Buchrezensionen, Rezensionen

Christian Welzbacher: Edwin Redslob. Biographie eines unverbesserlichen Idealisten, Matthes & Seitz 2009

Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert ist geprägt von ideologischen, staatlichen und sozialen Extremen. Während dieser Zeit zu bestehen und sich selbst trotzem treu zu bleiben, war eine heikle Herausforderung, die Edwin Redslob auffällig unauffällig gemeistert zu haben schien. Mit objektiven und feinsinnigen Worten relativiert Christian Welzbacher dieses Bild in seiner Biografie über den ehemaligen Kunstwart. Günter Baumann hat das Buch mit großem Genuss gelesen.

Auf Sockeln ist es längst nicht mehr so gemütlich wie früher. Reihenweise werden hochverdiente Gelehrte und wohldekorierte Dichter mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, was in der Regel von Wellen der Entrüstung begleitet wird – auf beiden Seiten: empört gegenüber den Sockelfiguren die einen, gegenüber den Sockel-Umstürzlern die anderen. Edwin Redslob (1884-1973) bietet hier einen besonders eindrucksvollen Kasus. Über mehrere politische Systeme hinweg – nach jugendlichem Vorlauf im Kaiserreich von der Weimarer Republik über den NS-Staat und die Berliner Nachkriegssektoren-Zeit bis hin zur Bundesrepublik – stand der Kunsthistoriker, Autor, Kulturpolitiker und Universitäts- und Zeitungsgründer seinen Mann. Im humanistischen Umkreis Weimars, sozusagen des einstigen Hortes der deutschen Hochkultur großgeworden, persönlich bekannt mit Künstlern der klassischen Moderne und insbesondere des Expressionismus (allen voran Ernst Ludwig Kirchner), nahm er 1920 als erster und eigentlich einziger »Reichskunstwart« den Posten der politischen Kontrollinstanz wahr, parallel zu seinem damaligen Direktorenposten an der Württembergischen Staatsgalerie. 1933 lösten die neuen Machthaber die Kunstwart-Stelle auf, Redslob fristete jedoch sein Dasein als vielbeachteter Autor weiter. Nach 1945 stieg er wieder als Museumsmann und Kulturpolitiker ein, verehrt als widerständiger Geist zu Zeiten des nazistischen Ungeistes. 1973 starb Edwin Redslob – eine geplante Goethe-Biografie vor Augen – in Berlin, wo er ein Ehrengrab erhielt.

Als die Bundesregierung 1998 einen »Beauftragten … für Kultur und Medien« im Rang eines Staatsministers anstellte, erinnerte man sich auch des Vorbilds, das im 20. Jahrhundert mehr Einfluss auf die Kulturpolitik hatte als irgendein anderer. Gern nahm man dessen Legendenbildung an der eigenen Person als Stachel wider den Nazismus, ja als Widerstandskämpfer im Umfeld des Kreisauer Kreises zur Kenntnis. Der Begriff ist möglicherweise eine politisierte Anspielung auf den literarischen Stefan-George-Kreis, dessen Ethos Redslob früh in seinem Elternhaus kennenlernte und aus dem heraus auch der Hitler-Attentäter Stauffenberg agierte. Den lyrisch-getragenen Gedenkspruch für die im Bentlerblock in Berlin hingerichteten Kreisauer Verschwörer verfasste - Edwin Redslob.

Christian Welzbacher schrieb 2009 eine Biografie über diesen kulturellen Tausendsassa, die »eines unverbesserlichen Idealisten«. Der Kunsthistoriker und Feuilletonist hat sich den komplizierten Fall vorgenommen und den Lebensweg Redslobs nachgezeichnet. Seine hinreißende Sprache, die sich an keiner Stelle am Gegenstand festbeißt, und doch auch nicht locker lässt, mit entwaffnender Distanz und mit einer bis in die Überschriften eingravierten Ironie (»… Kulturpolitiker als weicher Mann« u.ä.) den Überblick behält, macht die Vita objektiv und persönlich lebendig.

Dieses kluge Buch macht sich nicht gemein mit dem bereinigten Bild, das Redslob gern von sich gesehen hätte, vielmehr stellt Welzbacher dessen Leben faktensicher in seine Zeit: Da ist er nicht mehr die bewunderte, eigenmächtige Lichtgestalt, sondern ein Mensch im Griff höherer Interessen – und die waren zuweilen auch niedrig genug. In der Weimarer Republik war Redslob für alle kulturellen Belange zuständig, von der Briefmarke bis zur Gestaltung des Reichsadlers. Und dann? Seine Erfolgsbilanz war relativ bescheiden, in der Mangel des Staatsapparats verlor er gar seine Befugnisse, blieb aber Spielball der neuen Herren. Ob er sich regelrecht anbiederte, wie es Welzbacher nahelegt, oder als Nazi-Autor eingestuft werden kann (wie es in der DDR später hieß) sei dahingestellt, aber mit seinem im Reclam Verlag erschienenen Buch »Des Reiches Straße« lag er voll auf Linie. Ein Gegner des Nationalsozialismus war er auf jeden Fall nicht.

Die Problematik derartiger Enthüllungen, die im Grunde noch nicht einmal welche sind, beginnt aber erst hier: Die Aufregung nach Erscheinen der Redslob-Biografie war groß, weil hier das Image eines Humanisten ersten Ranges angekratzt wird, der nach 1945 doch den Berliner »Tagesspiegel« mitbegründete, das Berliner Museum aus der Taufe hob, in professoralen Würden agierte und paktierte. Es ist nicht das Verdienst des Biografen, als erster die erschreckende Bruchlosigkeit eines Gelehrtenlebens dargestellt zu haben: Es gibt viele solcher Fälle. Martin Heidegger oder Gottfried Benn waren die ersten Namen, die fielen – inzwischen sind es lange Listen bis hin zu Walter Jens und Günter Grass, die in die Zeitläufte verstrickt waren, nicht immer mit wehenden Fahnen, oftmals aus jugendlichem Übereifer. Interessant ist eher der Reflex der Adepten und Bewunderer, die Leistung gern mit einer weißen Weste versehen wollen. Prompt stehen die Kritiker und Aufklärer am Pranger. So kann man Welzbacher aber keineswegs – wie geschehen – vorwerfen, er habe die Quellen einseitig oder gar perfide ausgewertet. Die Stunde Null im Jahr 1945 ist zum einen ein unsinniges Konstrukt, und zum andern ist nicht jeder, der in den 1940ern Bestseller schrieb, gleich ein systemtreuer Hilfsgeselle des Politgesindels gewesen.

Will heißen: Es gibt zweifelsfrei deutliche Übergänge, die etwaige ethische Parameter außer Kraft setzen, und enorme Grauzonen, die heute sprachlich kaum mehr zu fassen sind. Doch man wird Redslob nur gerecht, wenn man auch seine Schattenseiten offenlegt. Welzbacher macht dies sehr feinsinnig. Den chronologisch gesetzten Kapiteln mit hehren Titeln sind in der Untergliederung Spitzen untergeschoben, die auf die Kehrseite zielen oder das Pathos relativieren: »Kunst oder Leben« korrespondiert etwa mit »Patriotismus als Genuss«, »Der ästhetische Staat« mit »Reichsehrenmal«, »Flucht ins 19. Jahrhundert« mit »Prädikat kriegswichtig« oder »Dienst an der Demokratie« mit »Der gefühlte Widerstand« usw.

Schließlich geht es Welzbacher aber nicht um Demontage, sondern um die zum Scheitern verurteilte Wahnidee, allein der Kunst in fünf deutschen Staaten zu dienen, die im Kulturverständnis weiter auseinander liegen, als ein Mensch dies immer und gleichermaßen souverän auch nur ansatzweise lenken könnte. Die Verdienste Edwin Redslobs gehen nicht verloren, ein kritischer Blick auf sein Leben tut aber not – und es ist ein Genuss, dies mit den Augen Christian Welzbachers zu tun.

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