Ausstellungsbesprechungen

Cliché verre reloaded – Ein Angriff auf die Zeit, Lindenau-Museum Altenburg, bis 16. März 2014

Das Cliché-verre hat keine Geschichte. Es taucht um 1850 in Frankreich auf und verschwindet kurz darauf wieder. Bis heute gilt es als ein Geheimtipp unter Künstlern. In Altenburg haben es nun knapp ein Dutzend Druckgrafiker aus dem Grab gehoben und in die Gegenwart geholt. Rowena Fuß hat sich die Ergebnisse angeschaut.

Die 40 ausgestellten Arbeiten beinhalten Landschaften, Stillleben, Montagen, abstrakte Linienzeichnungen und ein Porträt. Irgendwie einsam ragt die messingfarbene Glocke an ihrem Balken aus dem groben Versatzstück einer hellen Mauer. Rechts vom Instrument bröckelt es schon und das Weiß der Wand ist so extrem, dass es fast vier schwarze Autoanhänger verschluckt, die davor abgestellt wurden. Das kryptische Arrangement des Griechen Zafos Xagoraris spielt auf eine instabile Realität an. Verschwindet sie im schwarzen Nichts des Hintergrundes oder taucht sie aus diesem empor? Nun ja, Zeit ist relativ. Das wusste schon Albert Einstein. Auch, dass sie voller Löcher und Schleifen steckt. Remakes und Comebacks historischer Entitäten sind also vorprogrammiert.

Vieles mag sich in der Kunstgeschichte der letzten hundert Jahre verändert haben: Künstler entdeckten den Realismus, die Landschaftsmalerei, den Unsinn und Krieg. Immer neue Werkzeuge hielten mit der Entwicklung Schritt, so etwa die Fotografie. Erst Hilfsmittel in der Freilichtmalerei, wurde sie später zur eigenen Darstellungsform.

Ohne Frage ist im langen 19. Jahrhundert viel passiert, aber was ist mit Neuerungen, die nur kurz Bestand hatten? Eine davon war der Glasklischeedruck, dem sich die aktuelle Ausstellung in Altenburg widmet. Diese Hybridtechnik aus Fotografie und Flach- sowie Tiefdruckverfahren war besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte bei französischen Künstlern recht beliebt. Das Negativ wird manuell angefertigt. Dazu malt der Künstler direkt auf der Glasplatte oder schwärzt diese und kratzt wie im Tiefdruck das Motiv heraus. Anschließend wird die Glasplatte auf ein Trägerpapier gelegt, das mit Gelatine und Silberbromit beschichtet ist, und belichtet. Je nach dem, wie lange die Belichtung andauert, wird das Motiv auf dem Papier heller oder dunkler und kann nachträglich weiter bearbeitet werden.

Die Leipziger Künstler Vlado und Maria Ondrej haben sich in den letzten Jahren intensiv mit dieser kaum mehr bekannten Technik beschäftigt und experimentiert. 2013 luden sie 13 internationale Künstler und Künstlerinnen in ihr Atelier ein, um dort Glasradierungen zu fertigen. Ziel der Künstler ist, diese Technik für heutige künstlerische Inhalte und Themen zu öffnen.

Welche Fragestellungen beschäftigen denn heutige Künstler? Die Antwort ist banal: Dieselben wie Künstler vergangener Zeiten: Welches Motiv und wie setze ich es um? Welche Aussage gebe ich meiner Arbeit? En vogue ist es zurzeit, Vegetarier zu sein, damit unsere tierischen Mitmenschen in den Ställen und beim Schlachter nicht mehr leiden müssen und mit uns gemeinsam das grüne Weidegras genießen können. Unmöglich dem süßen Kälbchen das Bolzenschussgerät an die Stirn zu setzen und sich an diesem Mord aus Gier – schließlich kommt man nur so an das zarte Schnitzel – nicht schuldig zu fühlen.

Der rationalen, ökonomischen Verwertung von Tieren bei gleichzeitiger Schuldsublimierung oder anders: der Janusköpfigkeit eines vernunftbegabten Tieres, wie es Menschen per Kantscher Definition sind, ist Nadin Maria Rüfenacht auf der Spur. »Chittagong« (der Titel bezieht sich auf die gleichnamige Stadt in Bangladesh, wo viele Menschen alte Schiffe abwracken) kreist um die Darstellung des Tieres als Kreatur und kulturelles Zeichen. Es zeigt eine Frau mit Wolfskopf über einem skurrilen Gewimmel, bestehend aus kunsthistorischen, anthropologischen und anderen bildlichen Versatzstücken. Von der Decke des nur zu erahnenden Zimmers fallen Blüten aus korallenartigen Wesen. Es könnten aber auch kleine Quallen sein. Ohne Zweifel: Hier steht die Welt, wie wir sie kennen, Kopf. Der Spot auf die seltsame Konstruktion ruft beim Betrachter Erinnerungen an eine Bühne wach. Unsere chimärenhafte Tierfrau scheint ein gespenstisches Ritual zu vollziehen. Oder ist sie vielleicht die Dompteuse der toten Gestalten? Alles wirkt wie ein Traum. Mit Vernunft ist dem jedenfalls nicht beizukommen.

Fazit: »Rätselhaft« scheint mir das beste Adjektiv, um die Schau zu umschreiben. Doch mag dies bestimmt den ein oder anderen kitzeln, sich selbst ein Bild zu machen und zu entscheiden, ob die gezeigten Künstler tatsächlich einen Angriff auf die Zeit unternommen haben.

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