Porträts

Eigentlich unpolitisch: Der Künstler Christoph Faulhaber

Der Künstler Christoph Faulhaber wurde mit seinen unkonventionellen Aktionen bekannt. Als »Mister Security« überwachte er die amerikanische Botschaft in Berlin und brachte damit die Sicherheitsbehörden gegen sich auf. Doch jetzt wird es zunehmend ruhiger um den Filmemacher. Wirklich? Nein, nach wie vor ist Faulhaber umtriebig. Ein Porträt von Luise Schendel.

Eigentlich ist er unpolitisch, ein Normalo. Zumindest sagt Christoph Faulhaber das von sich selbst. Sonst redet er nicht viel. Es ist stickig an diesem Spätsommertag vor vier Jahren. In dem Industriegelände »Auf AEG« in der Nürnberger Peripherie haben sich zahllose Galerien und Kunstvereine versammelt, um die wichtigsten künstlerischen Positionen einem breiten Publikum ans Herz zu legen. Neben Klamotten im Retro-Stil der fünfziger Jahre und Blütenbildern aus weiblichen Schößen schlendert langsam ein nicht mehr ganz junger Mann durch die weitläufige Halle. Ab und an streicht er sich gedankenverloren über die Stirn, das weiße T-Shirt, das er trägt, ist bereits durch zahllose graue Flecken zu einem Abbild von Klima und Gemütszustand geworden. Die Ruhe täuscht. Innerlich scheint Faulhaber nervös, überprüft mit zittrigen Händen die Technik, nestelt an einem silbernen Kugelschreiber. Gleich soll eine kleine Pressekonferenz mit ihm gegeben werden, doch bis jetzt haben sich nur zwei Kunstenthusiasten in dem kleinen schwarzen Pavillon eingefunden. Gleich wird Faulhaber seine bisherigen Arbeiten auf der Leinwand hinter ihm zeigen, und der Raum sich füllen. Mit jedem zusätzlichen Gast wird sich die schlaksige Gestalt des Künstlers ein wenig mehr straffen.

Quer durch die deutsche Medien- und Kunstlandschaft ist der gebürtige Osnabrücker vagabundiert, hat dann und wann ein unpolitisches Statement gesetzt. Unvergessen bis heute seine Aktionen, in denen er die US-Sicherheitspolitik auf ihre Wirksamkeit hin testete, indem er als »Mister Security« die Botschaft der Vereinigten Staaten überwachte. Ein Coup, der durch die Presse ging. Aber auch unpolitisch? Das ist nicht so einfach. Faulhaber ist ein Querulant, einer, der mutig genug war, sich der öffentlichen Hand entgegenzustellen, als alle anderen, paralysiert durch die Anschläge des 11. September, kaum noch die immer massiver ausgeweiteten Sicherheitspraktiken kritisierten. Einer, der es immer wieder schaffte, das richtige Maß politischer Grenzen zu überschreiten; ein bisschen Profilneurose mochte auch dabei gewesen sein. Und einer, der dank seiner künstlerischen Performances auf der roten Liste der Geheimdienste stand, Einreiseverbot in die USA inklusive. Doch seit einiger Zeit ist es still geworden um den Mann, der noch vor Jahren die Überwachenden überwachte. An Untätigkeit liegt das nicht. Immer wieder bereitet er neue Kunstaktionen vor, immer wieder legt er, Jahre vor den NSA-Enthüllungen Edward Snowdens, den Finger in die Wunde derjenigen, die Faulhaber als Gegenspieler ausgemacht hat. Das sind mal Politiker, mal das ganze gesellschaftliche System oder auch nur Teile davon.

Zuletzt hatte er es ab und an in die Presse geschafft, als er übergroße Fassadenplanen im Stil des NS-Architekten Alfred Speer vor das deutlich kleinere linke Hamburger Aktivisten-Haus, die Rote Flora, gesetzt hatte. Der Grund: das Haus, das nun saniert werden sollte, stand einst für das Großbürgertum, ebenso wie für den Geschmack der Nazi-Zeit. Eine kleine Reiberei mit der Geschichte, der sich der Künstler stellte, ein Spiel mit den Emotionen und dem Selbstverständnis der Links-Aktivisten, das, dank Absprache, niemals wirklich zu kippen drohte. Das kein wirklicher Aufreger sein konnte. Große Wellen schlug auch die Umsetzung deshalb nicht. Gerne hätte der Performer in dem Projekt etwas gesehen, das »Vision und Wegbereiter« hätte sein können, das vielleicht sogar das Potential zur selbsterfüllenden Prophezeiung gehabt hätte. Doch der Knalleffekt verpuffte beinahe unbemerkt in den zumeist linken Berichterstattungen. Er, der niemals politisch sein wollte, er, der aufrütteln wollte, ist nun selbst in den Dornröschenschlaf gesunken – umgeben von einer dichten, selbstreferenziellen Dornenhecke aus Phrasendrescherei, allzu subtiler Gesellschaftskritik und einer Plakativität, die sich längst selbst überlebt hat. Es ist ein schwieriger Kurs, den Faulhaber eingeschlagen hat. Denn das Eis, auf dem eine Künstler-Karriere steht, ist oft dünn und fragil. Ein Schritt in die falsche Richtung kann einen Genickbruch bedeuten. Zu lange auf der Stelle zu treten, mehrt die Wahrscheinlichkeit unterzugehen. Faulhabers Chance besteht darin, sich dem Problem zu stellen und einen neuen Weg einzuschlagen. Doch es scheint die passende Idee zu fehlen.

Als der Performer seine Aufsehen erregenden Filme zu Beginn der 2000er Jahre drehte, war das politische und gesellschaftliche Klima ein anderes. Es war geprägt von einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber den plötzlich allgegenwärtigen Kameras und Sicherheitskräften, eine Reaktion auf die Angst, die die Terroranschläge auf das World Trade Center entfacht hatten. Fast schien es, als sei dies die Ruhe vor dem Sturm. Doch der blieb aus. Zumindest bot das schwelende Unbehagen Möglichkeiten für künstlerische Interventionen. Und die saßen. Vor allem dann, wenn sie von Faulhaber kamen. Noch heute hängt ihm der Ruf des so gar nicht unpolitischen unbequemen Opportunisten nach. Doch die Zeiten haben sich geändert. Zunehmend entlädt sich die politische Unzufriedenheit der Menschen in extremen verbalen und physischen Exzessen, das Internet scheint zur beinahe rechtsfreien Zone zu mutieren. Innerhalb der Datenkrake lässt es sich als Künstler schwer medienwirksam positionieren, wenn die hergebrachten Mittel – nämlich Enthüllung, Schock und Belustigung – im Angesicht der Informations- und Meinungsflut nicht mehr greifen. In dieser neuen, aufgeklärteren Welt scheint einer wie Faulhaber zu leise, zu subtil. Ein Opfer des menschlichen Schwarmverhaltens, dem er den Spiegel vorhalten wollte und das ihn doch zur Nebenfigur an Randschauplätzen machte.

Der Preis für den kurzen Ruhm war hoch. Er fühle sich ständig verfolgt und überwacht, heißt es in der Kunstszene. Sogar seinen Wikipedia-Eintrag sicherte er penibel vor den »Suchern« ab, um nicht manipuliert werden zu können. Faulhaber lebt schlechtestenfalls das Leben eines Flüchtlings, bestenfalls das eines Agenten im Dienste der Gesellschaft. Vielleicht spielt der Künstler auch nur mit der Selbstinszenierung als Verfolgter. Die Wahrheit liegt sicher irgendwo dazwischen. Die Frage ist, ob es nicht Zeit ist für eine nostalgische Verklärung der frühen 2000er, für ein Revival dieser trügerischen, pulsierenden und zum Zerreißen gespannten Ruhe vor dem Sturm, in der alles möglich und zumindest fast alles erlaubt schien. Und für mehr nicht allzu kopflastige Subtilität a lá Faulhaber, für eine Schlichtheit im künstlerischen Signet. Davon berichtet er auch an jenem Tag vor vier Jahren, als Faulhaber sich in Nürnberg den Fragen des Publikums stellt. Ob er denn einen theologischen Ansatz mit seinen Arbeiten verfolge? Wie er darauf käme, sich in Gefahrensituationen zu bringen? Der Künstler nimmt sich Zeit zum Überlegen, zupft sich zwischendurch den Dutt zurecht, den er mit kleinen glänzenden Haarspangen fixiert hat. Faulhaber wirkt mit seinen gewählten, offenen Gesten nur allzu menschlich. Und dann bringt er es auf den Punkt. »Eigentlich wollte ich mich nicht in Gefahr bringen. Ich bin eigentlich nur ein ganz normaler Mensch, der sein Leben leben will. Das war so nicht geplant.« Ebenfalls nur allzu menschlich. Und irgendwie kein bisschen politisch.

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