Kunstbücher für junge Leser

Die Visuelle Geschichte der Kunst. Gerstenbergs visuelle Enzyklopädie - Jugendausgabe. Gerstenberg, 2006. Für Jugendliche ab 14 Jahren.

Dieser Titel steht in einer mittlerweile zwölfbändigen Reihe von Jugendenzyklopädien, die in ihrer Gestaltung den veränderten Sehgewohnheiten der vernetzten, digitalen Medienwelt Rechnung trägt: allen voran das allgemeine »Visuelle Lexikon« und in der Nachfolge u.a. »Das Visuelle Lexikon der Umwelt«, »... der Weltreligionen«, »... der alten Kulturen«, »... der Neuzeit« u.a. Die Enzyklopädie erfüllt durch den Mix aus kenntnisreichen längeren Texten und kleineren, themen- oder bildbezogenen Info-Häppchen sowohl alle Anforderungen eines praktischen Nachschlagewerks als auch den Anspruch, einen umfassenden Überblick über die unterschiedlichen Facetten der weit verzweigten Kunstgeschichte zu bieten – immer mit dem Ziel, Querverbindungen herzustellen und strukturelles Sehen zu trainieren.

Tatsächlich mag man mit dem Blättern gar nicht aufhören: Spielend erschließen sich die Themen und Zusammenhänge, nicht zuletzt durch die über 1000 Abbildungen, die den Stoff lebendig werden lassen und gerade einem jungen, museumsungeübten Publikum Anreiz zur Auseinandersetzung geben. Beim Durchstöbern erfahren sie gleichsam nebenbei, wie Kunst entsteht, welche Hintergründe und Techniken – etwa wie Blattgold gemacht oder Glas gefärbt wird –, und welche Bedeutungsinhalte sich hinter dem Schaffen der Architekten, Bildhauer und Maler verbergen.
Die Kehrseite dieser Informations- und Bilderfülle ist die teilweise wenig überzeugende Qualität der Abbildungen, was jedoch auch dem niedrigen Preis zuzurechnen ist, und eine gewisse optische Unruhe, die wiederum den Sehgewohnheiten der Jugendlichen ab etwa 14 Jahren entspricht.
Der Parcours durch die Welt der Kunst von der Steinzeit bis zur Moderne ist in neun Kapiteln angelegt. Jedes Kapitel beginnt mit einer vierseitigen Darstellung der jeweiligen Epoche, darauf folgen unterschiedlich viele Doppelseiten mit den für das Jahrhundert typischen Themenkreisen. Die britischen Autoren verlassen sich nicht allein auf die kunsthistorischen Kategorien, sondern bauen kleine Bildinterpretationen und knappe Einzelbiografien ein, und legen großen Wert darauf, die künstlerischen Techniken darzustellen, vom Umgang mit den Materialien bis zur Bildkomposition. Dadurch wird deutlich, wie Künstler immer wieder zu einer neuen Sicht auf die Dinge beigetragen haben.
Einstieg und Orientierung erleichtert eine historische Zeittafel mit den Epochen der Weltkunst beginnend bei der Frühzeit 35.000 v. Chr. Im einleitenden Kapitel geht es zunächst um die Ursprünge der Kunst, um Entstehung, Begriffsbestimmung, Bildersprache und Funktion der vorgeschichtlichen Kunst. Das zweite Kapitel liefert einen Überblick über die Kunst der außereuropäischen Hochkulturen wie Ägypten, Alter Orient, Indien und Mittelamerika. Im dritten Kapitel beginnen dann die 2000 Jahre Geschichte der westlichen Kunsttradition mit der griechischen, römischen und byzantinischen Antike als Europas zentraler Bezugspunkt.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem europäischen Mittelalter im Hinblick auf die Neuerungen, die bereits auf die Kunst der Neuzeit verweisen, etwa die Freskotechnik, der Wert von Farben, Buntglas und Gold; auch auf einzelne herausragende Persönlichkeiten wie Giotto und die Brüder Limburg wird der Fokus gerichtet.
Einen Schwerpunkt bildet das fünfte Kapitel mit dem Zeitalter der Renaissance. Hier gibt es viele Exkurse, in denen einzelne Aspekte oder Personen besonders beleuchtet werden, wie zum Beispiel das Handwerk des Künstlers, dessen Verhältnis zum Auftraggeber, die Erfindung der Perspektive, Harmonie und Schönheit, versteckte Zeichen und natürlich auch das Genie Leonardos und Michelangelos.
Die beiden Kapitel über die Zeit des Barock, des Klassizismus und der Romantik erläutern, wie sich in der Kunst unter dem Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen wie der Aufklärung in Philosophie und Wissenschaften spezielle »Fächer« herausbilden. Auch hier wird der Blick auf Charakteristika der Epochen wie Licht und Schatten, Kurven und Spiralen, Bühne und Theater, Stillleben und Landschaftsbild, Goethes Farbenlehre oder satirische Bilder gelenkt.
Das achte Kapitel bildet einen weiteren deutlichen Schwerpunkt mit dem 19. Jahrhundert und seinen zahlreichen Auswirkungen der Industrialisierung auf die Künste. Im Mittelpunkt steht hier die ungebrochene Popularität der Impressionisten, deren Techniken und Sujets wegweisend waren. Neben Exkursen zu Mäzenen und Förderern, Anregungen aus Japan und dem Malen im Freien, werden auch zeitgemäße Themen wie Stadt und Garten, Leben in den Cafés oder die Abgründe der Seele unter die Lupe genommen.
Das letzte, verhältnismäßig kurz geratene Kapitel ist der Moderne des 20. Jahrhunderts gewidmet, deren Bedeutung erst im Vergleich mit der Kunst des 19. Jahrhunderts deutlich wird als Zeit des ständigen Experimentierens und radikalen Infragestellens von traditionellen Kunstvorstellungen. Hier geht es u.a. um Themenkreise wie der Rolle des Zufalls, Farbe und Musik, subtile Täuschung, neue Materialien oder assoziative Bilder. Und es zeigt sich einmal mehr, dass besonders die vielen Querverweise hilfreich und anregend sind, etwa wenn auf Parallelen zwischen einer Raumskulptur der Land Art und einem frühgeschichtlichen Bodenrelief hingewiesen wird – beide durch Abbildungen vertreten und vergleichbar.
Diese beeindruckende Welt der Kunst endet mit ausführlichem Künstler- bzw. Werkverzeichnis, einem Lexikon der Schulen und Stilrichtungen inklusive Übersichtsgrafik mit den wichtigsten Schulzusammenhängen sowie Namen-, Sach- und Ortsregister.

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