Meldungen zum Kunstgeschehen

Der Welt entrückt – Eine Expedition zur Museumsinsel Hombroich

Es ist nicht so, dass die am Niederrhein zwischen Neuss und Grevenbroich gelegene Museumsinsel Hombroich ein ausgesprochen populäres Ziel für Kunst- und Kulturbeflissene wäre. Gerade einmal an die 150 000 Besucher im Jahr werden gezählt. Aber, so sagt man in Hombroich, man wolle hier »keine Kirmes« haben; und sollte dereinst die Besucherzahl einmal drastisch steigen, werde man kurzerhand die Eintrittspreise erhöhen, damit die Ruhe erhalten bleibt in dieser privilegierten Abgeschiedenheit, wo sich Kunst und Natur guten Tag sagen.

Der »Turm« von Erwin Heerich im Hombroicher Park, 1989, Foto: Franz Siepe Ansicht des Hombroicher Parks, Foto: Franz Siepe Erwin Heerich, »Cafeteria«, 1986, Foto: Franz Siepe
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Weilt man zu Besuch in Arkadien, in Elysium oder in Utopia, wenn man über die ein paar Meter hinabführende Treppe in den vom Landschaftsarchitekten Bernhard Korte rekultivierten oder besser gesagt renaturierten, 250 Fußballfelder großen Park mit seinen Teichen und Wasserläufen inmitten grünsten Grüns aus Wiesen, Büschen und Bäumen gelangt ist? Weilt man in einem Land, in dem hundert Blumen blüh’n und in dem - zur Bewahrung der Kunst der Menschen aller Zeiten - an allen Wegen Tempel steh’n?

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Ansicht des Hombroicher Parks, Foto: Franz Siepe

Dieser Ort, der, wie man in Hombroich schwärmt, eher »Philosophie« ist als ein normales Museum, verdankt seine Existenz dem Makler Karl-Heinrich Müller. Müller alias »Immo-Müller«, geboren 1936, war mit dem Verkauf von Industrieimmobilien (Produktionsanlagen, Lagerhallen etc.) steinreich geworden, hatte sich nebenher mit dem ihm eigenen Gespür für Werte Kunstwerke aus aller Welt angeeignet und, als er auf die fünfzig zuging, beschlossen: »Ich will jetzt nicht mehr wirtschaftlich denken müssen«. [Thomas Kling, »Karl-Heinrich Müller«, hrsg. von der Kulturstiftung NRW, Köln 2004, S. 47] Also nahm er sein immenses Kapital in beide Hände und kaufte das damals völlig verwilderte Areal in den Erft-Auen, um einen Ort zu haben, in dem die Unzahl seiner gesammelten Kunstobjekte untergebracht und ausgestellt werden konnte. So entstand die Museumsinsel Hombroich - ein seitdem ständig expandierendes Projekt mit Exklusivitätscharakter. Indes wird über Einzelheiten von Müllers vormaliger Maklertätigkeit der Mantel hochkulturellen Schweigens gebreitet.

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Im Katalog zur Museumsinsel, der unter den Eingeweihten »Das Inselbuch« heißt und weniger ein Katalog nach herkömmlichen Standards als vielmehr ein üppig bebilderter Meditationsgegenstand ist, verkündet der ehemalige Großmakler in jenem hohen Hombroich-Ton, der in seiner Mischung aus Erbauungspredigt, Psycho-Selbsthilfegruppe und Motivationsseminar für burnoutbedrohte Jungmanager symptomatisch ist für das von den Inauguratoren beschworene Flair:

»Die Insel ist urweiblich.
Sie gebärt, hält zusammen, stützt, dient und läßt frei.
Sie ist kein Muß, sondern ein Darf.
Sie ist nicht entweder - oder, sondern sowohl - als auch.
Sie fordert jeden zur täglichen Auseinandersetzung mit sich selbst.
Sie ist kein männliches Feld für Organisation, Hetzjagd, Anhäufung, Macht und Demonstration.
[…]
Die Insel duldet und wünscht neue Menschen, Frauen und Männer.
Sie lockt, verführt und nimmt ein, zwingt aber zum Dienen.
Sie huldigt dem Dürfen.
Sie vertraut dem, der ernsthaft ist.
Sie ist ein Weg, auf dem man durch unterschiedliche Versuche in unterschiedlichen Bereichen gemeinsame Erfahrungen und Ergebnisse sammelt.
Die Insel hat kaum Platz für Männlichkeit.« (S. 35-37)

Nichtsdestoweniger ist ein veritabler Mann fürs eigentlich Philosophische zuständig: Walter Biemel (geb. 1918), ein Heideggerschüler und - wie überhaupt der Kern der ganzen »Inselfamilie« (S. 12) - von der Kunstakademie Düsseldorf hierher gekommen. Biemel ist unbestrittenermaßen ein Meister des von Adorno so genannten und missbilligten »Jargons der Eigentlichkeit«. Sein Hombroicher Weihetext, in dem es auf drei Druckseiten um nichts Geringeres geht als um das »Geschehen der Wahrheit«, findet sich überall da, wo man explizit Geistiges über die Museumsinsel sucht (z. B.: http://www.inselhombroich.de/biemel_text.htm); so auch als Entree in unserem »Inselbuch«.

Biemel zeichnet das dunkle Bild des allgemeinen Weltzustandes, dem die Inselwelt ebenso weit entrückt ist wie der heutige postkapitalistische Bewußtseinszustand Müllers: »Die Menschen«, trauert Biemel, »sind heimatlos. […] Der Kampf aller gegen alle nimmt verschiedene Formen an. Das Übertrumpfen-Wollen beherrscht nicht nur das Konkurrenz-Denken der Wirtschaft, das Ringen um die Macht in der Politik, den Drang nach Neuheit in der Kunst. Zugleich kommt es zu einer zunehmenden Isolierung. Jeder versucht sich abzukapseln und hat nur noch Augen für das, was sein Gebiet ist, in dem er herrschen will. Warum muß darauf hingewiesen werden? Was hat das mit der Insel zu tun? Scheinbar nichts, in Wirklichkeit alles. Denn die Insel ist der verwandelte Raum […]« (S. 8)

Demgegenüber die volle Fülle erfüllten Daseins: »Hier gibt es Leben ohne Gewalt, hier gibt es die Freude der wahren Begegnung. Als dieser Ort ragt die Insel in unserer Welt wie eine ›Insel‹ aus dem gehetzten Getriebe heraus. Dafür müssen wir alle dankbar sein und glücklich, wenn wir Mitglieder dieses Ortes sein, am Inselleben teilhaben können« (S. 10)

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Angesichts eines solchen taumelnden Enthusiasmus gestandener Männer im Rentenalter mit stark akzentuiertem Weiblichkeitspathos fällt es einem Unbefangenen nun gar nicht leicht, nüchtern zu bleiben und wenigstens einige sachlich aufklärende Hinweise darauf zu geben, was den Besucher der Insel und was den Leser/Betrachter des »Inselbuchs« denn außer dem - garantierten - Tiefenerlebnis des oasenhaft Unalltäglichen überhaupt an »Kunst« im üblichen Verständnis des Wortes erwartet - inmitten dieser natur-, wahrheits- und stimmungsmystischen Rauminszenierung in den Erft-Auen am eigenwillig-schönen Niederrhein.

Das seit 1996 von der auch mit öffentlichen Geldern ausgestatteten Stiftung Insel Hombroich verwaltete Areal ist zweigeteilt: Die östliche Hälfte ist Standort der »Raketenstation«, eines ehemaligen Nato-Geländes, das nun, nach vollständiger und ambitionierter baulicher Umgestaltung vornehmlich Literaten (so bis zu seinem frühen Tode 2005 Thomas Kling) sowie Wissenschaftlern (randständigen Biophysikern), Philosophen und Musikern als Tagungs- und Wirkungsstätte dient. Auch steht hier das vom Japaner Tadao Ando geschaffene Ausstellungshaus der Langen Foundation, in dem das Industriellenehepaar Marianne und Viktor Langen seine Sammlung (Schwerpunkt japanische Kunst) untergebracht hat.

Westlich davon also liegt die ursprüngliche und eigentliche Anlage der Museumsinsel, dessen architektonisches Gesicht vom Bildhauer Erwin Heerich geprägt worden ist. Heerichs streng geometrisch-kubischer Stil bestimmt auch die von ihm entworfenen Gebäude, die in reizvollem Kontrast zur organischen Formation der Parklandschaft stehen.

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Der »Turm« von Erwin Heerich im Hombroicher Park, 1989, Foto: Franz Siepe

Sieben Pavillons (»begehbare Skulpturen«) beherbergen Kunstwerke aus zwei Jahrtausenden und aus den unterschiedlichsten Kulturen, jedoch mit erkennbarer Konzentration auf Alt-Ostasien und die europäische Moderne des 20. Jahrhunderts. Dabei lässt das Präsentationsprinzip des In-Korrespondenz-Setzens vielfältige Dialoge entstehen, in denen Verwandtschaftsverhältnisse ähnlich zutage treten sollen, wie es jüngst auch mit dem Programm der »Migration der Formen« auf der Documenta XII geplant war: Surrealistische Gemälde Picabias treffen auf afrikanische Kultfiguren oder ein von Matisse entworfenes Ballettkostüm findet sich in der Nähe eines altperuanischen Federkleids. Archäologische Funde aus dem frühgeschichtlichen Iran begegnen Arbeiten von Schwitters, Arp, Fautrier und Corinth, und altchinesische Skulpturen starren sprachlos auf die monumentalen Farbkompositionen des Düsseldorfer Kunstprofessors Gotthard Graubner.

Der Katalog kann angesichts der Fülle der Exponate nur einen Bruchteil vorstellen und verzichtet dabei auf Bildbeschreibungen und weiterführende Erläuterungstexte zu den Ausstellungsstücken. Mit diesem didaktischen Asketismus folgt er einem eigentümlichen Konzept, demgemäß auf der Insel selbst sogar auf jede Objektbeschriftung verzichet wird. Der »Gedanke der Nicht-Beschriftung«, so Erwin Heerich in seinem Katalogbeitrag, ist »ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu anderen Museen […]. Damit man nicht mit den Ohren sieht [sic] und erst nachschaut, wer es gemacht hat«. (S. 44) Tatsächlich: Ein gewisses Maß an ästhetisch-geistiger Verführbarkeit und Abenteuerlust sollte schon mitbringen, wer eine Expedition hierhin unternimmt.

Zum Schluss ein Insider-Tip: So geheimnis- und anspruchsvoll das Hombroicher Erlebnisprojekt sich auch inszenieren mag: Von den Besuchern wird die Cafeteria besonders geschätzt, sofern es sich bei ihnen nicht um - die gibt’s dort nämlich auch reichlich - spirituell Erleuchtete oder fernreligiös Vergeistigte handelt. Dort gibt es alles umsonst: Kaffee, Tee, Schmalzbrote, Pellkartoffeln und hartgekochte Eier.

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Weitere Informationen

Öffnungszeiten
täglich, auch montags
1. April bis 30. September 10.00-19.00 Uhr
1. bis 31. Oktober 10.00-18.00 Uhr
1. November bis 31. März 10.00-17.00 Uhr

Eintrittspreise
Samstags, Sonntags und an Feiertagen
Euro 15,- Erwachsene
Euro  7,- Schüler und Studenten bis 25 Jahre, Behinderte

Montags bis Freitags
Euro 10,00 Erwachsene
Euro  5,00 Schüler und Studenten bis 25 Jahre, Behinderte
 

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