Ausstellungsbesprechungen

Der Westfälische Expressionismus, Kunsthalle Bielefeld, bis 20. Februar 2011

Seit dem Jahr 1913 – damals stellten August Macke und seine Malerfreunde im Buch- und Kunstsalon Friedrich Cohen in Bonn aus – ist der Begriff „Rheinischer Expressionismus“ fest etabliert, wenn auch nicht unumstritten. Neben August Macke als Initiator waren an dieser Ausstellung Mackes Vetter Helmuth sowie u.a. Heinrich Campendonk, Max Ernst, Carlo Mense, Heinrich Nauen und Hans Thuar beteiligt. Dieser gemeinsame Auftritt führte dazu, dass der so genannte Rheinische Expressionismus seither als ein mehr oder weniger monolithisches Phänomen wahrgenommen wird. Rainer K. Wick hat sich die Sache einmal angeschaut.

Mit einem Label, das ganz offensichtlich an den Begriff „Rheinischer Expressionismus“ angelehnt ist, wartet nun die Kunsthalle Bielefeld auf, indem sie in ihren Räumen in einer spezifischen Auswahl den „Westfälischen Expressionismus“ präsentiert. Das ist verdienst- und verhängnisvoll zugleich. Verdienstvoll, weil damit ein Stück künstlerischer Provinz dem Vergessen entrissen wird, verhängnisvoll, weil ein Etikett gefunden wurde und damit ein Stilbegriff betoniert wird, der eine Einheit oder Homogenität suggeriert, die es in dieser Form nie gegeben hat. Zudem irritiert, dass zwei prominente Künstler, die bislang als „Rheinische Expressionisten“ rangieren, nämlich August Macke und Carlo Mense, nun unter der Flagge „Westfälischer Expressionismus“ segeln. Macke wurde zwar im westfälischen Meschede geboren, kam aber schon 1900 ins rheinische Bonn, wo er sich zu einem Protagonisten der Moderne entwickelte. Carlo Mense, geboren in Rheine in Westfalen, hat seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die längste Zeit seines Lebens im Rheinland verbracht (er verstarb 1965 in Königswinter). So bezaubernd schön die in der Kunsthalle Bielefeld gezeigten Werke von Macke und Mense auch sein mögen, sie haben nichts spezifisch „westfälisches“ und machen deutlich, dass der „Westfälische Expressionismus“ eher ein Konstrukt der Museumskuratorin Jutta Hülsewig-Johnen ist.

Bei dem Versuch, so etwas wie die Zentren des Westfälischen Expressionismus aufzuspüren, sieht man sich mit Bielefeld, Soest und Hagen konfrontiert.

Kristallisationskern eines expressionistischen Erneuerungsimpulses war in Bielefeld die Malklasse von Ludwig Godewols (1870–1926) an der dortigen Handwerker- und Kunstgewerbeschule. Vom Handwerk herkommend und anfänglich ganz den akademischen Normen verpflichtet, gelangte Godewols selbst erst in den Zwanziger Jahren zu einem zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit oszillierenden Malstil. Die in Bielefeld ausgestellten Arbeiten aus der Malklasse Goldewols von Künstlern, deren Namen heute kaum mehr bekannt sind, zeigen, dass die Schüler nicht selten schneller und radikaler ihre Schlüsse aus den Anregungen des Lehrers zogen als dieser selbst.

Der prominenteste und profilierteste Schüler Godewols, der in der Bielefelder Kunsthalle mit einer repräsentativen Werkauswahl vertreten ist, war Peter August Böckstiegel (1889–1951). In seinen frühen Bildern von Vincent van Gogh, aber auch von den Brücke-Künstlern beeinflusst, pflegte er nach dem 1. Weltkrieg einen starkfarbigen und formal ausdrucksstarken expressionistischen Malstil.

Den in Bielefeld 1891 geborenen Hermann Stenner, der ebenso wie Macke schon 1914 fiel, wird man kaum als Schüler Godewols bezeichnen können. Nach einem kurzen Besuch der Bielefelder Handwerker- und Kunstgewerbeschule geht er zunächst nach München, dann an die Akademie in Stuttgart, wo er sich bald im engeren Kreis um den dort lehrenden „behutsamen Avantgardisten“ Adolf Hölzel findet. Sehr schön wird in der Ausstellung der Übergang von einer noch vom Spätimpressionismus herkommenden Auffassung hin zu einer Bildkonzeption dokumentiert, die das Expressive durch Anwendung der von Hölzel vermittelten „Bildgesetze“ zügelt und tektonisch verfestigt. Nur selten sind Arbeiten Stenners in dieser konzentrierten Dichte zu sehen, und allein das lohnt schon den Besuch der Bielefelder Ausstellung.

Mit der ehemaligen Hansestadt Soest in Westfalen stehen drei Namen in Beziehung, nämlich die von Morgner, Viegener und Rohlfs.
Der in Soest geborene Wilhelm Morgner (1891–1917) hat ein äußerst eigenwilliges Œuvre hinterlassen, das sich nur bedingt in das übliche Expressionismus-Klischee einfügen lässt. Beeinflusst durch die Pointillisten, durch van Gogh und durch die Fauves, entwickelt er einen Stil, der sich durch rhythmisch verlaufende Linienbündel, durch kräftige Konturen und ornamentale Tendenzen auszeichnet und teilweise Keith Haring um Jahrzehnte vorwegzunehmen scheint.

Wenig bekannt ist das Werk des Soester Künstlers Eberhard Viegener (1890–1967), dessen frühe Arbeiten (im Unterschied zum Spätwerk) ganz vom Expressionismus geprägt sind und der von dem jahrelang in Soest wirkenden Christian Rohlfs (1849–1938) wesentliche Anregungen empfangen hat. Rohlfs selbst ist der älteste der in Bielefeld präsentierten westfälischen Künstler, dessen Werkentwicklung eine erstaunliche Wandlung von der noch akademischen Historien- und Figurenmalerei des 19. Jahrhunderts über den Impressionismus hin zu einem ganz eigenständigen Expressionismus zeigt.

Rohlfs kann auch als Bindeglied zur bedeutendsten Drehscheibe der Moderne im westfälischen Industrierevier, nämlich Hagen, fungieren. Hier hatte er seit Anfang des Jahrhunderts in dem von Karl Ernst Osthaus gegründeten Museum Folkwang ein Atelier, war es doch die Absicht von Osthaus, seinem Museum eine Malschule anzugliedern, deren Leitung der Künstler übernehmen sollte.

Durch Osthaus, der in seinem privaten Folkwang-Museum u.a. Werke der französischen Moderne zeigte und seine Sammlung in den folgenden Jahren mit Bildern der deutschen Expressionisten erweiterte, wurde Hagen zum Wallfahrtsort für einige der „Westfälischen Expressionisten“. Hier fanden sie Inspiration und Bestätigung für ihr eigenes Tun. Insofern ist Hagen mit Osthaus im Kontext der Bielefelder Ausstellung von erheblicher Bedeutung, ein Aspekt, der in der Ausstellung selbst leider nicht vertiefend dokumentiert wird, dafür aber in dem begleitenden informativen Film zur Sprache kommt, den die Besucher im Tiefgeschoss der Kunsthalle anschauen können.

Fragt man abschließend nach dem gemeinsamen Nenner dessen, was den „Westfälischen Expressionismus“ ausmacht, so bleibt das Bild unscharf, auch wenn für manche Bilder – im Unterschied zu jenen der „Rheinischen Expressionisten“ – eine eigenartige Schwere und eine spürbare »Liebe zum Landschaftlichen« (Hülsewig-Johnen) typisch ist.

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