Ausstellungsbesprechungen

Egon Eiermann, Die Kontinuität der Moderne

Für die einen ist Egon Eiermann (1904–1970) der vielgerühmte Architekt, der der im Krieg zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin ein neues Gesicht gegeben hat (1957–63), für die anderen ist er der eher geschmähte Schöpfer der Formsteinfassaden der Merkur-/Horten-Kaufhäuser in Stuttgart und Heidelberg – die wie der Name des Konzerns selbst mittlerweile verschwunden sind. Zum 100. Geburtstag feiert die Städtische Galerie in Karlsruhe den Architekten mit der bislang größten Retrospektive, die den Baumeister und Designer, Lehrer und Juror in all seinen Facetten präsentiert.

Mitverantwortlich zeichnet das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe, das das Werkarchiv des Berliner Architekten bewahrt, was die Ausstellung in der badischen Metropole erklärt – die im Anschluss vom Bauhaus-Archiv in Berlin übernommen wird. Der Name des Poelzig-Schülers, neben Hans Scharoun einer der wichtigsten Architekten in der Bundesrepublik der 50er- und 60er-Jahre, ist verbunden mit prominenten Bauten im Auftrag des Staates: Pavillons der Brüsseler Weltausstellung (1958); Deutsche Botschaft, Washington (1958–64); Bundestagshochhaus, Bonn (1965–69). Erst die Ausstellung macht fast schmerzlich bewusst, dass ausgerechnet Karlsruhe, wo Eiermann von 1947 bis zu seinem Tode als Professor lehrte, kaum ein wichtiges Bauwerk des Architekten hat – zwei unscheinbare Nutzbauten an der Peripherie hat er hier hinterlassen. Seine Wirkung als Lehrer ist in der Stadt unbestritten: Von weit her pilgerten die Architekturadepten nach Karlsruhe, um Eiermann zu hören.


In all seinen Werken setzte der dem Bauhaus verpflichtete Eiermann auf klare, einfache Formen und logisch gegliederte Details; seine durch Umgänge leicht und unter Einsatz verglaster Wandteile transparent wirkende Architektur setzte Maßstäbe, die einem Aufatmen nach der faschistisch-schwerfälligen Architektur des Dritten Reiches gleichkam – die Eiermann bereits in den 30er-Jahren unterlief, indem er anstatt staatstragenden Protzbauten funktionalistische Industriebauten schuf. (Hier gab sich das Regime durchaus aufgeschlossen; nebenbei gesagt, war Albert Speer ein Studienkollege Eiermanns im Poelzig-Kreis.) Von der Märkischen Metallbau-Fabrik (Oranienburg, 1936) lassen sich bruchlos Verbindungslinien bis hin zum Neckermann-Komplex in Frankfurt (1958–61) ziehen, wie er überhaupt hier bereits die Architektur der 50er-Jahre vorwegnahm. Zuweilen gelang ihm sogar unter den kritischen Augen der NS-Betonköpfe, ein neoklassizistisch anmutendes Privathaus nach seinen undogmatisch-eleganten Vorstellungen zu bauen (Wohnhaus Vollberg, Berlin, 1938–42), allerdings konnte er die konstruktiven Grundsätze des Berliner Hauses Hesse (1931/32) nicht mehr uneingeschränkt umsetzen, die auch die Gestaltung der Inneneinrichtung mit einbezog.

 

 

 

 

 

Sicherlich war es ein unglücklicher Ausrutscher, den der Architekt nach dem Krieg mit dem Stuttgarter Neubau anstelle des legendären Kaufhauses Schocken von Mendelsohn beging, doch sollte man über die Untreue gegenüber seinem eigenen Formethos und ästhetischen Anspruch hinaus die marktwirtschaftlichen Aspekte nicht außer Acht lassen: Wer etwa in den 60er-Jahren im Stuttgarter Raum groß geworden ist, dem war oft genug die Keramikformstein-Fassade des Horten-Komplexes vertrauter und für das Stadtbild prägender als die Weißenhofsiedlung und vielleicht sogar der Tagblattturm – und obwohl längst aus dem Stadtbild verschwunden, haben sich das abstrakt-blumigen Fassadengewebe im Gedächtnis erhalten. Vielleicht nahm man dem Architekten dieses Bauwerk auch nur deshalb übel, weil Eiermann, der ausdrücklich »unter allen nicht perfekten Dingen« litt, allzu dickköpfig seine Ideale von der »großen Harmonie« und der »inneren Wahrheit« vertreten konnte. Außerdem muss man ihm zugute halten, dass der Konzern sich mächtig in den Bau einmischte.

Ästhetische Meilensteine mit nationaler Symbolkraft wurden dagegen der deutsche Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 mit seiner demonstrativen Leichtigkeit und Transparenz sowie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin (1956–63), die jedoch nur einer glücklichen Fügung willen ihren Ensemblecharakter erhielt; Eiermann wollte den »Steinhaufen« des zerbombten Turmtorsos aus der Welt schaffen, die Bevölkerung wehrte sich dagegen, erfolgreich: Der Architekt brachte die Steinruine und seine neugebaute Stahlskelettkonstruktion, die an seine Pforzheimer Matthäuskirche erinnert, in einen Dialog, der im Zuge der Vergangenheitsbewältigung und der Etablierung der jungen Demokratie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, wesentlich getragen von einer neuen Bescheidenheit, die in den Nachbarländern Sympathien einbrachte. Nicht zuletzt ist die Kirche eine moderne Interpretation gotischer Kathedralen (vor allem in der Innenwirkung mit über 20000 farbigen Gläsern) wie auch der mittelalterlichen Campaniles und Baptisterien (in der äußeren Erscheinung)

 

 

Neben Modellen, 3D-Animationen und Vorlesungsmitschnitten zeigt die Städtische Galerie Zeichnungen, Skizzen und Fotos sowie die von Eiermann entworfenen, zeitlos gefälligen Möbel auf einem schier endlosen Ausstellungstisch, darunter besonders Hocker, geflochtene Schalensessel und preiswerte, stapel- und klappbare Massenstühle (so den dreibeinigen Sperrholzstuhl SE 42), auf denen man es sich auch heute, über ein halbes Jahrhundert nach seiner Einführung, noch bequem machen kann – zudem sind diese Nutzobjekte (bis hin zum sakralen Klingelbeutel) Inbegriff der Schönheit.

 

Ein großes Lob gebührt nicht nur dem Konzept und der Ausstellungsarchitektur, die Walter Nägeli verantwortet, sondern auch den Katalog-Machern, die einen hochinformativen, prächtig bebilderten Band herausgebracht haben, der 24 ausgewählte Werke gründlich vorstellt und nicht zuletzt durch eine herrliche serifenlose Schrift (Foundry Form Sans) zum Lesen einlädt (die gewichtigen Beiträger wie Wolfgang Pehnt u.a. tun freilich das ihre dazu). Die Ausstellung wird im Anschluss an die Karlsruher Schau im Bauhaus-Archiv Berlin (29. Januar bis 16. Mai 2005) präsentiert.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Mi–Fr 10–18 Uhr

Sa + So 11–18 Uhr

Mo + Di geschlossen

Feiertage zum Jahreswechsel wie Sa/So (geschlossen nur am 24. und 31.12)

 

 

Eintritt

Einzelperson EURO 5,-- / erm. EURO 4,--

Kinder bis 15 Jahre frei

Gruppenermäßigungen ab 10 Personen


 

Öffentliche Führungen

Sa, So und an Feiertagen 15 Uhr (Gebühr EURO 1,50)

Do Kurzführung 12.15 Uhr

Gruppenführungen nach telefonischer Voranmeldung (Gebühr EURO 70,-- zuzgl. Erm. Eintritt)

 

Tel.: (0721)1334411

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