Buchrezensionen

Bredekamp, Horst: Bilder bewegen. Von der Kunstkammer zum Endspiel, Wagenbach, Berlin 2007

Die aktuelle Publikation von Horst Bredekamp enthält zwölf Aufsätze und Reden aus den Jahren 1982 bis 2006. Der Untertitel lässt ahnen, welch breites Spektrum die Themen umfassen. Und tatsächlich eröffnet sich beim Lesen des Inhalts eine scheinbar verwirrende Vielfalt vom Mittelalter bis zum Cyberspace.

Allen Themen liegen jedoch eine vergleichbare Universalität und die Kombinatorik als Denkstil zugrunde, wie sie schon die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance postulierten, und alle Inhalte haben im weitesten Sinn mit der Schule des Sehens zu tun.

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Immer geht es dem Autor um das analytische, reflektierende Bilden der Sinne in den Geistes- und Kulturwissenschaften, ums genaue Hinsehen und Hinterfragen von Bildern, insbesondere der flüchtigen Bilder, die uns im medialen Alltag begegnen. Denn zu entschlüsseln, was kalkulierte Bilder auslösen, ist für den Autor die zeitgemäße Aufgabe der »Bild-Wissenschaft« Kunstgeschichte: Das Bild zwinge den Betrachter, Formen und Bewegungen sprachlich immer genauer zu beschreiben und zu reflektieren. Erst die Sprache könne dann bewirken, das Bild richtig zu verstehen.

So diagnostiziert Bredekamp in seinem Aufsatz »Das Bild als Leitbild. Gedanken zur Überwindung des Anikonismus« (1997) – trotz der Allgegenwart von Bildern in allen Lebensbreichen – eine zunehmende Unfähigkeit, sie deuten zu können, eine Art »Bild-Analphabetismus«. Angesichts von TV-Zapping, Computersimulation und Cyberspace, die die natürliche und historische Wirklichkeit verdrängen, tut für Bredekamp eine Schulung des Sehvermögens und des Verständnisses für die Geschichte von Bildern not. Dafür sei die Kunstgeschichte, die ja gerade bewertet, klassifiziert und konkret wird, unverzichtbar: eine Geisteswissenschaft, die das Handwerkszeug liefert, mit unserer modernen Bildkultur, in der sich das Bild auf Kosten der Reflexion durchsetzt, fertig zu werden.

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In einem weiteren Essay – »Vom Birett zum Camauro« (2006) – lotet Bredekamp das Zusammenspiel von Kleidung, Körper und Papstwürde aus und wird seinem Ruf als kritischer Bildanalytiker einmal mehr gerecht: Im Mittelpunkt stehen Fotografien von Papst Benedikt und Papst Johannes Paul II., deren scheinbar flüchtigen Gesten große Symbolkraft entfalten. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn der Papst die Camauro genannte Pelzmütze trägt, die ursprünglich ein Symbol für Amt und Würde des Papstes war? Wenn Benedikt XVI. sie heute aufsetzt, folgt er zum einen einem traditionellen Ritual, zum anderen ist er sich bewusst, dass die Medienöffentlichkeit darauf eine modische Vorliebe projiziert. Für Bredekamp ist das auch ein Versuch, der Papstfigur Milde zu verleihen und so ihr Ansehen und ihre Autorität zu steigern.

Die vier großen Kapitel »Schauspiele«, »Machtspiele«, »Spielräume«, »Ballspiele« enthalten je drei weiterführende Texte, die das übergeordnete Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten (Anm.). Wer sich weiter in die Themen vertiefen möchte, dem wird der wissenschaftliche Anhang mit Auswahlbibliografie von großem Nutzen sein. Nicht nur für Fans von Horst Bredekamp ist diese Sammlung seiner Forschungsschwerpunkte und wichtigsten Publikationen lohnenswert.

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Anmerkungen

Die Titel im einzelnen:

  • Albertis Flug- und Flammenauge auf der Selbstporträt-Plakette um 1435 aus Washington als persönliches Attribut des humanistisch vollendeten Künstlers und »uomo universale« (1995)
  • Die Stabilität des Instabilen in der 1499 in Venedig publizierten »Hypnerotomachia Poliphili« (2001)
  • Steinzeit des Präsidenten – wie in Bill Clinton das Mittelalter zurückkehrt (1998)
  • Ein Missverständnis als schöpferischer Dialog. Bemerkungen zur Antikenrezeption der Romanik (1991)
  • Von der Archäologie der »Spurensicherung« zur Gruppe SPUR (2005)
  • Der Mensch als »zweiter Gott«. Motive der Wiederkehr eines kunsttheoretischen Topos im Zeitalter der Bildsimulation (1992)
  • Die Kunstkammer als Ort spielerischen Austauschs und bewegte Naturgeschichte (1993)
  • Fußball als letztes Gesamtkunstwerk (1982)
  • Der fruchtbare Augenblick. Die Immunität des Fußballs (2006)
  • Fuß, Fortuna, Ball oder: Platons Prinzip des Handicap. Der Kugelkörper und die Defizite der Vollendung (2006)

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