Ausstellungsbesprechungen

Christian Mayer - prezjnt, Galerie Mezzanin Wien, bis 8. Januar 2013

Wer sich auf die spannende Suche nach längst Vergessenem begeben möchte, ist in der neuen Ausstellung »prezjnt« von Christian Mayer in der Wiener Galerie Mezzanin genau richtig. Sabrina Möller hat sie sich für uns angeschaut.

Als vor 32.000 Jahren ein Eichhörnchen Pflanzensamen im sibirischen Boden vergrub, hatte es sicherlich nicht den Anspruch, diese Samen für Wissenschaftler zu sichern. Und doch wurde der Boden zu einer Art Zeitkapsel. Denn im Jahr 2011 fanden russische Wissenschaftler die Samen, in denen immer noch Leben enthalten war und die im Labor zum Wachstum reanimiert werden konnten.

Solche gegenwärtigen Ereignisse dienen Christian Mayer als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Medien und historischen Kontexten. Seine Arbeiten kennzeichnet ein starker Zeitbezug. Es handelt sich dabei nicht um die aktive Suche nach längst Vergessenem sondern vielmehr um (Re-) Inszenierungen, wie er in einem Interview im Mai 2012 erklärte. Ausgehend vom Fund des prähistorischen Samens entwickelte Mayer eine dreiteilige Fotoserie mit dem Titel »Silene«, die auf einem einzigen Laborbild des Pflanzenkeimlings basiert. Die Verbindung zwischen Mayers Fotoserie und der Pflanze beruht nicht nur auf diesem Bild, beide Prozesse im Labor markieren einen bewussten Eingriff, der zur einer künstlichen Verfremdung führt. Ist es bei der Pflanze der Ort, der verfremdet wurde, so ist es bei Mayer der bewusste, falsche Einsatz der Farben im Rahmen des »Dye Tansfers«. Dabei handelt es sich um ein Farbverfahren zur Reproduktion von Bildern, das längst Fotografiegeschichte ist und weltweit nur noch an einem einzigen Ort durchgeführt wird. Nicht nur das Objekt des Samens wird (re-)inszeniert, sondern auch das Medium selber: die Vergangenheit wird in die Gegenwart transportiert. Medienreflexion ist für Mayer in seinen Arbeiten eine nahezu unvermeidliche künstlerische Praxis; sie regt an, über die Vergänglichkeit technischer Errungenschaften nachzudenken.

Eine Zeitkapsel hat die Funktion, Dinge für zukünftige Generationen aufzubewahren. Dass die Form und der Inhalt dabei stark variieren können, wird klar, wenn man die Ausstellung »prezjnt« besucht. Namentlich angelehnt ist sie an jene Kapsel, die 1937 auf der Weltausstellung in New York mit dem Ziel entwickelt wurde, in 5.000 Jahren geöffnet zu werden. Sie soll den Menschen der Zukunft ein Bild der Menschheit des 20. Jahrhunderts vermitteln. Aufgrund der Annahme, dass die englische Sprache bis dahin ausgestorben ist, wurden erklärende Diagramme entwickelt, die die sprachlichen und zeitlichen Differenzen überbrücken sollen.

Der Thematik von Informationsspeicherung und Wiederbelebung von längst Vergessenem verschreibt sich auch die Ausstellung. Mitten im Galerieraum sind Baumstämme positioniert – der Großteil auf einem Podest, einer auf dem Boden der Galerie. An den Wänden hängen Fotografien aus Zeitungsarchiven – sie wurden dem Ort des Archivs entnommen und durch die Ausstellung in einen neuen Kontext gesetzt. Dabei wurden die vergrößerten Rückseiten der Aufnahmen, die mit Notizen und Archivstempeln versehen sind, zum Rahmen der einzelnen Bilder. Die Serie nennt sich »Putting in Time«.

Bei der Betrachtung der Baumstämme würde man wohl nie vermuten, dass es sich dabei um circa 200 Millionen Jahre alte Artefakte aus Madagaskar handelt. Wie ist es möglich, dass das Holz über diese lange Zeit nicht verrottet? Solche Fragen machen die Ausstellung von Mayer nicht nur spannend, sie geben einem das Gefühl selbst detektivisch tätig werden zu können. Das organische Material wurde über lange Zeit transformiert: Zunächst wurden die Stämme über einen Wasserstrom vermutlich 300 Kilometer weit mitgerissen, bevor sie sich in Schwemmlandebenen einlagerten. Durch den Entzug des Sauerstoffs unter Wasser war es möglich, dass das Holz nicht verrotten konnte. Das allein vollzieht allerdings noch keine Transformation. Dazu ist Vulkanmasse vonnöten, die bei Ausbrüchen die Landstriche überdeckt und in einem langwierigen Prozess dazu führt, dass verschiedene Sedimente in die Baumstämme eindringen können. Das Ergebnis sind versteinerte Bäume, deren Jahresringe die Rückverfolgung der Ereignisse erst zulassen. »Allochtone« sind Zeitzeugen, die uns einen Zugang zu Prozessabfolgen ermöglichen.

Die Ausstellung schließt mit der zehnminütigen Video-Präsentation »El Silbo«. Mithilfe der gleichnamigen Pfeifsprache von den Kanarischen Inseln kann man über Distanzen von bis zu 3 Kilometern miteinander kommunizieren – wahrlich beeindruckend! Doch sind es gerade die neuen Medien, die den Verlust solcher Sprachen stetig vorantreiben und sie zunehmend historisieren. Auf doppelter Ebene verschreibt sich daher das Video dem Erinnern – in der fast ausgestorbenen Sprache erzählt der Sprecher von den Kanarienvögeln Bibi und Büberl, die im 19. Jahrhundert als ein Geschenk an Kaiser Franz I. nach Wien geschickt wurden. Die beiden Vögel sind übrigens auch heute noch im Wiener Museum zu sehen.

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