Ausstellungsbesprechungen

Die Eroberung der Straße. von Monet bis Grosz

Der Metropolenvergleich ist als Ausstellungsthema nicht neu. Was jedoch zur Zeit in der Frankfurter Schirn zu sehen ist, gehört zum beeindruckendsten, was das Thema zu bieten hat. Am Beispiel von Berlin und Paris folgen die Ausstellungsmacher – Vittorio Lampugnani als Profi für den Städtebau, Karin Sagner als Kennerin des Impressionismus sowie der Schirnmitarbeiter Matthias Ulrich – den Zusammenhängen von urbanen Komplexen und individuellen Vorstellungswelten.

Dabei geht es nicht so sehr um die Wechselwirkungen der vor 100 Jahren wichtigsten Städte Europas als um die Reaktionen auf jeweils andere Situationen: Paris wurde durch die Haussmannsche Neuordnung grundlegend umgekrempelt – Baron Georges-Eugène Haussmann verwirklichte unter Napoleon III. das Radial-Diagonal-System für den Kernbereich (etwa um die Oper oder um den Arc de Triomphe), was nicht ohne den Abriss unzähliger Wohnungen und damit nicht ohne soziale Härten abging. Diesem letztlich aber kühnen Unternehmen mit dem Impuls zur Aufbruchstimmung stand das besorgniserregende Wachstum der Stadt Berlin, das den Menschen eher Angst machte.

 

Die Faszination der Schau liegt zum einen am thematischen Zugang, der es erlaubt, neben bekannten Künstlern der Zeit auch Arbeiten zu zeigen, deren Schöpfer weniger bekannt sind – so wird der Parcours durch den schmalen Raumschlauch des Schirnmuseums zur Entdeckungsreise, die man gedanklich gehetzt oder flanierend begehen kann –; zum anderen nimmt der spannende Wechsel von genau beobachteter Malerei, charmant-unbeholfenen Stummfilmstreifen (u.a. von den Brüdern Lumière) mit den ersten motorisierten Gefährten neben den Pferdekutschen, kommerziellen Plakaten, brillanten Fotos und historischen Stadtkarten den Betrachter gefangen, entführt ihn in eine lebhafte, wenn nicht aufgewühlte Zeit, in der das Individuum schwer gefordert war: hin und her gerissen zwischen Dynamik und Bewegungsrausch da und den sozialen und privaten Katastrophen wie Zuhälterei oder Raubmord dort. Mit rund 300 Exponaten dürften die gewonnenen Eindrücke der damaligen Realität nahe kommen.

 

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Wie die Künstler auf den Schock der Moderne reagieren, kommt einem Wechselbad der Gefühle nahe. Suchen die einen, dem Impressionismus verpflichteten Maler, begeistert in den Nebelschwaden der an ihnen vorbeirauschenden bzw. -rauchenden Züge den eben erst verinnerlichten Natur- und Landschaftsblick zu »industrialisieren«, sprich den modernen Zeiten anzupassen oder die wogenden Menschenmengen auf den Boulevards zum Naturschauspiel umzudeuten, leiden die anderen am wachsenden und augenfälligen Elend in ihrer unmittelbaren Umgebung. Promenade und Gosse, Stadtschloss und Mietskaserne stoßen mit lauterem Getöse aufeinander als je zuvor.

 

Wie auch immer man den ungewohnten Trubel der Großstadt erfuhr, der Magie der Metropolen entgingen die Künstler allesamt nicht. Zwischen Monets Pariser Bahnhofsserie und Kirchners Berliner Straßenbilder entfaltet sich ein Panorama von Vergnügung und Verführung, Kommerz und Kritik, von Protestierern und Passanten. Wie sehr der Reiz sich fortpflanzte, sieht man an der dichten Liste der an der Schau beteiligten Künstler: Den Gipfel markieren Namen wie Fritz Bleyl, Pierre Bonnard, Gustave Caillebotte, Lovis Corinth, Honoré Daumier, George Grosz, Werner Heldt, Jacques Ignace Hittorff, Ernst Ludwig Kirchner, Ludwig Meidner, Adolph Menzel, Ludwig Mies van der Rohe, Claude Monet, Camille Pissarro, Henri de Toulouse-Lautrec und Félix Vallotton. Hier spiegeln sich zugleich die großen -Ismen vor und nach der Jahrhundertwende wider. Doch mehr noch als die großartigen Analysen dieser einzelnen Künstlerpersönlichkeiten vermitteln die vielen kleineren Meister ein Bild der Straße. Sie füllen die Abteilungen der Ausstellung – in Kapiteln greifbar wie »Boulevard und Straße«, »Urbane Inszenierung«, »Mobilität und Technik«, »Kommerz, Spektakel, Aufruhr«. Dazu seien stellvertretend genannt die Chronisten der Zeit, Jean Béraud und Gustave Dennery, sowie die grandiosen Maler Albert Birkle und Nikolaus Braun; Entdeckungen kann der eine oder andere machen bei den trefflichen Arbeiten von Hans Baluschek, Maurice  Delondre, Paul Paeschke, Carl Saltzmann und von vielen anderen mehr. Alle beteiligten Künstler unterstreichen signifikant das neue Selbstbewusstsein und auch die tiefe Skepsis der Großstadtwelt.

 

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Über die Schau hinaus lädt der imposante Katalog dazu ein, den in der Ausstellung gelegten Pfaden noch gründlicher nachzugehen. Die Kapiteln sind jeweils als Entree die zugehörigen Exponate mit Werkbeschreibungen beigegeben, gefolgt von sachkundig geschriebenen Essays zur Großstadtmalerei im Allgemeinen, zu Haussmanns Paris im Besonderen, über die Stadtplanungen in Paris und Berlin sowie über die das Stadtbild prägenden Verkehrswege und die Straßenarchitektur. Es mag sein, dass man in der Schau angesichts des Großstadtbilds als solchem die Straßen, um dessen Eroberung sich die Ausstellung ja stark macht, aus dem Blick verliert – spätestens mit dem Katalog ist man wieder auf der richtigen Spur.

 

 

 

Öffnungszeiten

Di., Fr.–So. 10–19 Uhr, Mi. und Do. 10–22 Uhr

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