Ausstellungsbesprechungen

Das imaginäre Museum, MMK Museum für moderne Kunst Frankfurt, bis 4. September 2016

Was wäre, wenn es keine Kunstwerke mehr gäbe? Und was wäre dann mit Museen? In seiner aktuellen Ausstellung widmet sich das Frankfurter MMK genau dieser Fiktion. Rowena Fuß weiß mehr.

Man schreibt das Jahr 2052. Die Kunst ist ausgestorben. Oder sagen wir: verschwunden. Werke können nur noch erinnert werden und leben allein in unserer Vorstellung. Das ist der einzige Ort ihrer Existenz.

Der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury hat in seinem 1953 erschienenen Science-Fiction-Roman »Fahrenheit 451« dieses Schema vorweggenommen. Er entwirft darin das Bild einer Zukunft, in der literarische Werke aus der Gesellschaft verbannt sind. Die einzige Möglichkeit, sie für nachfolgende Generationen zu bewahren, liegt darin, diese zu erinnern.

So wie Bradburys »Büchermenschen« die literarischen Werke nur durch Auswendiglernen vor dem Verschwinden bewahren können, lädt »Das imaginäre Museum« die Besucher dazu ein, sich die 80 gezeigten Werke einzuprägen und sich so seine eigene Sammlung zusammenzustellen. Die Bandbreite reicht von bedeutenden künstlerischen Positionen aus den 1920er-Jahren bis in die jüngste Gegenwart. Die Betrachter können sich die Werkbeschriftungen mitnehmen und um ihre persönlichen Erinnerungen in Form von Skizzen, Notizen oder Zeichnungen ergänzen.

Losgelöst von Zeit und Raum entwickelt die Schau eine Kunst der Fiktion, in der die Wirklichkeit wie in Romanen von der Fantasie abhängig ist. Es entsteht ein Denkraum.

Immer wieder wird der Besucher in den insgesamt neun Stationen gefordert, verwandelte Alltagsgegenstände, Naturphänomene, Ordnungssysteme und abstrakte Begriffe zu reflektieren. Auf Dauer ist das ganz schön anstrengend. Doch diese Ermüdungserscheinung mag das einzig Negative an der Ausstellung ein. Das Konzept ist originell. Besonders spannend dürfte das Abschlusswochenende am 10. und 11. September werden. Denn dann sind sämtliche Objekte fort und durch Personen ersetzt, die durch ihre persönlichen Erinnerungen und Interpretationen die Ausstellungsstücke wiedergeben und sie auf diese Weise zurück ins Bewusstsein rufen.

In meiner Erinnerung ist u.a. Daniel Spoerris »Dusche« hängen geblieben. Dabei handelt es sich um eine Berglandschaft, in die eine echte, reelle Duscharmatur montiert wurde. Beim Betrachten entsteht der Eindruck, man würde aus seinem Bad hinaus in die Berge blicken. Die Komposition ist klassisch akademisch. Ein Gebirgsbach schlängelt sich in mehreren Biegungen aus dem Hintergrund nach vorn, der Fluchtpunkt des Ganzen. Gleichzeitig teilt er das Bild in zwei Hälften: rechts ist ein Berg und links ist ein Berg. Sie sind bewaldet. Im Vordergrund sehen wir leicht zerklüftete Felsen unter einer Grasdecke. Ganz harmonisch und friedfertig ist auch die Farbgebung. Während der Hintergrund in diffuses Weiß-Blau getaucht ist, erhält der Vordergrund durch die dominierenden Farben Grün und Braun ein lebendigeres Antlitz.

Spoerri hat diese Idylle mit seiner Duscharmatur natürlich gründlich gestört. Der trompe-l’œil-Effekt ist perdu. Aber genau darin liegt die Bedeutung des Werks. Man soll sich nicht an eine ideelle Vorstellung klammern und dabei die wahrhaftige Realität vergessen.

Claes Oldenburgs »Soft Typewriter, Ghost-Version« scheint in dieselbe Richtung zu deuten und eröffnet die Frage, ob hier bereits eine Zeitkritik vorliegt. Denn seine Schreibmaschine ist funktionsuntüchtig. Das heißt, sie ist ein Kuschelkissen mit aufgenähten Tastenknöpfen. Man möchte direkt seinen Kopf darauf betten und in sanftem Schlummer versinken. Leider sagt das Schild daneben: »Bitte nicht berühren«. Selbstverständlich ist dies schade, aber doch irgendwie passend bei einer Skulptur, die (schriftstellerische) Untätigkeit oder einfach den Horror vacui auf witzige Weise anspricht.

Unterschwellig mag der ein oder andere in den Werken sowie der gesamten Konzeption der Ausstellung eine Fragestellung mitschwingen hören, die seit ein paar Jahren den Museumsbetrieb umtreibt. Es ist die der eigenen Identität im 21. Jahrhundert. Event-Show oder intellektuelle Erbauung heißen die Extrema zwischen denen die Museen vermitteln müssen. Anlässlich seines 25. Geburtstags ist es daher wenig verwunderlich, wenn auch das MMK über seine Zukunft nachdenkt und diese Gedanken zum Inhalt einer Schau macht.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns