Ausstellungsbesprechungen

Darwin – Kunst und die Suche nach den Ursprüngen. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 3. Mai 2009

Neben Karl Marx dürfte wohl Charles Darwin im 19. Jahrhundert den meisten Zündstoff in der Kulturgeschichte geboten haben. Zum 200. Geburtstag des Biologen und zum 150. Jahr des Erscheinens seines Hauptwerks über »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl« hat sich die Frankfurter Schirn Kunsthalle mit Abstand die originellste Party ausgedacht. Günter Baumann war für PKG dabei.

Die Frankfurter Schirn zeigt die Auswirkungen für die Kunst samt ihrer Suche nach den Ursprüngen. Die rund 150 Arbeiten – Gemälde, Grafiken und Bilddokumente – überraschen die Kunstwelt mit der Erkenntnis, dass Darwins Einfluss auf die Maler und Konsorten bis heute sichtbar sind. Weil die Nazis die Thesen Darwins für ihre Zwecke missdeuteten, wählten die Ausstellungsmacher vorwiegend Arbeiten von der Zeit davor aus. Die Evolutionsbiologen und Anthropologen, Psychologen und Philosophen sowie die Soziologen haben längst vollmundig ihre Spuren zu Darwin zurückverfolgt, die Kunstschaffenden jedoch betreten Neuland – auch wenn Aby Warburg oder Julius Meier-Graefe sehr wohl die Lunte rochen.

Die Beiträgerliste kann sich sehen lassen: René Binet, Leopold und Rudolf Blaschka, Arnold Böcklin, Jean Carriès, Frederic Edwin Church, Max Ernst, Léon Maxime Faivre, Ernst Haeckel, Martin Johnson Heade, John Heartfield, Xénophon Hellouin, Max Klinger, Alfred Kubin, František Kupka, Gabriel von Max, Odilon Redon, George Frederic Watts. Wohlgemerkt: Es sind hier nicht nur Darwin-Fans versammelt, sondern auch seine Gegner, und das ist mindestens so spannend wie die »Positivliste«. Mythen erhielten neue Nahrung, um die These vom Ursprung des Lebens aus dem Wasser mit überbordender Phantasie zu bekräftigen, man denke an Arnold Böcklin, Alfred Kubin oder Odilon Redon.
Demgegenüber boten Maler wie Frederic Edwin Church all ihre Kunst auf, um mit atemberaubenden Landschaften die göttliche Schöpfung zu retten.

So muss man sich während des Rundgangs immer wieder fragen, ob nun die skurrilen Fabelwesen die Abstammungslehre durchexerzieren oder ironisieren, und ob die Zauberwelt der Natur letztlich die Wunder Gottes oder die bewundernswerte Eigendynamik der Artenvielfalt zeigt.

Allerersten Rang erhält die Schau durch die Kooperationspartner: Zum einen sitzt das museale Forschungsinstitut Senckenberg mit im Boot, zum anderen haben die Reiss-Engelhorn-Museen tatkräftig dazu beigetragen, dass die einschlägige Sammlung des Malers und Darwinisten Gabriel von Max, bestehend aus Schädeln, Knochen, fossilen Stücken und ethnografischer Kleinkunst, zusammengepuzzelt wurde und nun einen Raum der Schirn füllt. Die Auseinandersetzung von Wissenschaft und Kunst – sinnfällig ist in diesem Kontext das Motiv des Affen, für Max offenbar Vertreter und Gegenstand beider Zünfte – wird da auf ganz neue Beine gestellt.

Allerdings ist die Idee zur Ausstellung keineswegs eine abwegige Kopfgeburt. Im Interview bekannte die Kuratorin Pamela Kort, sie habe sich konsequent aus ihrer früheren Arbeit entwickelt. »In ›Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit‹ zum Beispiel zeigten wir Bilder, auf denen viele hybride Wesen zu sehen waren. Später habe ich mich gefragt, was der Impuls für diese Mischwesen gewesen sein mochte. Für eine Weile blieb diese Frage unbeantwortet. Bei den Vorbereitungen zu ›I like Amerika. Fiktionen des Wilden Westens‹ wurde ich näher mit den Ideen von Aby Warburg vertraut«, der an Darwins Ideen Gefallen fand. »Wenn Wissenschafter über darwinistische Überlebenstheorien nachgedacht haben«, so Kort, »dann müssen auch Künstler Stellung zu diesem Thema bezogen haben. Erst dann kam es mir in den Sinn, dass die hybriden Wesen eine Reaktion auf diese Theorien sein könnten«.

Freilich, eine Ausstellung von solcher Reichweite (hinter)lässt Lücken, man könnte sich andere und vor allem immer mehr Beispiele vorstellen. Auch deutet die notwendige, ja zwingende Einbettung Ernst Haeckels Wege an, die weiter ins 20. Jahrhundert führen und die bewusst ausgespart blieben – Max Ernst und Heartfield sind jedoch würdige Vertreter der Moderne. Immerhin gab dieser freidenkerische deutsche Darwin-Vermittler seinen Zeitgenossen von 1899 mit seinen »Welträtseln« ein ganzes Gedankenpaket mit auf diesen Weg. Aber die Frankfurter Kunst im Zeichen der Abstammungslehre wird im Gedächtnis bleiben.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:
Dienstag, Freitag  bis Sonntag 10-19 Uhr 
Mittwoch und Donnerstag 10–22 Uhr

Katalog
Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen. Herausgegeben von Pamela Kort und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten u. a. von Jane Goodall, Pamela Kort, Marsha Morton, Robert Richards und Julia Voss. (Deutsche und englische Ausgabe). Köln: Wienand Verlag, 2009.
ISBN 978-3-87909-972-6, Ladenpreis 39,80 € 
 

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