Buchrezensionen

Detlef Bluhm (Hrsg.): Bücherdämmerung. Über die Zukunft der Buchkultur, Lambert Schneider 2014

Kein Thema scheint die Büchermenschen derzeit so zu bewegen, wie die Ausbreitung des Internets auf ihre traditionell als konservativ geltende Branche. Die Implikationen sind vielfältig: Dank Self-Publishing brauchen Autoren nicht mehr unbedingt den klassischen Verlag, der im Zuge dessen seine Gatekeeping-Funktion verliert. Gleichzeitig werden die Verlage von mächtigen Geräteherstellern und Online-Distributoren in die Zange genommen, die klassische Verlagsabläufe und Kalkulationsmodelle aufmischen. Detlef Bluhm hat in einem Sammelband neun Branchenkenner eingeladen, ihre Ansichten zur Zukunft des Buchs und des Buchhandels mitzuteilen. Jan Hillgärtner hat es gelesen.

Dass das Internet die Buchbranche verändert, etablierte Kauf- und Lesemuster der Rezipienten über den Haufen wirft und jeden in die Lage versetzt, eigene Werke zu publizieren, ist eine bekannte Tatsache. Abhängig davon, auf welcher Seite man sich befindet, wird es als Chance oder Herausforderung, wenn nicht sogar Bedrohung empfunden. Grundsätzlich positiv gegenüber den Möglichkeiten des Internets ist der Berliner Autor Dietmar Dath eingestellt. Ohne in eine Ode auf das E-Publishing oder eine Kulturkritik an den vielfach unlektorierten und unleserlichen, oft spontan hochgeladenen Texten zu verfallen, spricht er sich für eine »Rebellion gegen die Logik der Ökonomie« aus, in der sich die Autoren gegen die Selbstausbeutung gegenüber ihren Verlagen wehren. Sein Beispiel ist Harlan Ellisons. Der Science-Fiction-Autor kannte seine Rechte genau und wusste diese gegenüber seinem Verlag immer durchzusetzen. Er hat nie einen Kuschelkurs eingeschlagen sondern stets auf seinem Recht bestanden. Ein solches Durchhaltevermögen wünscht Daht den Autoren und sich selbst.

Eine konkrete Zukunftsperspektive entwirft Detlef Bluhm in seinem Text »Der Buchhandel und seine Kunden«. Auf eine statische Übersicht zum gegenwärtigen Buchkaufverhalten folgt eine der wenigen konkreten Visionen in diesem Buch. Dass Inspiration nicht notwendigerweise aus einer im Rückblick immer als positiv erlebten Vergangenheit kommen muss, beweist er, indem er eine Buchhandlung der Zukunft schildert. E-Books werden hier genauso wie gedruckte Bücher verkauft und der Laden ist mehr ein sozialer Begegnungsraum als ein Geschäft. Die Buchhandlung ist eingegliedert in eine lokale Interessensgemeinschaft der Einzelhändler und man hilft sich gegenseitig aus mit Werbung und Dekoration. Der Text rückt ins Zentrum des Ladens und das Buch ist nicht mehr nur Verkaufsobjekt sondern wird gemeinsam mit den Buchhändlern in Kleinstauflagen lokaler Autoren produziert. Lesungen werden zu interaktiven Happenings. Wie viel davon tatsächlich einmal Realität wird, wird die Zukunft zeigen.

Ein Wort zur Sprache und Logik des Buchs kann nicht ohne den Hinweis auf die immer wieder auftauchenden historischen Analogien auskommen. Insgesamt scheint die Branche historische Vergleiche und manchmal recht brüchige Überleitungen zu mögen. Fast alle Autoren beziehen eine historische Perspektive in ihre Texte ein und leiten moderne Entwicklungen aus der Vergangenheit her. Meist sind diese Vergleiche – wie etwa bei Dath – übertragend zu verstehen und es geht mehr um den »Geist« eines Autors, Verlegers oder Buchhändlers. Auf Dauer aber sind sie ermüdend und verlieren an Bedeutung.

Erfrischend wird es dort, wo sich die Autoren von dieser Traditionsbindung lösen und Inspiration von außerhalb integrieren. Katja Splichal ist eine der wenigen Autorinnen, die sich von diesen Narrativen abgrenzt, indem sie sie ganz einfach ignoriert. Sie zieht ihre Parallelen von denjenigen, die die digitale Welt mitgeprägt haben: die Computerspieleindustrie und Vordenker des Internets. Sie geht auf die Möglichkeiten des E-Books bzw. digitaler Literatur konkret ein und zeigt auf, dass es um mehr geht, als nur um das Lesen auf Endgeräten und das elektronische Annotieren. Texte müssen nicht zwangsläufig als abgeschlossene Einheiten präsentiert werden, digital ist es vielmehr jedem Leser möglich, die Geschichte selbst mit fortzuschreiben. Auch sind wir nicht mehr darauf angewiesen, Texte linear und nur in einem Medium zu konsumieren. An spannend umgesetzten, intermedialen Erzählweisen mangelt es hingegen derzeit noch.

Die Kernthemen der Lobbyarbeit der Buchbranche werden unterschiedlich stark berührt. Die Buchpreisbindung, obwohl sie gerade durch das zur Verhandlung stehende TTIP-Abkommen mit den USA auf der Kippe steht, wird komplett außen vor gelassen. Dabei hat sich diese Entwicklung bereits abgezeichnet, als das Buch in der zweiten Jahreshälfte 2013 verfasst wurde. Die Urheberrechtskontroverse wird von dem Presse- und Medienrechtler Jan Hegemann vor allem als Geschichte des Gewinns für den Autor geschildert. Hegemann erwähnt die »durchaus erheblichen dogmatischen Unterschiede zwischen Kontinentaleuropa einerseits und den USA und Großbritannien andererseits« in Bezug auf die Vorstellungen eines Urheberrechts, elaboriert aber nicht die praktischen Konsequenzen die mit diesen unterschiedlichen Vorstellungen einhergehen. Konkrete Visionen finden sich in dem Buch nur wenige, die meisten Texte beschreiben den Status quo.

Aber mit Vision ist es immer schwierig, man macht sich angreifbar und in der Realität kommt es doch meist anders. Vielleicht sind dem gegenwärtigen Buchhandel nicht eine große, sondern viele kleine Visionen zu wünschen, ein Wettbewerb um die besten Ideen. Oder aber ein gewagter Vorstoß, dessen Ausgang nicht absehbar ist und der für den Visionär mit individuellem Scheitern, für die Kultur aber mit enormen positiven Effekten verbunden ist, um noch einmal das in der Branche beliebte und (über)strapazierte Gutenberg-Narrativ zu verwenden. Ein Blick auf die Buchgeschichte, so wie sie sich anhand der tatsächlich gedruckten Bücher darstellt, ist immer auch die Geschichte von Verlusten, nicht nur in Umbruchszeiten. Genauso ist sie aber auch eine Geschichte von großen Überraschungen und unkalkulierbaren Ereignissen. So stieg das territorialgeschichtlich unbedeutende Wittenberg im 16. Jahrhundert für mehr als 60 Jahre neben Köln, Paris, und Venedig in den Kreis der ganz großen Druckzentren auf. Das alles dank der Reformation und der Ideen Luthers, eines Autors der nicht in der Branche verwurzelt war, ihre Produkte aber geschickt zu nutzen wusste.

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