Ausstellungsbesprechungen

Bridget Riley, Museum der Gegenwartskunst Siegen, bis 11. November 2012

Die 1931 in London geborene Künstlerin Bridget Riley gehört zu den herausragenden Malerinnen unserer Zeit. Am 1. Juli 2012 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem Rubenspreis von Siegen ausgezeichnet. Zeitgleich begann im Museum für Gegenwartskunst der Stadt eine große Ausstellung mit Rileys Arbeiten. Günter Baumann hat die Schau besucht.

Im Sommer 2012 erhielt die Künstlerin Bridget Riley den Rubenspreis der Stadt Siegen. Er gilt – dem großen flämischen, in Siegen geborenen Barockmaler zum Trotz – der Gegenwartskunst und wird seit Mitte der 1950er Jahre alle fünf Jahre verliehen: nicht zuletzt der lange Turnus macht die Auszeichnung so begehrt, denn dadurch kann die Stadt deutlichere Zeichen für einzelne Künstler setzen. So hat sich der Preis zu einer der wichtigsten Ehrungen für bildende Künstler gemausert, die noch geadelt wird durch eine groß angelegte Ausstellung. Riley fällt hier etwas aus dem Rahmen – und doch auch wieder nicht. Denn wenn man die bisherigen Preisträger durchgeht, fallen die abstrakt-expressiven Positionen (Hartung, Winter, Schumacher), auch die skriptural-expressiven (Tàpies, Twombly) oder die figurativ-expressiven (Freud, Lassnig), die Pop-expressiven (Polke) und die lyrisch-expressiven (Morandi, Geiger) auf, die die dynamisch-malerischen Bezüge zu Rubens aufgreifen und in die Jetztzeit übersetzen.

Die Arbeiten von Bridget Riley wirken zunächst eher nüchtern, konstruktiv, was so gar nicht zu Rubens passt. Doch spätestens mit den verhaltenen Lyrikern wie Morandi oder Geiger wird klar, dass der barocke Schwung nicht alles ist, was eine Tradition zu bieten hat, die sich auf Rubens bezieht. Mit der britischen Künstlerin tritt eine Preisträgerin auf den Plan, deren Werk eher auf dem Kompositionswillen und dem hohen Farbbewusstsein rubensscher Dimension beruht. Nimmt man dann noch die scheinbar vor den Augen der Betrachter flirrende Oberfläche ihrer Streifenbilder, entsteht eine zwar konkret-abstrakte, aber von der rein physikalischen Wahrnehmung her expressive Sprache, die sich in die Linie der ausdrucksstarken Kunst eingliedern lässt – mit einem in sich widersprüchlich-spannungsreichen, hochdynamischen Op-Art-Expressionismus, der seinesgleichen sucht. Dass diese 1931 in London geborene Frau über 80 Jahre alt ist, kann man kaum glauben angesichts der farblichen Frische ihrer jüngsten Arbeiten, die Bridget Riley wohl dereinst ein Plätzchen in der Ruhmeshalle der zeitlos gültigen Kunstgeschichte sichern wird – neben Rubens & Co.

Dieses Plädoyer für die Ausdruckskunst sollte jedoch nicht unterschlagen, dass Bridget Rileys Frühwerk vom Neo-Impressionismus eines Seurat geprägt war, von dem die Liebe zum Farbexperiment stammt. Expressiv daran war der Kontrastreichtum, der für die Malerin bis heute wichtig ist. Die beachtenswerte Theoretikerin wie die – von der Theorie erfreulich unabhängigen – Künstlerin Riley geht dem Sehvorgang auf den Grund, als Wahrnehmung und als Imagination. Erstaunlich daran ist, dass Riley sich in einer frühen Phase schwarzweißer Irritationsbilder, die ihren Ruf als erstrangige Op-Art-Künstlerin begründeten, ihre Position bewusst machte, bevor sie Farbe ins Grau einmengte und schließlich zu einer absoluten Farbigkeit gelangte, die bis heute eine faszinierende Präsenz hat. Die Palette ist alles andere als beliebig, im Gegenteil: Bridget Riley beschränkt ihre Farbskala je nach Serie oder Arbeitsphase auf mal zwei, mal mehr und nur ausnahmsweise auch mal auf noch stets bestimmbare 20, 25 Farbtöne.

Auf Streifenformationen folgten kurvige Flächen und Rautenfelder, die sie souverän zu kombinieren wusste, selbst vor akribisch komponierten Kreisen machte sie nicht Halt. Es war nur konsequent, dass ihr die Formatbegrenzung der Leinwand irgendwann zu eng wurde und ihre Bildsprache in zahlreichen Wandbildern ausdehnte. Im Interview bekannte Riley, dass sie bei aller Fortentwicklung immer auch mit einem Auge zurückgewandt arbeitet, um sich der »Verbindungen nach hinten und nach vorne« zu vergewissern und zu zeigen, »dass etwas auftaucht und dann scheinbar zurückgelassen wird, nur um sich dann erneut zu rühren, und später neu erschaffen zu werden«. Die Wiederkehr, Erkundung und Neuerfindung des Immergleichen wird hier auf eine teilweise monumentale, aber nie aufdringliche Weise propagiert, getragen von einer immer raffinierteren Rhythmik sich öffnender und sich schließender Formen.

Die Siegener Ausstellung will keinen Blick auf das ganze Werk Rileys werfen, sondern konzentriert sich mit den knapp 40 Arbeiten auf wichtige Etappen in ihrem Schaffen seit 1980, die das grafische Werk mit berücksichtigen – schön, dass darunter auch Wandarbeiten sind, die die Gegenwärtigkeit des Werks sozusagen greifbar vor Augen führt. So tummeln sich Kreise über eine Länge von 17 Metern hin, von einer Monumentalität sondergleichen und der traumhaften Leichtigkeit von Seifenblasen.

Und setzt man sich mit dem Werk näher auseinander, dann wird sogar Rubens unerwartet virulent auf einer Ebene, die mit dem Verhältnis von Idee und Ausführung zu tun hat: Bridget Riley lässt mittlerweile ihre Arbeiten weitgehend von Assistenten ausführen, legt letzte Hand an und trägt die Verantwortung für das Gesamtkonzept – ein System, das kein geringerer als Peter Paul Rubens wenn nicht erfunden, so doch werkstattmäßig perfektioniert hat. Riley will nicht signalisieren: »Schaut her, was ich alles kann!«
Sie vermittelt vielmehr den lebensbejahenden Eindruck: »Seht her, diese Farben – viel Spaß damit.«

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