Ausstellungsbesprechungen

Elfriede Lohse-Wächtler. Paula-Modersohn-Becker Museum, Bremen, bis 3. Mai 2009

Sie gehört zu den großen Unbekannten, obwohl sie schon Ende der 1920erJahre die Kunstlandschaft mitgestaltete. Man könnte sich die Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler, eigentlich Anna Frieda Wächtler, in einer Runde mit Dix und Grosz vorstellen – aber ihr Name bleibt heute außen vor.

Eine traurige Bekanntheit kommt ihr dagegen zu als Insassin der Psychiatrie – wie Zigtausende Leidensgenoss(inn)en wurde sie 1940 von den Nazis ermordet, wie so viele, die man in grenzenloser Menschenverachtung als »lebensunwertes Leben«, als »nutzlose Esser« erst so kaputt machte, wie die selbsternannten Richter über das Wohl und Leid anderer behaupteten, dass  sie es  seien.

Geboren wurde Elfriede Lohse-Wächtler 1899 in Löbtau bei Dresden, wo sie die Kunstgewerbeschule besuchte und sich den dortigen Sezessionisten anschloss. Deren Expressionismus machte sie sich zueigen, um ihren Weg zu einem Verismus zu finden, der die Wirklichkeit drastisch überzeichnete. Eheliche Probleme und Geldnot warfen sie aus der Bahn und brachten sie 1929 in psychiatrische Behandlung. Hier entstanden die außerordentlich starken »Friedrichsberger Köpfe«, gefolgt von einer grandiosen Schaffensphase, die jedoch mehr und mehr gebremst wurde von psychischen Rückschlägen. Nur waren die Zeichen der Zeit nach 1933 andere und Lohse-Wächtler wurde nach Pirna-Sonnenstein deportiert, entmündigt, zwangssterilisiert.

Conrad Felixmüller und Otto Dix wussten um die Begabung ihrer Kollegin, die in vielen Techniken zu Hause war: Modedesign, Batik, Ölmalerei, Aquarell, Radierung, Holzschnitt und Lithografie. Ihrer Umgebung musste sie schon von ihrem Äußeren her und mit ihrer politischen Gesinnung auffallen: Kurzhaarschnitt, Pfeifenrauch, Spartakus – mit ihrem Pseudonym Nikolaus Wächtler vollzog sie den Schritt in die Männerwelt. Sie hatte wohl eine enorme Persönlichkeit, die ihr schließlich jedoch gebrochen wurde. »Ich allein weiß, wer ich bin«, dichtete sie, was man als selbstbewusstes Signal lesen konnte, aber zugleich auch als Hilferuf, wenn man anstatt »Ich« das Wörtchen »allein« betonte. Ergreifend sind nicht nur die vielen Selbstporträts, die Ausdruck größter Verzweiflung sind, sondern auch die Arbeiten an sich, die vielfach während der Klinikaufenthalte entstanden und seismografische Dokumentationen der seelischen Befindlichkeit darstellen.

Die Künstlerin geriet in Vergessenheit, erst eine Hamburger Ausstellung entdeckte sie 1959 wieder. Es dauerte allerdings bis 1994, bis ihr Werk vom neu gegründeten Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler e.V. betreut und systematisch untersucht wurde. Im Jahr 2008 nahm sich das Zeppelin Museum in Friedrichshafen ihrer an und zeigte eine umfassende Schau, die nun in Bremen ihre zweite Station macht.

Das Museum, das sich dem Werk Paula Modersohn-Beckers verschrieben hat, setzt mit der Ausstellung einen weiteren Höhepunkt in einer losen Reihe mit Entdeckungen wichtiger Künstlerinnen im frühen 20. Jahrhundert – erst im vergangenen Herbst zeigte das Haus Arbeiten von Jeanne Mammen (1890–1976), die auch in den 1920er-Jahren ihre Wurzeln hat. Etwas weiter zurück liegt die Gruppenausstellung »femme flaneur« über die Bandbreite der auch von den Frauen mitgeprägten, mehr oder weniger Golden Twenties.

In den rund 80 Arbeiten wird gerade hier – mehr noch als in Friedrichshafen – die schonungslose, fast aggressive Sicht auf die Welt der Nutten und halbseidenen Vierteln deutlich: Das Werk der Modersohn-Becker wirkt dagegen bei aller Eigenständigkeit und bei dem hart erkämpften Selbstbewusstsein harmonisch. Im Hamburger Milieu war die Puff-Chefin Lissy eine feste Größe – Elfriede Lohse-Wächtler zeigt sie in grellorangefarbenem Kleid, zigarettenbewaffnet, mit dem tabulosen Blick eines Dix (und vor den geilen Blicken der Freier). Verena Borgmann, die Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bremer Museums, die für diese Stationsschau verantwortlich zeichnet, betont die Darstellung des weiblichen Geschlechts, was schon deutlich wird mit der ersten Begegnung: Selbstporträts weisen den Weg in das weithin noch unbekannte Schaffen von Lohse-Wächtler. Zugleich entdeckt der Besucher die Vielfalt des Werks, das nicht nur technisch alle Register zieht, sondern auch die Bandbreite von sachlicher Detailtreue in Öl bis zum flüchtig-lichthaltigen Aquarellstil zeigt. Im Anschluss an die »Friedrichsberger Köpfe«, die auch den Wahnsinn thematisiert, weitet sich die Themenbreite auch auf landschaftliche und städtische Motive, etwa mit Hamburger Hafenszenen, aus. Insgesamt bleibt die Schau allerdings ganz im zeitlichen Kontext, ohne den das Werk nicht denkbar ist.

Auch wenn Lohse-Wächtler ihre eigene Nacktheit darstellt, muss man sich den Skandal vor Augen führen, den Paula Modersohn-Becker provozierte, als sie rund 15 Jahre zuvor ein Aktbild von sich selbst präsentierte. 
 


Weitere Informationen
 


Öffnungszeiten
Di–So 11–18 Uhr
(Ostermontag geschlossen)
 

Katalog
Der Katalog zur Ausstellung ist bei Wasmuth erschienen. Nähere Informationen zum Titel sowie die Bestellmöglichkeit finden Sie unten im Buchtipp.
 

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