Ausstellungsbesprechungen

Ernst Barlach und Käthe Kollwitz. Leopold Museum, Wien, bis 25. Mai 2009

Die Macher der Wiener Barlach-Ausstellung, an der Spitze ihr Kurator Rudolf Leopold, waren sicher überrascht, dass Ernst Barlach bislang in Österreich kaum präsent war – und so können sie nun mit umso größerem Elan die umfangreichste Retrospektive des Expressionisten in der Alpenrepublik zeigen. Und geht man durch die Ausstellung, glaubt man den Stolz auch zu spüren: Auf Sockeln platziert, defiliert der Besucher an den Plastiken vorbei, als gälte es huldvoll Bekanntschaft zu machen mit den grobschlächtigen, selbst noch als Bronzeplastik wie geschnitzt wirkenden Figuren.

Ein interessanter Zugang: Vorbereitet auf eine sozial engagierte Kunst Ernst Barlachs, der nach 1906 seinen Stil gefunden, unter dem Eindruck eines Russland-Aufenthalts das menschliche Elend zum Thema seiner Plastik gemacht hatte, registriert man im Wiener Leopold-Museum, rund hundert Jahre danach, zunächst die noblen weißen Podeste, die die Arbeiten in einem feineren Licht erscheinen lassen, als es der Urheber je geplant haben dürfte. Es mag auch die hermetische Architektur des Museums und die melancholische Jugendstilwelt Klimts und Schieles vorort mit hereinspielen, dass dadurch das Barlach-Werk auf den ersten Blick einen Jahrhundertwende-Drive zum Symbolistischen hin bekommt – um dann doch ganz authentisch eine Vielfalt an Facetten zu präsentieren, die man gar nicht erwartet hätte: das in sich gekehrte Sein im »Wiedersehen (Thomas und Christus)« auf der einen Seite, der unaufhaltsam heranbrausende »Rächer« auf der anderen Seite.

Mit seinem Umzug nach Güstrow 1910 geht auch ein Wandel im Werk Barlachs einher. Die groben Züge, die vielleicht auch in der Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Theodor Däubler gründen – Barlach selbst gehört zu den besten Theaterdichtern des Expressionismus – , geben einer Innerlichkeit nach, die im massiven und doch schwebenden Güstrower Engel gipfeln. Dem Verleger Reinhard Piper sagte er: »In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen habe. Hätte ich so etwas gewollt, wäre es wahrscheinlich missglückt.« Die Kollwitz, die Barlachs Werk bereits um 1916 kennenlernte, bewunderte ihrerseits den Bildhauer, was unverkennbar in ihr eigenes Schaffen eingeflossen ist – ohne dass sie ein Porträt Barlachs gemacht hätte. Ihr Thema waren letztlich die Mütter, die etwa im Krieg oder im sozialen Elend die noch größeren Verlierer(innen) waren als die Männer, denen sie ein Denkmal gesetzt hat in dem von Gerhart Hauptmanns Drama inspirierten Zyklus »Die Weber«. So wundert es nicht, dass Kollwitz von Anfang an den Krieg verabscheute, während Barlach erst durch die Erlebnisse zum Pazifisten wurde – manche Arbeiten wirken fast martialisch. So innig Ernst Barlach menschliche Beziehungen zu gestalten wusste, die sinnliche Tragödie des menschlichen Daseins, wie Käthe Kollwitz sie schuf, erreichte er nicht.

Käthe Kollwitz ist in der Ausstellung klein geschrieben, während Barlach in versaler Größe steht – nicht nur im Begleitheft. Der graziöse Ausstellungsparcour, den der renommierte Architekt Gustav Peichl für die Plastiken des Bildhauers geschaffen hat, bietet gute Ausblicke von den Plastiken als Wegmarken zu den grafischen Arbeiten und auch zum Werk der Grafikerin und Bildhauerin Kollwitz. Sie aber wird dabei eher als abseitsstehend wahrgenommen, was schade ist: Wie gut hätte man beide Werke unmittelbar miteinander verbinden können, um eine Zwiesprachesituation zu schaffen – etwa mit Selbstporträts oder mit plastischen Arbeiten, die die Härten Barlachs mit der weichen Oberflächenbehandlung bei Kollwitz konfrontiert hätten. Allerdings erlaubt die lockere Platzierung der Plastiken, die örtliche Trennung der Werke gedanklich aufzulösen, wodurch man sie mit größtem Gewinn im Gesamteindruck auch oder überhaupt wieder verbinden kann.

Die Ausstellung wurde in Kooperation mit dem Ernst-Barlach Haus Hamburg – Stiftung Hermann F. Reemtsma konzipiert. Insgesamt sind 115 Werke von Barlach und rund 50 Arbeiten von Käthe Kollwitz zu sehen. Anstatt eines Katalogs ist ein schmales Begleitheft erschienen.
 

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