Buchrezensionen, Rezensionen

Birgit Neumann-Dietzsch/Viola Weigel (Hg.): Der Maler Franz Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus, Kerber 2011

Der vorliegende Katalog ist eine unverzichtbare Grundlage für die Beschäftigung mit Radziwills Schaffensperiode während des Nationalsozialismus. Er präsentiert neben unbekanntem Archivmaterial über 40 bedeutende Werke, die während der NS-Zeit entstanden, sowie frühere als entartete Kunst diffamierte Gemälde. Günter Baumann hat sich das Werk angesehen.

Franz Radziwill gehört unbestritten zu den wichtigsten Vertretern des magischen Realismus, eines Nebenzweigs der Neuen Sachlichkeit. Im Rahmen eines neu aufgeflammten Interesses an den Realismen des 20. Jahrhunderts treten auch diese Stile erneut ins Visier der Forschung. Doch nicht allein der Bezug zur Wirklichkeit, sondern insbesondere der manipulative Umgang mit ihr macht die magische Realität reizvoll. Dieser Umgang findet sich nicht nur bei Malern der Neuen Sachlichkeit, sondern auch in der Kunst des Nationalsozialismus bzw. den Exponenten einer präfaschistischer Ästhetik. Überschneidungen sind möglich, wobei man nicht immer davon ausgehen kann, dass dieselbe Gesinnung dahinter steckt.

Franz Radziwills Biografie spielt dabei eine heikle Rolle, da der Maler sich der Nazi-Ideologie früh anbiederte und auf Gönner stieß, doch schon bald in Ungnade fiel. Eine Ausstellung im Franz Radziwill Haus in Varel (Dangast), die in Kooperation mit der Kunsthalle Wilhelmshaven organisiert wurde – im Dangaster Haus der Franz Radziwill-Gesellschaft ist sie noch bis zum 15. Januar zu sehen –, befasste sich explizit mit Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Grobdaten der Vita machen diese sensible Phase im Werk des Malers deutlich: Der 1895 geborene Künstler beginnt um 1920 mit expressionistischen Arbeiten, die er ab Mitte der 1920er Jahre ausstellt. 1931 wird er Mitglied der 1918 gegründeten, linksrevolutionär orientierten Novembergruppe, der auch Dix und Grosz angehören. Das hindert ihn nicht daran, 1933 in die NSDAP einzutreten, was ihm den Weg zur Professur an der Kunstakademie Düsseldorf ebnet. Ein Jahr später vertritt er das Deutsche Reich auf der Biennale in Venedig. Wohl aufgrund seines Frühwerks wird er aber denunziert, verliert bereits 1935 seine Professur und muss hinnehmen, dass einige seiner Arbeiten 1937 in der Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt werden.

Gleichzeitig bemüht er sich, unterstützt auch von Parteifunktionären (selbst von Goebbels), erfolgreich um Rehabilitation, kann auch im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen weiterhin ausstellen. 1941 nimmt er an der »Großen Gau-Ausstellung Weser-Ems« in Oldenburg teil, doch werden seine Arbeiten nach der Eröffnung abgehängt. Nach Aussage des Altkanzlers Helmut Schmidt, der vor 1940 Bekanntschaft mit Radziwill und anderen Künstlerkreisen machte, »muß er damals schon ganz mit den Nazis gebrochen haben«. Als Kriegsberichterstatter an der Westfront, später als Bediensteter der Luftschutzpolizei wurde Radziwill, auch aus Altersgründen, vom Kriegsdienst befreit, geriet aber als Eingezogener des so genannten Volkssturms 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Bereits 1946 konnte er wieder ausstellen, wenn er auch erst 1949 während des Entnazifizierungsverfahrens entlastet wurde. Ehrungen nach dem Krieg (Ehrengast der Villa Massimo, Rom; Großer Niedersächsischer Staatspreis; Großes Verdienstkreuz) zeichneten das Werk des 1983 in Wilhelmshaven gestorbenen Künstlers als wichtigen Beitrag der Kunstgeschichte aus, der in der Rückschau durchaus Parallelen zu den späten Kriegsbildern des Freundes Otto Dix aufweist.

Die 1930er Jahre weisen Radziwill als Parteigänger und Regimegegner wider Willen aus, in den frühen 1940ern fallen die Distanzierung vom Regime wie die christliche, rein persönlich motivierte Wende auf, die allerdings keine wesentliche Änderung des Malstils zur Folge hatten. Doch das wäre kaum zu verurteilen, muss man doch die Vereinnahmung von Künstlern durch die Nationalsozialisten, deren ästhetische Werteordnung zu einfältig war, um einen nennenswerten Stil zu entwickeln, relativieren. Jüngst wurde in den Feuilletons die Verwicklung des Worpswede-Malers Fritz Mackensen im Dritten Reich diskutiert, der sich bestens integrieren ließ; längst ist bekannt, dass sich Emil Nolde, wenn auch vergebens, den Nazis regelrecht als nordischer Maler aufdrängte. Keiner davon änderte darum seine frühere Malweise.

Außerdem reicht ein Blick auf das Werk Radziwills, dass er sich weder mit den hofierten Schamhaarmalern und Gummipuppenästheten des Reichs gemein machte. Das alles wird in dem hervorragend gestalteten Katalog zur Ausstellung in Dengast deutlich. Mit einer außergewöhnlich hohen Autorenschar – das Buch weist 16 Beiträger aus – wird das Schaffen in Essays zu einer Podiumsdiskussion, in einem fulminanten Bildteil mit Kommentaren zu Einzelwerken sowie in einer Dokumentation ausgebreitet, inklusive des zitierten Briefes von Helmut Schmidt vom 3. Februar 2011. Somit wird der Katalogband zur objektivierten Grundlage weiterer Forschung. Aus dem Weg geräumt werden Verdächtigungen, Radziwill hätte nach 1945 Bilder nachträglich geschönt – in der Tat übermalte er im nachhinein eigene Werke, doch konnte durch die Arbeit des Radzwill-Archivs nachgewiesen werden, dass die Änderungen aus künstlerischem Anspruch heraus und nicht unter den geänderten politischen Vorzeichen vollzogen wurden.

Andrerseits betreibt der Katalog keine Geschichtsklitterung bezüglich der offenkundigen Verstrickungen und der latenten Distanz. Schlüsselwerke wie »Die Straße« (1928), »Revolution / Dämonen / Im Lichte der Staatsideen« (1933/34), »Das Grab im Niemandsland« (1934), »Inselbrücke in Wilhelmshaven« (1934) – das auch als Titelabbildung den Band ziert – oder »Deutschland 1944« (1944) machen auf die Ambivalenz des Werks aufmerksam. Bilder wie »Flandern / Wohin in dieser Welt« (1940–50), die den Hang zur Bekennenden Kirche ins Kitschige überdehnen und wie andere Werke über die Zeitenwende 1945 hinausreichen, werden dabei nicht ausgespart.

Nachdem das Haus der Kunst den Zugang zu den Archiven und Depots mit der Kunst des Nationalsozialismus im Internet eröffnet hat, die die wissenschaftliche Erforschung der Kunst zwischen 1933 und 1945 ankurbeln wird, ist es wichtig, dass fundierte Arbeiten über Künstler, die auch außerhalb der offiziellen Kunstdoktrin, aber innerhalb des Reichs ein maßgebendes Werk schufen, mit integriert werden. Der von Birgit Neumann-Deitzsch und Viola Weigel herausgegebene Band könnte als Vorbild für Bücher über andere Künstler dienen.

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