Buchrezensionen, Rezensionen

Christian Welzbacher: Die Staatsarchitektur der Weimarer Republik, Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, Berlin 2006

Christian Welzbacher geht in seiner Dissertation, die nun in Buchform vorliegt, den Spuren der Staatsarchitektur der Weimarer Republik nach. Er betritt damit ein Gebiet, das bisher zu den weißen Flecken auf der Landkarte der deutschen Architekturgeschichte gehörte und in der Forschung oftmals als Mythos oder sogar als Phantom galt. Lange Zeit war es nahezu vergessen, dass es überhaupt Ansätze zur Schaffung einer staatstragenden Architektur unter der Weimarer Republik gab. Wie Welzbacher in seiner detaillierten Arbeit jedoch nachweisen kann, gab es sehr wohl die Absicht, den Staatsgedanken durch repräsentative Bauwerke zu symbolisieren und eine veritable Staatsarchitektur eigenständiger und unverwechselbarer Prägung zu etablieren. Allein, die schwierige wirtschaftliche und politische Lage der jungen Republik verhinderte letztlich jeden Anlauf zur Realisierung großangelegter Projekte.

Dabei hätte es sicherlich nicht an kreativem Potential gemangelt. Aus heutiger Sicht ist die deutsche Architekturszene der 1920-er Jahre überaus reich an großen, berühmten Namen: man denkt unwillkürlich an das Bauhaus, Künstlervereinigungen wie den Deutschen Werkbund oder den Bund Deutscher Architekten, die „Gläserne Kette“, und nicht zuletzt an die aufregenden Utopien von Bruno Taut, Hermann Finsterlin, Otto Kohtz u.v.a.
Man überbot sich gegenseitig mit immer kühneren Entwürfen, die auch regelmäßig in den Fachzeitschriften publiziert wurden. Die wechselseitige Beeinflussung der Planer untereinander lässt sich dabei oft kaum aufschlüsseln, wie Welzbacher betont, - „all dies gehörte in eine politisch instabile, auftragsarme Nachkriegsepoche, in der sich die Architekten mit Referenzprojekten eine prominente Startposition für die Zeit nach der Krise zu sichern suchten.“

Dennoch waren es nicht die Anhänger der jungen Avantgarde, die bei den wenigen staatlichen Ausschreibungen zum Zug kamen, sondern die Vertreter einer gemäßigten Moderne. Die Behörden als Auftraggeber waren zwar der radikalen „Weißen Moderne“ nicht grundsätzlich abgeneigt, suchten aber nach einer ruhigen, bewährten Formensprache, die weniger revolutionären Esprit als vielmehr die Anbindung an allgemein anerkannte Werte vermittelte. Der Ausdruck der Staatsgebäude sollte diesen Vorstellungen gemäß an preußische Ideale wie Zucht, Disziplin und Mäßigung erinnern. Zugleich stellte sich auch das praktische Problem, dass die neuen Bauaufgaben zumeist in einen Altbestand eingefügt werden mussten.
Deshalb suchte man nach einem Baustil, der sich in abgewandelter Form an der Vergangenheit orientierte. Zwar wollte man keine Rückkehr zum Historismus der wilhelminischen Prägung – gerade von dieser Ära wollte man sich absetzen und dies auch in einer optischen Zäsur zur Geltung bringen – wohl aber eine Hinwendung zur geschichtlichen Bautradition. Die Lösung bot sich in der Rezeption der Bauten Schinkels und der klassizistischen Formensprache des frühen 19. Jahrhunderts sowie in der Wiederentdeckung der additiv-geometrischen Kubaturen der französischen Revolutionsarchitektur.

Freilich vermochte der nüchterne „Um 1800“-Stil, wie er beispielsweise am Bau der Reichsschuldenverwaltung und der Erweiterung der Reichskanzlei Verwendung fand, keine eigenständigen Akzente zu setzen und rief auch viel Kritik in der Fachpresse hervor. Für Welzbacher wurden durch solche bauliche Kompromisse wichtige Chancen vertan, durch die das Reich seine Staatsarchitektur auf die Basis einer modernen Repräsentationsbauweise hätte stellen können. Seine Bildbeispiele belegen nur zu deutlich, dass gleichzeitig entstandene private Gebäude, und manchmal sogar öffentliche Bauten im kommunalen Sektor, einer wesentlich mutigeren und zeitgemäßeren Formensprache folgten.

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Das Verhältnis von Baukunst, Repräsentation und Politik wird schwerpunktmäßig am Beispiel der Konzeptionen für die Hauptstadt Berlin nachvollzogen. Komplementär dazu stehen auch weitere Bauvorhaben zur Debatte, darunter das „Reichsehrenmal“, die „Reichsdankhäuser“ und die Bauten des Reiches im Ausland wie Mies van der Rohes Pavillon auf der Weltausstellung von Barcelona.

Das umfangreichste Kapitel im Zuge der Analyse nimmt dabei die Gestaltung des Berliner Spreebogens ein. Über den gesamten Zeitraum der Existenz der Weimarer Republik verfolgte man die Idee, rund um das Reichstagsgebäude ein großzügiges Regierungsforum entstehen zu lassen, das das symbolische und tatsächliche Zentrum des Deutschen Reiches darstellen sollte. Das Vorhaben bot Anlass für zahlreiche großartige städtebauliche Visionen, von den gigantischen Stufenpyramiden von Otto Kohtz und den radial angelegten Scheibenhochhäusern von Hans Poelzig bis zur völligen Ummantelung des Reichstags durch Karl Walch und der „Kremlmauer“ von Bruno Taut. Doch die Folgen der Weltwirtschaftskrise ließen selbst den dringend benötigten Bibliotheksanbau scheitern.

Von besonderem Interesse ist das Kapitel über die Planungsgeschichte der Erweiterung der Reichsbank, die bereits von der kommenden Diktatur überschattet wurde. Ausgerechnet bei diesem letzten großen Bauvorhaben der Weimarer Republik folgte der Wettbewerb vorerst noch einer verhältnismäßig liberalen Ausrichtung. Im Zuge der politisierten Diskussion im Verlauf des Jahres 1933 schien sich jedoch die Bedeutung des Vorhabens zu wandeln: anstelle eines modernen Verwaltungsgebäudes verlangte man nun einen repräsentativen Staatsbau.

Schließlich griff Hitler persönlich massiv in die Planung ein. Der ursprünglich republikanische Kontext des Gebäudes wurde im Nachhinein als genuin nationalsozialistisches Projekt dargestellt, weshalb Welzbacher im Erweiterungsbau der Reichsbank einen Ausgangspunkt nationalsozialistischer Selbstinszenierung erkennt. Allerdings verweist der Autor in diesem Zusammenhang auch auf einen Sachverhalt, der bisher weitgehend unbeachtet blieb, nämlich dass bereits um 1930 ein formaler Umbruch in der Architektur spürbar wurde, der durch die Annäherung von „konservativen“ und „modernen“ Positionen gekennzeichnet ist. In dieser neuen, „monumentalisierten Moderne“ verschmolzen Modernismen und Traditionalismen zu einem Amalgam, die beiden Lager näherten sich an und tendierten gemeinsam in die Richtung eines herben, strengen Neoklassizismus.

Damit stellt sich die heikle Frage nach den politischen Implikationen der Architektur, und zumindest soviel steht fest, dass die gängigen Vorstellungen der Rollenverteilung von „links“ und „rechts“ zu simpel sein dürften. Zusammenfassend gelangt Welzbacher zu dem Schluss, dass bestimmte politische Aussagen zu keinem Zeitpunkt verbindlich an ihre jeweilige formale Erscheinung gekoppelt waren. Die Frage nach den Verbindungen zwischen ideellem Gehalt und ästhetischer Gestalt beziehungsweise nach dem Verhältnis von Inhalt und Form müsse daher jeweils von ihrem Entstehungs- und Gebrauchszusammenhang her beurteilt werden.

Damit verweist der Autor auf ein Grunddilemma der Architekturforschung, das nicht allein die Staatsarchitektur der Weimarer Republik betrifft, sondern ein Problem für den wissenschaftlichen Umgang mit der Moderne im Allgemeinen darstellt.
 

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