Ausstellungsbesprechungen

Cornelia Schleime. Galoppierende Träume: Porträts 1996–2008, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 30. Dezember 2012

Die Städtische Galerie Neunkirchen präsentiert bis 30. Dezember 2012 in der Ausstellung »Galoppierende Träume: Porträts 1996–2008« die zwischen kühler Distanz und seelischer Tiefe oszillierenden Bildnisse Cornelia Schleimes. Unsere Autorin Verena Paul hat sich die eindrucksvollen Arbeiten der Berliner Künstlerin angesehen.

Es ist ein trister Herbsttag, als mich mein Weg in die aktuelle Ausstellung der Städtischen Galerie Neunkirchen führt. Während draußen die Nebelschwaden träge zwischen den Häusern hängen und ein leichter Nieselregen die Stimmung drückt, wird der Besucher beim Betreten der hellen Galerieräume von großformatigen Porträts empfangen, die ihn mit Blicken sowie einer körperlichen Präsenz unmittelbar gefangen nehmen und die Außenwelt vergessen machen. Nehmen wir beispielsweise das 1999 entstandene Werk »Lauschangriff« im ersten Raum, auf dem ein hübsches Frauenantlitz mit Headset zu sehen ist. Sowohl die Frisur der Frau als auch ihre Kopfhörer erinnern an eine vergangene Zeit. Dieses »aus der Zeit gerückt sein« korrespondiert mit der formalen Ausgestaltung, denn Cornelia Schleime hat neben Acrylfarben zudem Asphaltlack und Schellack auf die Leinwand aufgetragen. Dadurch entstehen Lichtreflexe auf der Epidermis oder die farblichen Ausläufer graben sich als Zeugen der Vergänglichkeit in das jugendliche Gesicht ein, verleihen ihm eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Diese Wirkung ist möglicherweise damit zu erklären, dass hier, wie in den meisten Arbeiten Schleimes, »die Figur komplett aus der Zeit gefallen ist. Sie ist«, sagt die Künstlerin selbst, »nicht mehr irgendetwas zuzuordnen, nicht mehr zu verorten, sondern so sehr in sich ruhend, so sehr abwesend. Ich glaube, diese Abwesenheit ist das Wesentliche.«

Nicht minder lockt die im selben Raum gehängte Arbeit »Na und?« aus dem Jahr 2008. Zu sehen ist eine weibliche Gestalt, die den Betrachter mit stark umschatteten Augen ins Visier nimmt und festhält. Es liegt etwas Tiefgründiges, Melancholisches und zugleich Zwischenweltliches, ja man könnte sagen etwas Diabolisches in jenem Blick. Bei diesem außergewöhnlichen Bildnis schlägt unsere Fantasie regelrecht Purzelbäume oder sucht und findet in der Literatur äquivalente Gestalten, wie etwa den zwiegespaltenen Dorian Gray aus Oscar Wildes Roman »The Picture of Dorian Gray«. Während das Porträt Grays sämtliche Missetaten und Sünden absorbiert, bleibt das Äußere des Protagonisten jung und makellos. Diese Assoziation zeigt, dass Cornelia Schleimes Arbeiten atmosphärisch aufgeladene, leidenschaftliche und konstant spannende Geschichten erzählen, die Zeitbrücken schlagen und den Betrachter zu einem lebhaften Dialogpartner werden lassen.

Auch in der ersten Etage, in der Kinderporträts einen wunderbaren Platz gefunden haben, erzeugt die Künstlerin Spannungen, lässt den Betrachter rätseln, schmunzeln oder ein wenig erschaudern. Bei »Mund auf, Augen zu« etwa gehen Bildtitel und Bildgegenstand eine seltsame Liaison ein. Während das Porträt einen Knabenkopf zeigt, der von der Hand eines Geistlichen eine Hostie auf die Zunge gelegt bekommt und somit an der Eucharistie teilnimmt, belässt der Titel den Ritus in einer Schwebesituation. Ist der Junge streng gläubig und schließt die Augen, um in seinem Innern dieses heilige Sakrament intensiver zu erfahren? Oder konterkariert der Titel nicht vielmehr den Bildgegenstand, verdüstert ihn gar? Eine eindeutige Antwort wird uns nicht gegeben und gerade darin besteht, wie ich finde, die außergewöhnliche Qualität der Werke Cornelia Schleimes.

»Ich bin«, erläutert sie Nicole Nix-Hauck in einem Interview, »eine Jägerin nach Atmosphären, nach Stimmungen. Stimmungen, die auch Melancholie beinhalten, geronnene Zeit. Meine Bilder sind geronnene Zeit in vier Ecken. Zeitverzögerung, Entschleunigung: Das ist der Prozess, der beim Malen stattfindet. Ich verlangsame die Welt, lasse die Zeit anhalten.« Diese »Entschleunigung« artikuliert sich nicht zuletzt in der Arbeit »Galoppierende Träume«, die das nachdenkliche Gesicht eines Luftschlösser bauenden Jungen zeigt, an dessen Stirn schwarze, scherenschnittartige Pferde samt Reiter vorbeiziehen. Diese dunklen Schatten sind in verschiedenen Positionen eingefroren und dokumentieren so das Herausfallen des Dargestellten aus der Zeit, das Abdriften in eine Welt, in der die Zeiger der Uhr sich langsamer drehen.

Und wenn wir über die Treppe ins Obergeschoss gehen, dann wird dieser rote Faden des ›Zeitgrenzensprengens‹ weitergesponnen. Schließlich blickt uns dort eine junge Frau aus einem alten, ovalen Rahmen entgegen, der auf einer vertikal gestreiften Wand hängt. Schleime spielt in »Palermo« mit der Bildvorlage und macht die Spuren der Zeit und ihre geheimnisvolle Erzählkraft zum zentralen Thema. Indem sie den Blick in einen unbekannten Raum wirft, in welchem das Porträt hängt, macht die Künstlerin den Betrachter sowohl auf den Raum, die Frau als auch ihre persönliche Geschichte neugierig. Die umschatteten grün-blauen Frauenaugen saugen sich fest und entlassen uns nur zaghaft, damit wir unsere Aufmerksamkeit den benachbarten Werken widmen. Eines davon ist der Akt einer Liegenden, die von floralen Mustern umgeben und partiell selbst damit geschmückt ist. Die sanften Rundungen des Frauenleibes bilden zu diesen in dicken Farbschichten aufgetragenen ›Pflanzenschnörkeln‹ einen bezaubernden Kontrast.

Der Zauber in Cornelia Schleimes Bildnissen beruht auf jener gebrochenen Ästhetik, die Welten ineinander fallen lässt, die melancholische Talfahrten und unbeschwerte Höhenflüge der Porträtierten neu auslotet und den Betrachter auf diese Weise um viele unerhörte Geschichten bereichert.

Resümee: Eine Präsentation, die in den architektonisch reizvollen und gleichzeitig schwierig bespielbaren Räumen der Städtischen Galerie hätte misslingen können – ist sie aber mitnichten! Die Ausstellungsmacher haben den großformatigen Arbeiten Cornelia Schleimes Raum zu inspirierender Entfaltung gegeben, so dass Radikalität und Zerbrechlichkeit, kühle Distanziertheit und seelische Tiefe, Erdenhaftung und Verträumtheit der dargestellten Personen intensiv erfahrbar werden. Ebenso wie die verschiedenen Schichten aus Acrylfarbe, Schellack und Asphaltlack auf der Leinwand, sind die Betrachter aufgefordert, die filigran übereinander gelegten inhaltlichen Ebenen zu entdecken, um die eigenen Träume und Fantasien »galoppieren« zu lassen. Deshalb wünsche ich dieser zutiefst berührenden, nachdenklich stimmenden und intelligent konzipierten Ausstellung viele erkundungsfreudige Besucher!

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