Ausstellungsbesprechungen

Broken Vision. Mannheimer Kunstverein, bis 13. September 2009

Die realistische Malerei ist so alt wie die Kunst selber, wenn man denn unterstellt, dass der Realitätsbegriff nur schwer zu packen ist. Die prähistorischen Künstler der Höhlenmalerei, die gar keine Vergleichsmöglichkeiten hatten, gaben die Tiere, deren bedrohliche Stärke sie bannen wollten, für ihre Begriffswelt und für ihre technischen Möglichkeiten durchaus naturwahr wieder. Die Antike, die bereits das Ornament und die Zahlenabstraktion kannte, begann, der Natur mit ihren künstlerischen Mitteln bewusst nahe zu kommen, wenn sie sie nicht sogar übertreffen wollte.

Plinius überliefert uns eine Anekdote über den Maler Zeuxis, der ein Vorfahr der fotografischen Realisten gewesen sein muss. »Zeuxis malte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken. Daraufhin stellte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vor, auf dem ein schleierartiger Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, um das sich vermeintlich dahinter befindliche Bild zu betrachten, hatte Parrhasius den Sieg sicher, da er es geschafft hatte, Zeuxis zu täuschen. Der Vorhang war nämlich gemalt.« (Plinius, Nat. Hist. XXXV, 64) In der Antike hatte die Illusionsmalerei eine gute Tradition, auch wenn die hübsche Anekdote wohl nur gut erfunden war. Die Nachwelt spielte fortan mit den Realismen: Die Spätgotik, die mit der Erfindung der Ölmalerei ganz neue Wege ging, spürte der Stofflichkeit nach, dass es eine Freude war, draufzuschauen. Eine regelrechte Lust entwickelten die Niederländer mit scheinbar handgreiflichen Stillleben, die erstmals sogar den Realismus hinter sich ließen: Kein Mensch würde eine Zitrone in Wirklichkeit so schälen, wie die Stilllebenmaler, die die Schale der sauren Frucht ring- bzw. spiralmäßig aufschnitzelten. Überhaupt: In der Stillleben- und Landschaftsmalerei entstand eine der Realität nachempfundene Gegen- oder Parallelwelt, die im 19. Jahrhundert mit Blick auf das Werk Courbets den Namen Realismus erhielt, durch den Naturalismus noch gesteigert wurde und sich im 20. Jahrhundert auffächerte in zahlreiche Stilformen: magischer, phantastischer, neusachlicher, veristischer Realismus, Sur-Realismus, später noch den kapitalistischen Realismus usw.

Nachdem der Realismus sich von den klassischen Künsten entfernt hatte – die Fotographie, Videokunst und Installation besetzte den Begriff über Jahre hinaus, bis die Neue Leipziger Schule unter Rink, Rauch & Co. eine Renaissance in der Malerei herbeiläutete, die ihre besten Vertreter längst auch außerhalb von Leipzig hervorlockte. Mit der Ausstellung »Broken Vision« nimmt der Mannheimer Kunstverein eine kleine Bestandsaufnahme vor, welche realistischen Positionen heute unter den Künstlern verbreitet sind. Sie ist weder repräsentativ noch auf Starkult aus – ein gutes Dutzend Namen stehen auf dem Plan, der sich auch gleich in Frage stellt: Was ist Realität? Was ist – in der heute spielend manipulierbaren Medien(schein)welt – noch wahr? Ist alles Ansichtssache und hat jeder seine eigene Realität? Vor wenigen Wochen ging eine Ausstellung im Kunstverein Eislingen zu Ende, die unter dem Titel »Scheinbar« ähnlich ambitioniert aktuelle, junge Wegmarken setzte – mit Bianca Schelling, Bernadette Wolbring, Alicja Kwade, Gabrielle Strijewski, Tom Früchtl u.a. Nun folgt der Kunstverein Mannheim mit grandiosen Arbeiten von Michael Bach, Beate Bilkenroth, Felix Burger, Eckart Hahn, Christian Hellmich, Ives Maes, Lisa Schairer/Grete Turtur, Josef Schulz, Koshi Takagi, Andreas Wachter, Philipp Weber und Maik Wolf. Zu sehen sind Plastiken, Gemälde und Fotografien, die in den letzten zwei, drei Jahren entstanden sind.

Der älteste Teilnehmer ist Andreas Wachter (geb. 1951), der einzige Vertreter der neuen Leipziger Schule – ante rem, sozusagen: Er studierte noch zu DDR-Zeiten 1974–80 bei Rink und Stelzmann. Mit der Terrakotta-Plastik »Amy« verknüpft er die klassische Schönheit der Venus von Milo mit der Medien-Pop-Ikone Amy Winehouse und kompromittiert damit den Ewigkeitsbegriff mit fragilen Mitteln. Der Jüngste im Bunde ist Felix Burger (geb. 1982), Meisterschüler von Stephan Huber, dessen makabre Videosequenz »Missionary and Tramp« eine andere Konfrontation sucht: die zwischen dem missionarisch tätigen Apostel und Märtyrer Paulus von Tarsus mit der Film-Ikone Charlie Chaplin, ausnahmsweise als unfreiwilliger Todesengel. Einer der beeindruckendsten Künstler der Generation ist Eckart Hahn (geb. 1971), der eine bestechende, sprich messerscharfe (Sur-)Realität schafft, die die Wirklichkeit zur verschwommenen Scheinwelt werden lässt. Mit unglaublicher Konzentration vermag er wie kaum ein anderer Künstler unmögliche Motive so darzustellen, dass sie uns fast magisch anziehen, hineinziehen in ein Bild, von dessen Unglaublichkeit wir jedoch weiterhin überzeigt sind – Ursache der Beklemmung und der Gewissheit, dass eben nichts gewiss ist auf dieser Welt. Durchweg erstaunlich ist das technische Niveau, mit dem die vorwiegend jungen Künstler ans Werk gehen, was sowohl auf die akribischen Foto- bzw. Hyperrealisten wie Philipp Weber zutrifft als auch auf die Gratwanderer zur Abstraktion hin, die mit Michael Bach, Beate Bilkenroth oder Maik Wolf und ganz entschieden in den Außen-/Innenräumen Christian Hellmichs mit erfreulich unterschiedlicher Palette vertreten sind.
 

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