Meldungen zum Kunstgeschehen

Das Festival Genius Loci in Weimar 2016: Make Walls Talk

Beredt waren sie, die Weimarer Wände und Orte, an den drei Abenden des Genius Loci Festivals in Weimar. Audiovisuelle Kunstwerke tauchten vier Orte rund um den Park an der Ilm in mythisches Licht. Das seit 2012 veranstaltete Festival lockt immer mehr Besucher an – mit Recht, wie Stefanie Handke findet.

Um halb zehn Uhr abends sollte es losgehen, doch zehn Minuten vor Beginn war die Sternbrücke im Park an der Ilm ist bereits voll besetzt. Also weiter zur nächsten Station: ich entschied mich für das Tempelherrenhaus und damit für ein echtes romantisches Märchen: »Romanzero« von Michael Schinköthe, Stefan Kowalczyk, Dirk Rauscher (Visuals) und Patrick Föllmer (Musik) zitiert einen Gedichtband von Heinrich Heine und ließ so keinen Zweifel daran, dass man hier träumen konnte. Die Bilder und die Musik hielten, was der Titel versprach und von Anfang an wähnte man sich in einem (düsteren) Märchen: Wolken ziehen vorüber, geben einen Pentagramm-Mond frei. Der erleuchtet zart die architektonischen Strukturen der Ruine. Ein Rabe taucht auf und erkundet die das Gebäude, scheint es zu umrunden, erleuchtet mit seiner Präsenz den Ort, scheint auf Simsen zu sitzen, fliegt dem Betrachter entgegen und schließlich durch den Turm immer weiter nach oben, dem Mond entgegen, lässt sich auch von der plötzlichen Freiheit des Himmels nicht beirren – und zerschellt schließlich am Mond. Doch das ist noch nicht das Ende: unser Rabe ersteht neu und vereint sich mit dem zur Perle gewordenen Mond zu einem einzigen Licht. Das Publikum: gebannt. Die Rezensentin: hingerissen. Die Künstlergruppe überzeugte am romantischen Ort nicht nur durch eine mitreißende Geschichte, sondern vor allem durch lebendige Bilder, verträumte Musik und die Fähigkeit, eine eigene Geschichte so eng mit der Architektur des Tempelherrenhauses zu verbinden: Nicht nur war da dieser Pentagramm-Mond, nein, immer wieder setzten die Zeichner Simse, Fenster und Tore von der Dunkelheit ab. Sie verbanden in den fragilen Zeichnungen reale Architektur und fiktive Geschichte zu einem audiovisuellen Kunstwerk der Extraklasse.

Ähnlich mythisches erlebte man am »Stern« auf der anderen Seite der Ilm. Drei Wasserschirme begrenzten den Platz und schufen so überhaupt erst Wände, die ihre Geschichte erzählen konnten – an normalen Tagen findet der Parkbesucher hier eine weite Fläche vor. Nixen, männlich, weiblich, hermaphroditisch zogen zu orientalisch anmutender Musik die Besucher in ihren Bann, warfen einen verführerischen Zauber über den Platz und machten die Ilmnixen lebendig, die zuweilen des Nachts dem Fluss entsteigen und ahnungslose Spaziergänger ins Wasser locken sollen. Hier verband sich Projektionskunst mit Performance, als diese hypnotische Illusion in den Tanz der Erlkönigin (Maribel Dente) mündete und auf zwei der drei Wasserschirme projiziert wurde – während die Königin an der Stirnseite des Platzes tanzte.

Mit diesen beiden schon auf den ersten Blick sichtlich aufwendigen und durchdachten Visionen mitzuhalten fiel dem Beitrag der Künstlergruppe OMAi an der Sternbrücke zunächst schwer. Putzige kleine Geister tanzten hier über der Ilm, comichafte kleine Wesen aus Wasser und Feuer, die fröhlich ihre Bahnen zogen und zuletzt freudig entschwanden. Das sollte es sein? Nachdem die Künstlerkollegen im Park uns regelrecht verhext hatten? Was zunächst nach purem Comic aussah, nahm dann eine düstere Wendung: Straßen überzogen die Brücke, eine Stadt entstand, Menschen bevölkerten diese bis schließlich zwei weitere, dieses Mal düstere Gespenster das Großstadtleben in eine Maschinerie verwandelten, der sie immer neue Menschen zuführten, die ihr Leben dem Fließband opferten und schließlich auch die lustigen Geister ins Verderben rissen. Erst diese Wendung machte die Projektion hier zum Erlebnis.

Am Hafis-Goethe-Denkmal schließlich stand die Klangkunst im Mittelpunkt. Auch hier war der Ortsbezug deutlich: An diesem Denkmal, das Goethes Aussage, der persische Dichter Hafis sei sein geistiger Zwilling, mischten sich Rufe eines Muezzins mit »modernen« Sounds von Flugzeugen, mit gänzlich neutralen Geräuschen wie Vogelgezwitscher oder Gesprächsfetzen über Themen, die in allen Kulturen stattfinden – etwa über die Liebe. So bewiesen die Künstler Martin Recker und Paul Hauptmeier, dass Kulturen vielleicht doch nur eine Konstruktion sind und vor allem Orient und Okzident viel mehr gemeinsam haben, als wir oft denken.

Das Genius Loci Festival gibt es seit 2012 und ist in Weimar mittlerweile zu einem festen Termin geworden, wenn im August zu später Stunde Teile der Stadt in oftmals magischem Licht erstrahlen und mythische Klänge in fremde Welten an ganz alltäglichen Orten entführen. Das hat auch die 2016-er Ausgabe wieder bewiesen, gerade auch mit dem Konzept, dieses Mal nicht nur Architekturen zu bestrahlen, sondern »auf die grüne Wiese« zu gehen und Orte mit Projektionen zu bespielen, die man als Laie für denkbar ungeeignet hält. Ausgewählt werden die Künstler stets in einem Wettbewerb, an dem sich Künstler aus der ganzen Welt beteiligen. Die zahlreichen spannenden Beiträge lassen Genius Loci zu einem festen Termin in jedem Weimarer Kalender – und sicher auch in vielen anderen – werden.

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