum. Es sind vor allem die mittleren Altersschichten, die Birgit Brenner beobachtet und aus deren Träumen, Hoffnungen und Illusionen sie die Drehbücher ihrer Ausstellungen entwickelt. Alles in allem sind es ausgelaugte, deprimierte Gestalten, die sich genau wie die durchgehend abgebildeten Retropflanzen (Grünlilie und Gummibaum) irgendwie am Leben halten. »Atmen reicht nicht« verkündet die Installation im zweiten Raum hintersinnig, die zwei Kopfsilhouetten mit einem darunter geklebtem Fotoausschnitt zeigt.

Sie schaffen es vermutlich durch verschiedene Mittel. Die Künstlerin visualisiert diese mit mehreren bemalten Pappen, die wie geplättete Arzneimittelpackungen aussehen. Es sind alles Mittel gegen Depressionen und sie prangen wie ein Altarbild an der Wand. Die Tablettensucht der modernen Gesellschaft wird zum täglich Brot ohne das wir nicht funktionieren würden. Hier werden Religion und Stimmungsaufheller wahrhaft gemäß des Marxschen Diktums „Opium fürs Volk“ zusammengeführt.

Eine weitere Arbeit, in der sich eine Person den Strumpf anzieht, thematisiert die träge dahinfließende Zeit. Die Figur ist wie eine Schablone in den Karton geschnitten worden. Hinter ihr befindet sich eine gemalte Grünlilie. Für Brenner hat die verhasste Retropflanze etwas Spießbürgerliches aber auch Ewiges an sich. Makaber sind die roten Flecken auf Brust und Gesicht der Figur. Ihr Aussehen erinnert an Einschusslöcher. Brenner hätte demnach symbolisch auf die Pflanze bzw. die Spießbürgerlichkeit geschossen.

Aufgrund der Räumlichkeiten musste die studierte Kommunikationsdesignerin von ihrem normalen Konzept, mehrere Szenen nacheinander an einer meterlangen Wand zu erzählen, abweichen. Stattdessen wurden mehrere Geschehnisse in eins gesetzt und auf die vorhandenen Räume aufgeteilt. Wie beim Stoppen eines Films ergeben sich so Pausen in der Erzählung — genug Platz für eigene Interpretationen.

An die Frau in Rosa aus dem 1. OG links spielt eine Installation an, die eine Auswahl an Reizwäsche von Büstenhaltern bis Korsetts zeigt. Sie spiegelt deren Sehnsucht nach einem Mann und damit verbundene Vergnügen wider. Auffallend ist bei den an architektonische Landschaftsmodelle erinnernden zusammengeklebten BHs der Rosenkranz, der matt golden zwischen die Erhebungen gemalt wurde. Die Gebetskette ist zu einem bloßen Accessoire verkommen.

Eine spezielle Art von Humor verrät der gemalte Unterboden eines Autos, dessen vorstehende Reifen den Besucher bereits zu Anfang grüßten. In der linken unteren Ecke befindet sich nun ein rechteckiger Ausschnitt, ähnlich einer Plakette, der eine überfahrene Person zeigt. Neben ihr steht in Anlehnung an Klotürsprüche »Ich war ihr treu«. Darunter jeweils in einer anderen Schrifttype zwei Mal ein »Ich auch«.

Zu all dem hat der Kurator Erik Stephan im Katalog das beste Resümee gefunden: »In Brenners Haus ist die Ausnahme Normalzustand. Hier ist kein Platz für selbstverliebte Romantiker. Das Kaputte ist nicht modisch besetzt, es ist überall und es ist klebrig, verführerisch und grausam zugleich«.

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