Ausstellungsbesprechungen

Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, bis 26. November 2017

Dass die nun bis zum 26. November verlängerte, glanzvolle Mannheimer Päpste-Ausstellung ursprünglich am 31. Oktober enden sollte, dürfte kaum ein Zufall, sondern dem Bewusstsein einer epochalen Zäsur geschuldet gewesen sein. Denn wenn es stimmt, dass Martin Luther genau fünfhundert Jahre zuvor eigenhändig seine fünfundneunzig Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angenagelt hat, markierte dieses Ereignis den Anfang vom Ende der Einheit der lateinischen Welt. Mit der heraufziehenden Reformation büßte die römisch-katholische Kirche in großen Teilen Europas, vor allem im Norden, in dramatischer Weise ihre Autorität und ihren Einfluss ein. Die Ausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen im Mannheimer Zeughaus entfaltet in einem einzigartigen Panorama die Geschichte des Papsttums vom 1. Jahrhundert bis in die Zeit der Hochrenaissance – im Jahr des Reformationsjubiläums eine reizvolle Alternative zum allenthalben grassierenden Luther-Hype. Rainer K. Wick hat die Superschau besucht.

Das Konzept der Ausstellung zielt darauf, in einem großen Bogen tausendfünfhundert Jahre Papstgeschichte anschaulich zu machen und damit die lange Vorgeschichte darzustellen, die im frühen 16. Jahrhundert letztlich in die Reformation mündete und zum Verlust der Einheit der Kirche führte. Das ist ein gewaltiges, hoch ambitioniertes Unternehmen, das nur mit langem Atem, höchstem finanziellen Aufwand, großzügiger Unterstützung durch zahlreiche Sponsoren sowie mit besten Verbindungen zu Leigebern und herausragendem Sachverstand zu stemmen ist. Die Kosten für die Ausstellung belaufen sich auf rund 3,5 Millionen Euro, hochkarätige Exponate stammen aus dem Vatikan und anderen namhaften Museen, für die fachwissenschaftlich fundierte und zugleich visuell ansprechend inszenierte Schau zeichnen Museumsdirektor Alfried Wieczorek und der Heidelberger Historiker Stefan Weinfurter verantwortlich. Mit mehr als dreihundert, meist exquisiten Objekten ist die Ausstellung reich bestückt, doch handelt es sich, wie könnte es angesichts der geradezu grenzenlosen Fülle möglicher Exponate anders sein, um eine Auswahl, die nur nach dem exemplarischen Prinzip oder auch nach der Maxime »Mut zur Lücke« funktionieren kann.

Der über drei Stockwerke führende Ausstellungsparcours beginnt mit den Anfängen des Papsttums in der Antike. Eingebettet in den Kontext polytheistischer Praktiken im römischen Kaiserreich – von der Verehrung der aus Griechenland importierten Götterwelt über den ägyptischen Isis- und Osiriskult, den Mithraskult und den Kult des Sol invictus (unbesiegbare Sonne) bis hin zur kultischen Verehrung und postumen Vergöttlichung (Divinisierung) römischer Kaiser – schildern die Kuratoren die Entfaltung des frühen Christentums im alten Rom. Ob der »Apostelfürst« Petrus, auf den sich die Päpste bis auf den heutigen Tag berufen, tatsächlich bei der christlichen Urgemeinde in Rom geweilt hat und dort unter Nero als Märtyrer starb, ist historisch nicht gesichert. Gleichwohl genießt bei den Gläubigen seit dem 2. Jahrhundert eine Grabstätte am Vatikanischen Hügel die Verehrung als Petrusgrab, über dem später die frühchristliche Petersbasilika und im 16. Jahrhundert Neu-St. Peter errichtet wurde. Auf der Grundlage neuer Forschungen zeigt die Mannheimer Ausstellung als Auftakt die originalgroße Rekonstruktion dieser sogenannten Petrusmemorie, außerdem ist die berühmte Capsella di Samagher zu besichtigen, ein Elfenbeinkästchen aus dem 5. Jahrhundert mit der frühesten bekannten Darstellung der Petrusmemorie. Neben Petrus, dem Fels, auf dem der Überlieferung nach die christliche Kirche errichtet werden sollte, spielte auch Paulus für die Entfaltung des frühen Christentums in Rom eine maßgebliche Rolle, beide wurden als »Erneuerer Roms« gefeiert, und für die gemeinsame Darstellung der beiden »Apostelfürsten« entwickelte sich eine spezielle Ikonografie, wie mehrere Exponate in Mannheim belegen.

Im 4. Jahrhundert begann ein Prozess, der von der Tolerierung des Christentums unter Kaiser Konstantin bis hin zur Erhebung des neuen Glaubens zur Staatsreligion unter Theodosius führte . Die Kirche war nun nicht länger eine Kirche der Märtyrer wie in den Jahrhunderten zuvor, sondern eine Ecclesia triumphans, eine triumphierende Kirche. Architektonischer Ausdruck dieses Triumphs war in Rom die Errichtung großer Basiliken, so die von Konstantin initiierte, ursprünglich als Salvatorkirche (Erlöserkirche) gegründete Lateransbasilika (um 313), die als Mutterkirche des christlichen Abendlandes gilt, und die Grabeskirche Petri, also die alte Petersbasilika (Alt-St. Peter; nach 324), sowie die unter Theodosius begonnene und unter dessen Sohn Honorius Anfang des 5. Jahrhunderts vollendete Basilika St. Paul vor den Mauern. Die Mannheimer Ausstellung vermag den Besucher mit eindrucksvollen digitalen Rekonstruktionen sowohl der alten Petersbasilika als auch der Paulsbasilika virtuell in die damalige Zeit zurück zu versetzen.

Schon im 4. Jahrhundert haben die römischen Bischöfe, die sich in der Nachfolge Petri als Päpste verstanden, den »Primat« des Papsttums, also den Führungsanspruch innerhalb des gesamten Christentums, behauptet und mit Hilfe der römischen Rechtspraxis durchzusetzen versucht. Dass dies nicht selten zu Konflikten u.a. mit der byzantinischen (orthodoxen) Ostkirche führte, wird in Mannheim ebenso deutlich wie das Spannungspotential, das sich aus dem Anspruch von Papst Gelasius (492-496) ergab, dass die päpstliche Autorität über der königlichen Gewalt der weltlichen Herrscher rangiere – eine Konfliktlinie, die im Mittelalter über weite Strecken das Ringen zwischen Kaiser und Papst auch um die Frage der Investitur, also des Rechts auf Einsetzung geistlicher Amtsträger durch die weltliche Macht, bestimmte, und die mit Canossa (1076/77) ihren Höhepunkt und mit der Unterwerfung Barbarossas unter Papst Alexander III. im Jahr 1177 ihren vorläufigen Abschluss fand. Nun lautete das Motto: »Der wahre Kaiser ist der Papst«.

Ein anderes Konfliktfeld hatte sich im Hochmittelalter mit dem Aufruf Papst Urbans II. im Jahr 1095 aufgetan, Jerusalem und andere heilige Stätten des Christentums in Palästina von den Muslimen zu befreien. Zwar waren die Kreuzzüge, die fast zweihundert Jahre später mit dem Fall von Akkon 1291 endeten, aus christlicher Sicht insgesamt ein Misserfolg, doch dokumentieren sie den enormen Einfluss, den die Päpste im Osten auszuüben suchten. Dass man dabei auch vor der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1204 nicht zurückschreckte und dort mit nachträglicher päpstlicher Billigung ein bis 1261 bestehendes »lateinisches Kaiserreich« etablierte, gehört zweifellos zu den unrühmlichen Ereignissen in der Geschichte des Papsttums. Pilgerberichte und die anrührende Figurengruppe »Rückkehr vom Kreuzzug« aus der Abtei von Belval in Lothringen aus dem späten 12. Jahrhundert – ein Kreuzritter und seine Frau – erinnern in der Ausstellung an ein heikles Kapitel aus der Geschichte der römisch-katholischen Kirche.

Im 13. Jahrhundert konnte das Papsttum seinen Universalanspruch ausweiten. Nun galt die Devise: »Wo der Papst ist, da ist Rom«, was nichts anderes bedeutete, als dass die römische Kirche unabhängig von der Stadt Rom nur an die Person des Papstes gebunden sei. Der Papst verstand sich als eine Instanz geringer als Gott, aber größer als jeder Mensch. – Unter dem Stichwort »Exil in Avignon« kommen die Kuratoren ins 14. Jahrhundert, eine Zeit des Niedergangs des Papsttums, die vom Verlust päpstlicher Autorität, von der Abhängigkeit der Päpste vom französischen König, von ihrer Hofhaltung in Avignon, vom sogenannten Großen abendländischen Schisma mit mehreren rivalisierenden Päpsten und von der fortschreitenden Verwilderung Roms gekennzeichnet war. Mit dem Konzil von Konstanz (1414-1418) fand diese dunkle Periode des Papsttums ihr Ende. Papst Martin V. (1417-1431) zog 1420 in Rom ein, es begann der Aufstieg des Kirchenstaates zu einer mittelitalienischen Macht. Humanistisches Denken und der Geist der Frührenaissance erfasste auch die Päpste. Im Jahr 1458 wurde der Sieneser Enea Silvio Piccolomini als Pius II. zum Papst gewählt. Kurz danach begann er, seinen toskanischen Geburtsort Corsignano, den er inzwischen in Pienza (= Piusstadt) umbenannt hatte, durch den von Leon Battista Alberti geprägten Architekten Bernardo Rosselino in eine der frühesten Idealstädte der Renaissance umgestalten zu lassen. Es folgten Päpste wie Sixtus IV., der den Vatikan zum Zentrum päpstlicher Herrschaft ausbaute (früher hatte der Lateranpalast als Residenz gedient) und die Sixtinische Kapelle errichten ließ, Alexander VI. aus dem Hause Borgia, der den Ausbau Roms forcierte und, zu Beginn der Hochrenaissance, Julius II. (1503-1513), der Künstler wie Bramante, Michelangelo und Raffael beschäftigte und den Neubau der Peterskirche initiierte. Eine marmorne Porträtbüste Pius‘ II., Brustbilder einiger Renaissancepäpste auf Medaillen sowie Ölgemälde, u.a. Tizians Bildnis von Julius II. und eine Kopie nach Raffaels Porträt Leos X. mit den Kardinälen Giulio de‘ Medici und Innocenzo Cibo, gehören zu den Highlights der Mannheimer Schau.

Angesichts der Ausübung irdischer Macht, übertriebener Prachtentfaltung und nicht selten auch moralischer Unzulänglichkeit standen die Päpste häufig im Kreuzfeuer der Kritik. Vor allem im späten 12., zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden Reformbestrebungen, die auf eine Rückbesinnung auf die Urkirche und deren Ideale wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe, Gewaltlosigkeit und Besitzverzicht zielten. Widerstand gegen die Papstkirche kam von den Armutsbewegungen der Waldenser und Humiliaten in Norditalien oder den Katharern bzw. Albigenesern in Südfrankreich, und auch die Entstehung der Reformorden der Franziskaner und Dominikaner gehören in diesen kirchengeschichtlichen Zusammenhang. Anfang des 16. Jahrhunderts verschärfte sich insbesondere nördlich der Alpen die Kritik an den Päpsten, die sich wie Renaissancefürsten gebärdeten, dabei auch als Kriegsherren auftraten und die »strenge Kirchlichkeit« durch eine »veräußerlichte Religiosität« (Rudolf Lill) ersetzten. Abgesehen von theologischen Differenzen stieß im Norden der Ablasshandel zur Finanzierung großer päpstlicher Kunstprojekte, etwa des Neubaus der Peterskirche, auf schärfste Ablehnung, und den Papst sogar als »Antichrist« zu geißeln gehörte zur Kampfrhetorik mancher Papstkritiker – Luther eingeschlossen. Die Zeit war reif für die Reformation, die bald darauf ihren Siegeszug antrat. Mit dem reformationsbedingten Ende der »Einheit der lateinischen Welt« im 16. Jahrhundert endet auch der historische Bogen, den die brillante Mannheimer Ausstellung über einen Zeitraum von anderthalb Jahrtausenden schlägt.

Den Schlusspunkt der Schau markiert aber ein Blick in die Moderne. Gezeigt wird Francis Bacons beunruhigendes Bild »Papst II« von 1951, das der Künstler in Anlehnung an bzw. in Auseinandersetzung mit Velázquez‘ Papstporträt »Innozenz X.« schuf. Umhüllt von tiefer Dunkelheit erscheint hier der thronende Papst nicht als souveräner Repräsentant einer machtvollen, bis heute überdauernden und einflussreichen Institution, sondern als in einem Käfig Gefangener, der angesichts der Bürde des Pontifikats seinen Mund zu einem Schrei des Schmerzes oder gar des Entsetzens geöffnet hat und damit als Mensch erfahrbar wird.

Für jeden, der tiefer in die Materie eindringen möchte, ist das 544 Seiten starke Katalogbuch mit hervorragenden Abbildungen und genauen Objektbeschreibungen eine unverzichtbare Ergänzung zur Ausstellung. Besonders informativ sind die den einzelnen Kapiteln vorangestellten Einführungstexte des Mittelalterspezialisten Stefan Weinfurter, deren zusammenhängende Lektüre sich zu einem verlässlichen Kompendium der Geschichte der Päpste bis in die Zeit um 1500 fügt.

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