Ausstellungsbesprechungen

Carl Andre, Museion, Bozen (Bolzano), bis 8. Januar 2012

Das Museion in Bozen für moderne und zeitgenössische Kunst hat jüngst eine Ausstellung zu Ehren des Begründers der Minimal Art Carl Andre konzipiert. Sein Werk hat den Skulpturbegriff in radikaler und konsequenter Art und Weise revolutioniert und damit maßgeblich die Weichen für die Entwicklung der Bildhauerei im 20. Jahrhundert gelegt. Günter Baumann berichtet von der faszinierenden Ausstellung.

Mir wurde klar«, so sagte der US-amerikanische Bildhauer und Poet Carl Andre, »dass das Holz besser war, bevor ich hineinschnitt, als danach. Ich hatte es in keiner Weise verbessert.« Also nahm er das Material fortan nicht mehr in irgendeiner Weise als Symbol für irgendetwas, sondern eben als das, was es im Grunde schon war: Material. Mit dieser Maxime brachte sich der 1935 geborene Andre früh in die Top Five des Minimalismus, zu denen etwa auch Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt und Richard Artschwager zählen. Nachdem er im Frühjahr 2011 mit dem Roswitha Haftmann-Preis, dem höchstdotierten europäischen Kunstpreis ausgezeichnet worden war (zum erlauchten Kreis gehören u.a.: Walter de Maria, Richard Artschwager, Sigmar Polke; erst vor kurzem wurde Cindy Sherman als Preisträgerin für 2012 nominiert), richtete das Museum Kurhaus Kleve eine große Einzelausstellung für den Künstler aus, die im Herbst nach Bozen weiterzog. Dort ist die Schau im 2008 eingeweihten Museion zu sehen, jenem Metallgehäusebau, dessen Glasfassade zu den spannendsten Ansichten der jüngeren Museumsarchitektur gehört. Die Geometrie des Hauses zieht den Blick auch von außen eindrucksvoll hinein zu den minimalistisch reduzierten Arbeiten aus Holz und Metall.

Mit über zwanzig großen Installationen und mittleren Formaten positioniert sich das Werk im Raum und setzt selbstbewusst Zeichen, um ihn mittels blockhaften Objekten, Wegführungen oder mit portalgleichen Öffnungen neu zu definieren. Carl Andre ist durchaus an einer politische Dimension gelegen, die Minimal Art versteht er keineswegs als Art pour l’art: »Ein gutes Kunstwerk ist – einmal ausgestellt und anderen Menschen gezeigt – eine gesellschaftliche Tatsache.« Die Ablehnung symbolischer Qualitäten gründet auf einem nahezu radikalen Materialismus; der Bildhauer sprach sogar einmal von einer marxistischen Dimension seiner Arbeit. Ob man diesem Anspruch als Betrachter immer folgen mag, ist unerheblich, denn allzu deutlich bleibt der übergeordnete Eindruck des standhaften, wenn nicht widerständigen Geistes, der sich längst über ideologische Engführungen hinweghebt. Standhaft hat jedoch auch nichts mit einer klassischen Vorstellung von ewiger wie »edler Einfalt und stiller Größe« zu tun. »Meine Werke«, so Andre, »sind in einem ständigen Zustand der Veränderung… Wenn die Menschen darüber laufen, wenn der Stahl rostet, der Ziegel zerfällt, die Materialien verwittern, wird das Werk seine eigene Aufzeichnung all dessen, was ihm widerfahren ist.« So könnte man auf Wunsch des Künstlers nicht nur über die Metallplatten gehen, sondern auch eine so betitelte »Wirbelsäule« beschreiten, die vor dem Museion an der Wegkrümmung installiert wurde.

Andre weiß besser als so manche Kolleg(inn)en, die unermüdlich die Welt erklären wollen, dass man ihr damit in der Moderne nicht mehr beikommt – sein Werk, so gibt sich der Minimalist überzeugt, erkläre nichts, verändere die Welt allerdings durch seine pure Präsenz. Andres Kunst wird begreifbar durch die Einbeziehung der Betrachter, deren Wahrnehmung so viel wiegt wie die künstlerischen Eingriffe selbst – das wird umso deutlicher, wenn man registriert, dass diese im Aufbau bzw. in der Installation sich auch schon erschöpfen: Andre schweißt seine Metallplastiken nicht zusammen, verdübelt keine Hölzer oder bearbeitet die (freilich industriell geformten) Materialien in anderer Weise. Mit dieser puristischen Haltung hat er die zeitgenössische Skulptur wesentlich geprägt. Plastik ist für ihn Form, Struktur und Ort. Mehr nicht. Das Schöne daran ist, dass man nicht daran vorbeikommt, ohne sie bewusst oder unbewusst erfahren zu haben.

Bereichert wird die Ausstellung, die sich über zwei Etagen erstreckt, durch lyrische Arbeiten, die das Werk in Form der bildhaften konkreten Poesie sprachlich unterfüttern, sowie durch Künstlerbücher. Im globalen Zeitalter versucht die Bozener Ausstellung, so meinte die Museumsleiterin und Kuratorin Letizia Ragaglia, den sozusagen interesselosen Beziehungsreichtum in den Vordergrund zu stellen. Die fließend-offene Ausstellungsarchitektur kommt diesem zeitgenössischen Ansinnen nur entgegen.

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