Ausstellungsbesprechungen

Ein bisschen Apokalypse

Die Leipziger Halle 14 zeigt derzeit die Ausstellung »Das Hybris-Projekt. Hochmut und sisyphale Vergeblichkeit«. Bis zum 16. August demonstriert sie eindrucksvoll, dass auf den Hochmut unweigerlich der Fall kommen muss. Luise Schendel hat sich lustvoll entmutigen lassen.

Graue Wolkenkratzer ragen in den Himmel. In zahllosen Fenstern spiegelt sich das Licht, verleiht der geisterhaften Plattenbau-Kulisse den Anschein von Lebendigkeit. Doch es ist eine sterile, unbelebte Welt, in die der deutsch-norwegische Filmemacher und Künstler Björn Melhus die Handlung seines Filmes »Freedom & Independence« verlegt hat. Dort, vor der Kulisse eines Istanbuler Neubauviertels, schickt er seine marionettenähnlichen Protagonisten »Herrn Freiheit« und »Fräulein Unabhängigkeit« (beide stark überzeichnet gespielt von Melhus selbst) auf Entdeckungstour durch die weitläufige und, wie sich bald herausstellt, von ihnen selbst geschaffene Welt. Es ist eine aufgeräumte, scheinbar postapokalyptische Szenerie, unterlegt mit elektronischer, pulsierender Musik, in der der Mensch keinen Platz mehr findet. In der er an seinem Wunsch, wie Gott zu sein, und seiner eigenen Schöpferkraft längst gescheitert ist. Da ist sie wieder, die ganz zeitgemäße und politische Komponente, für die Melhus‘ Werkschaffen bekannt ist. Mit kabarettistischem Gespür und pechschwarzem Humor führt er den Betrachter in eine von den Protagonisten in hautenger Fahrradfahrer-Montur geleiteten gesellschaftliche Utopie, die in letzter Konsequenz die Frage nach der Relevanz der Religionen und der Demut für den Fortbestand der Zivilisation stellt. Und die immer wieder auf‘s Neue um die Grenzen menschlichen Handelns rotiert. Überhaupt: Wie lange Freiheit und Unabhängigkeit in der so vertrauten künstlichen Umgebung der Plattenbauten existieren können, bleibt abzuwarten. Denn wie es zu der seltsam unbelebten Welt kam, erfährt der Betrachter nicht. Überhaupt bleibt der Film Antworten schuldig. Antworten auf die großen Fragen der Menschheit und die kleinen nach der Motivation des Künstlers. Melhus sucht sich mit seinem Film einen anderen Zugang zum Betrachter – einen ästhetischen. Irgendwo zwischen den Sportklamotten der »Freiheit« und der »Unabhängigkeit«, der sakralen Verschleierung einer heiligen Jungfrau und der schwarzen viktorianischen Kluft eines Sadisten findet der Künstler in verschiedenen Rollen Anknüpfungspunkte an die Darstellungsformen der gegenwärtigen Popokultur. Der Eindruck sitzt, mindestens bis zum Heimweg.

Schließlich ist es kein Zufall, dass das Werk auch als Geräuschkulisse durch die Ausstellung »Das Hybris-Projekt. Hochmut und sisyphale Vergeblichkeit« in der Leipziger Halle 14 wabert. Während der Deutsch-Norweger humorvoll und fatalistisch mit der Entfremdung des Menschen von sich selbst und der Überhöhung seiner Ideale vexiert, legt sich der düstere Klangteppich auch über die Arbeiten der anderen neun Künstler. Lucy Glendinnings »Feather Child 3« beispielsweise. Das auf dem Boden zusammengekrümmte Wachs-Kind ohne Gesicht und Identität verzichtet auf jegliche Abstraktionen. Es spricht durch seine Haltung, durch den weichen Federflaum, der es bedeckt. Nicht umsonst bedient sich Glendinning in ihrer Arbeit eines bekannten Motivs. Der geflügelte Held Ikarus, der Inbegriff von Hochmut und Vergeblichkeit seit der Antike, er ist in der Halle 14 bereits gestürzt. Nicht, dass er sich verbrannt hätte; diese Federn sind niemals der Sonne zu nahe gekommen, wie es der ursprüngliche Mythos besagt. Nein, dieser kleine unbekannte Ikarus, dieser Jedermann und Niemand, er ist an anderem gescheitert. Vielleicht an der Gesellschaft, vielleicht an sich selbst. Oder an beidem. Wieder und wieder dreht sich die Leipziger Schau um Mahnendes und Fatalistisches. Um menschliche Umwege und Abwege. Um Überhöhung und Überschätzung und dann doch wieder um das simple, ur-menschliche Streben nach dem undefinierten »Mehr«. Um Auswege bleibt das »Hybris-Projekt« allerdings verlegen. Ein ums andere Mal setzen die Kunstwerke an einem Punkt an, in dem eine Umkehr undenkbar erscheint.

Wenn Tobias Regensburger sein Vehikel »Camp«, eine monumentale Installation, die auf einem Hubschrauber aufbaut, in die Halle 14 setzt, bekommt der Begriff des Fatalismus eine vollkommen neue Bedeutung: Zusammengestückelt aus Zivilisationsmüll, wartet Regensburgers Basislager darauf, die menschliche Idee von Bewegung und Stillstand, von Sicherheit und Freiheit neu zu hinterfragen. Doch trotzdem im ersten Moment das Kunstwerk solide und funktionstauglich erscheint, ist es beim zweiten Hinsehen fragil gebaut. Zwischen den einzelnen Teilen wurde Luft gelassen, das Heck fehlt fast zur Gänze, der Schleudersitz hat auch schon bessere Tage gesehen. Ohne Frage ist diese zivilisatorische Errungenschaft zum Scheitern verurteilt. Wiederum wird auf dem Standpunkt apokalyptischer Ausweglosigkeit die Schwarzseherei zelebriert. Aber mit der nötigen Freude an der Kunst, natürlich. Um so viel kuratorischen Hochmut im Angesicht sisyphaler Vergeblichkeit lassen sich die Ausstellungsmacher der Halle 14 nicht prellen. Und dann, ganz am Rande, vielleicht sogar ein bisschen verschämt, bahnt sich mit Pinar Yoldas‘ Druck »Regnum Alba« doch noch ein Ausweg aus der endzeitlichen Misere an: Weiße Rehe, weiße Krokodile. Die Künstlerin skizziert eine Fauna ohne Farben. Collageartig passt Yoldas Fotografien genmutierter Tiere zu einem innigen Familienbild der etwas anderen Art zusammen. Einem, auf dem der Mensch nicht zufällig fehlt.

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