Ausstellungsbesprechungen

Ereignis Weimar

Ein Aufsteller im Schloßhof warb bis in den späten Herbst 2007 hinein für die "Seit Jahrzehnten … umfassendste Ausstellung zur Klassik in Weimar". Sie war mehr als umfassend, der Publikumserfolg jedoch blieb ihr aus. Langweilig klingt schon der Titel: »Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und das Entstehen der Klassik 1757 bis 1807«. Der geflügelte Genius mit rotem Schriftband in der Hand, das sich zum Wortpaar »Ereignis Weimar« verschlingt, schwebt heiter vom Deckengemälde der Anna Amalia Bibliothek zum Besucher herab.

Das Ausstellungslogo, mit dem der Putto herumwedelt, verkündet nämlich das Ergebnis einer umfassenden Methodendiskussion, die Historiker und Germanisten im Vorfeld des Projektes »Ereignis Weimar – Jena. Kultur um 1800« zur Klärung des Begriffs Klassik ausgeklügelt haben. Neues Ergebnis ist: die Klassik vom ästhetischen Stilbegriff zu lösen und sie als sozial determinierten Epochenbegriff zu interpretieren. Sie umfasst ein halbes Jahrhundert, von 1757 bis 1807. Klassik beginnt mit der Vormundschafts-regierung von Herzogin Anna Amalia und der Geburt ihres Sohnes Carl August. Der Tod der Herzogin  im Jahr 1807 beendet diese Epoche.

Im Verlauf der fünfzig Jahre haben sich unter den historischen Konstellationen im Fürstentum Sachsen - Weimar – Eisenach viele Fäden verknotet, sind zu einer Art Fitz zusammengezurrt, den die Initiatoren das »Ereignis Klassik« nennen. Doch wird dieser Begriff ausschließlich im Katalog erläutert. Wie soll aber der Besucher erfahren, was das »Ereignis Weimar« bedeutet? Er erfährt es nicht. Er müsste denn die Anstrengung auf sich nehmen, im Einleitungskapitel die langatmige Begriffsbestimmung der Geschichtswissenschaftler kennen zu lernen. Ereignis  definieren sie, dass sich die gewöhnlich nebeneinander her laufenden Entwicklungsfäden unter besonderen Umständen zu einem Knoten schürzen. Dieser Knoten steht hier sinnbildlich für das »Ereignis«. Das sonderbare Knotengeflecht  stellt die Herausforderung, es nach allen Seiten hin zu untersuchen. Abgelöst werden mit diesem Ereignisbegriff ältere Methoden, die Historiographie und die Strukturgeschichte.

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Das Adjektiv »Glücklich« (HA X 538) verschönt das Weimarer »Ereignis«. Wie sich Goethe und Schiller 1794 in Jena zueinander und zu einer Freundschaft im Geist zusammen finden, nennt Goethe das »Glückliche Ereignis«. Die Veranstalter interpretieren »glücklich« noch weiter: Gemeinsam geplant. werden die Horen. Schiller erhält in Jena eine Professur für Universalgeschichte. Kants Philosophie findet an der Universität Interpreten.

In 31 Sälen des Weimarer Schlosses von Friedrich Gentz wurde die Epochenproblematik ausgebreitet und in. 23 Themen abgehandelt, in denen die  Geschichte der Fürstenhäuser Wettin und Braunschweig - Wolfenbüttel von der Reformation bis zum Rheinbund  im Mittelpunkt stehen. Große Zeitläufe bleiben im Halbdunkel. Die Scheinwerfer richten sich nur auf das halbe Jahrhundert von 1757 bis 1807. Die Ausstellung wurde ausgerichtet von der Klassik - Stiftung Weimar in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 482 »Ereignis Weimar - Jena. Kultur um 1800«. Das ist ein Projekt der Friedrich – Schiller – Universität Jena mit dem Prädikat: Exzellenzforschung. Der materielle und personelle Einsatz war über das Maß. Das Team um Dr. Jonas Maatsch hat im Verlag Koehler und Amelang ein bemerkenswertes Ergebnis vorgelegt.

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Wer ist schon in der Lage, die im Katalog abgehandelten, schwierigen Sachverhalte für einen Ausstellungsrundgang zu handhaben? Damit ist jeder, ob interessierter Laie oder Fachmann überfordert. Was hätte man tun müssen, um die Sache zum Event zu machen? Eine Forderung, der sich heute jedes Museum stellen muß. Das vollendete Konzept und Material  hätte man am Ende in die Hände von Ausstellungsspezialisten geben müssen, die  jede Sache zum Event hochstilisieren können. Ein Ausstellungs-architekt, der in diesen und jenen Raum einen Nachbau von Anna Amalias Gartenpavillon aus dem Tiefurter Park hineinsetzt, hat es nicht gebracht. Das »Ereignis Weimar« findet, das ist die Überraschung, im Katalog und nicht in der Ausstellung statt.

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Es geht um die Neusicht auf die beiden Fürstenhäuser, um Ausbildung und erste Regierungsjahre der Fürstin Anna Amalia und des Herzogs Carl August, das Scheitern und die Neuorientierung der Jenenser Universität, Carl Augusts Initiativen zur Gründung des Fürstenbundes, Anna Amalias Italienreise, Kunstgeschichte und Kunsttheorie in Weimar, das Hoftheater, den Klassizismus, das Römische Haus, um den Ausklang »Weimar als kultureller Großmacht«. Ein fulminantes Programm und Material, das hier archivalisch gehoben und erschlossen worden ist.

 

Worum geht es bei der Neubewertung?

Lange Zeit ist das Geschehen um die Weimarer Klassik aus seiner historischen Umgebung herausgelöst und als Stil literaturwissenschaftlich definiert worden. Der Klassik folgte die Romantik nach. Beide Stile gelten als Gegensatzkonzepte. Die Klassik erscheint wie ein Gruppenbild mit den Porträts der bekannten »großen Vier«: Herder, Wieland, Goethe und Schiller. Diese Männer haben sich - nach der alten Auffassung - in Weimar beherzt zusammengetan und weitgehend unabhängig vom Fürstenhof die »Weimarer Klassik« ins Leben gerufen. Manche Forscher gingen so weit, zu sagen: ja, die Vier haben - wie tapfere Selbsthelfer – ihre Erfindung  dem Hof geradezu abgetrotzt. In der Folge dieses Schöpfungsaktes hat die Weimarer Klassik Weltruhm erlangt. Die Veranstalter wollen gemeinsame Quellen für beide Strömungen sehen. Die Ausdifferenzierung der Aufklärung im Mozartjahr spielt zur theoretischen Fundierung des Klassikbegriffs gewiß auch eine Rolle.

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Friedrich Schlegel hat den Begriff »Classic« in den »Philosophischen Fragmenten« 1797 erstmals gebraucht. Es geht darum, den Weg der Weimarer Klassik zu ihren historischen Wurzeln hin zu führen. Auch die Verbindung der Residenzstadt Weimar zur Jenenser Universität war unterbelichtet. Jedoch haben gerade diese »zwey Enden einer großen Stadt...« (Goethe) das Ganze hervorgebracht. Universalität der Bildung kennzeichnet die Klassik. Goethe war nicht an sich irgendwie universell, als universellster Denker ist er aus der Klassik, dem »Glücklichen Ereignis«, hervorgegangen.

Heute weiß man, dass diese These nicht eine Erfindung der DDR aus den 50er Jahren ist, der zufolge Antike, Renaissance, Bauernkrieg und Klassik folgerichtige Höhepunkte aller Zeiten waren. Das war auch nur ein Anknüpfen an die ältere Literaturwissenschaft.

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Es folgt der Versuch, die höfische Personage aus Weimar in den Mittelpunkt zu rücken. Erklärte Helden der Ausstellung sind »Anna Amalia« und »Carl August« (S.18). Wegen ihrer Vernachlässigung  in der DDR und wohl schon vorher sollten sie  wie ein Phoenix aus der Asche aufsteigen. Doch  bleibt hier alles halbherzig. Die Berührungsängste vor diesen Fürsten sind offenbar immer noch immens. So heißt es einleitend zu diesem Kapitel erst einmal: »Eine zentrale Rolle im Werden des Ereignisses Weimar kommt ganz fraglos Goethe zu.« (S. 18) »Und doch ist nicht Goethe Titelheld der Ausstellung, sondern es sind Anna Amalia und Carl August.« 

Enttäuscht hat mich die Annäherungen an unsere Helden durch das Duzen. Um sich mit ihnen auf gleiche Stufe zu stellen, nennt man sie beim Vornamen. Ist das nicht noch so wie in der DDR? Man duzte sich grundsätzlich. Man fühlt sich damit so einfach unter gleichen. Die Herzogin Anna Amalia von Sachsen – Weimar - Eisenach, eine Fürstin aus dem ältesten Reichsadel und Herzog Carl August werden grundsätzlich nur Anna Amalia und Carl August genannt.

 

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Das reiche Material ist in Vitrinen präsentiert. Darin bleibt es tot. Folglich bleiben auch die Helden starr. Die Fürstin, Tochter von Herzog Carl I. von Braunschweig, kommt aus einem bedeutenden Haus. Ihre Mutter Philippine Charlotte ist die Schwester Friedrichs II. Die Großtante Elisabeth Christine d. Ä. war die Gemahlin Kaiser Karls VI., Mutter von Kaiserin Maria Theresia. Wo bleibt das Spannende dieser  Familienverhältnisse? Anna Amalia ist in Wolfenbüttel und Braunschweig mit der Bibliothek ihres Vaters aufgewachsen, seit der Renaissance eine der größten Fürstenbibliotheken im Reich. In Weimar hat sie alsbald die Bücher aus der Wilhelmsburg in das Grüne Schloß überführt, der Grundstein der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Die hat den Bibliotheksbestand damit gerettet. Denn 1776, kurz nach Auslagerung, brennt die Wilhelmsburg aus. Eine überzeugende Verbildlichung des genius loci ist in der 3D–Animation zur Wilhelmburg durch die Vorgängerin des Gentz, Baus, aus der Bennert MonuMedia Gruppe in Weimar gelungen.

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Diese Bücher, ein Schatz der Nation, sind 2004 - in Friedenzeiten - durch Brand vernichtet worden. Die Fürstin genoß eine musikalische Ausbildung und sie komponierte. In der Musik verfügte sie über große Kennerschaft wie das Singspiel »Erwin und Elmire« zeigt. Nie auf gleiches Niveau brachte sie es in der bildenden Kunst. Diese Unterschiede werden nicht ausgesprochen. Ihre Zeichnungen bleiben im Katalog und in der Ausstellung unkommentiert, als ob sie Meisterwerke der Kunstgeschichte seien.

Von Anna Amalia ausgestellt sind Teile der berührenden biographischen Notiz »Meine Gedanken« aus dem Anfang der 70er Jahre. Was hätte man aus diesen, nur  teilweise transkribierten Seiten, und einigen anderen Lebenszeugnissen aus früher Jugend  alles machen können, um ein lebendiges Persönlichkeitsbild der Fürstin zu erlangen? Dazu wären aber noch andere Fachleute sowie eine andere Herangehensweise nötig gewesen. Ernst Berger gab doch alles Material her für eine Darstellung der Persönlichkeit von der Fürstin. Doch die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der Präsentation. Spürbar ist eine auffällige Ängstlichkeit davor, näher an das historische Material durch Interpretation heranzurücken. Man glaubt, die Quellen allein sprechen für sich. Der Betrachter müsste doch erfahren können, was für eine Frau die Fürstin war. Was heißt: ihr Witwenstand ab 19 Jahren galt als »Tabu«. Gab es Heiratsanträge. Von  wem, weshalb und warum? Wie sah sie wirklich aus, wie groß war sie. Wie redete sie. Es gibt viele Tagebücher und Briefe von Zeitgenossen mit Hinweisen darauf, wie sie sich im Umkreis des Hofes und mit Künstlern, mitunter völlig unkonventionell, gab. In der Ausstellung wird meist nur die altmodische Variante favorisiert: vielleicht verkrüppelt, nicht schön.

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Ettore Ghibellino zitiert einen Zeitgenossen: Sie »sieht wohl aus, hat eine spirituelle Physiognomie, ... schöne Hände (ihre wunderbare Hand nach dem  Lebendabguß Abb. Katalog 002)..., spricht sehr schön, aber geschwind und hat in ihrem ganzen Wesen viel Angenehmes und Einnehmendes.« Das alles erfährt man nicht. Klarer wird dargelegt, dass die Fürstin in ihrer Jugend als Nachgeborene nicht für das Regierungsgeschäft ausgebildet war. Sie hat bei aller Mühe diese Fertigkeiten nicht nach erwerben können. Aber sie war eine ehrgeizige, intelligente Frau. Die minderjährige Witwe mit zwei Kleinkindern schaffte es, gegen alle politischen Widerstände mit Hilfe ihres Vaters die Obervormundschafsregierung 15 Jahre bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes erfolgreich zu übernehmen. »Sie wollte alles mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören«. Nichts ist ihr zu viel. Von Tag zu Tag stürzte sie sich in die politischen Geschäfte. Zu Beschlüssen gibt es nur eine Unterschrift, nämlich die der Herzogin. Ihr Erfolg nimmt zu. Ihr Land, durch die steuerrechtlichen Gesetze des Gothaer Fürsten im Reich auf dem neuesten Stand, trägt sie weiter. Zwar gelingt es nicht, die übernommene Verschuldung abzubauen. Der Siebenjährige Krieg bringt noch mehr Not ins Land.

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Die Ausstellungsmacher geben keine geschlossenen Bilder, sie bevorzugen die Präsentation von Mosaiksteinen, Versatzstücken. Der Interessierte muß sich der Mühe unterziehen, aus Briefen, Bildern und Dokumenten ein Leben zusammen zustellen. Das gelingt nicht. Als Grundhilfen für diese dem Betrachter aufgebürdete Anstrengung geben sie die langweiligsten Fragen. Kennen wir sie nicht schon vom Marxismus/Leninismus?: »Waren die Regenten immer Triebkräfte der Ereignisse oder waren sie Getriebene?« (S. 19) »Was verstanden sie wirklich von geistig-kulturellen Neuerungen.« (S. 19) So heißt es, dass Carl August sich zum Atheismusstreit um Fichte verhalten habe wie Goethes Zauberlehrling: »Die ich rief die Geister/Werd ich nun nicht los«. ( S.19) Damit wollen die Ausstellungsmacher doch sagen, dass die Fürsten im Grunde genommen fast nichts verstanden haben von den hohen Geistesfürsten, mit denen sie sich umgeben haben.

In Universitätsangelegenheiten ist man auch sehr forsch gegen den Fürsten Carl August vorgegangen wenn es um den Atheismusstreit und um Fichtes Entlassung aus dem Dienst der Universität ging. Carl August hat in Absprache mit Goethe auf eine Anzeige aus dem Reich reagiert. Wie konnte sich ein Landesherr mit dem großen Querdenker Fichte auf eine Stufe stellen. Welche Folgen hätte das für ihn gezeitigt?

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An anderer Stelle wird klar, dass dieser Fürst über eine überragende Bildung verfügte. Ursache dafür lag darin, dass er wegen der Gefahr, die dem kleinen Land droht - im Fall seines frühzeitigen Tod und anderem möglichen Versagen - seine Jugend unter der Aufsicht des »Geheimen Rates« und des Landes stand, eine europaweit einmalige Situation.

Davon müßte doch etwas aufleuchten. Auch sollte die Stellung des Herzogtums Weimar innerhalb des Reichs noch andere Facetten tragen. Manche Linien zum Kaiserhaus nach Wien werden zwar angedeutet wie die Bestätigung der Obervormundschaftsregierung Anna Amalias durch den Kaiser, aber die Kontexte fehlen. Alles bleibt blass.

 

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Der Musenhof

In der Regierungszeit beider Fürsten entfaltet sich jene Kultur, Kunst und Sprache, der wir bis heute anhängen, der wir seitdem wenig Neues hinzugefügt haben, um die uns alle Welt beneidet.

Die Geringschätzung des Fürstenhauses Sachsen – Weimar - Eisenach als Geldgeber und Mäzen reicht schon bis zur Erfindung der These von Anna Amalias Musenhof in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Die These vom Musenhof wird vom Forschungsteam der Jenenser Universität zurückgefahren. Weshalb? Der Hof mit der Fürstin Anna Amalia aus dem Haus Braunschweig - Wolfenbüttel und Carl August von Sachsen - Weimar - Eisenach, beides Glanzgestalten höfischer Kultur, gestaltete sich zum  Mäzen und Förderer einer neuen Geisteshaltung. Herzogin Anna Amalia beruft Denker an ihren Hof, die Habenichtse waren und stellt sie in Lohn und Brot. Erstmals auf Grund ihrer Anstellung bei Hof haben mit Johann August Musäus, Christoph Martin Wieland,  Johann Gottfried Herder, Christian Ludwig von Knebel und Friedrich Schiller  die Stimmen von Geistesschaffenden als Prinzenerzieher, Pfarrer, Beamte und Universitätsprofessoren Gewicht erhalten. Dieses Konzept hat es an keinem europäischen Hof gegeben.

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