Ausstellungsbesprechungen

Ernst Wolf – Malerei. Unmittelbarkeit und Ambivalenz, Galerie Anja Rumig, Stuttgart, bis 28. Mai 2011

Für Ernst Wolf bedeutet Realität Totalität aller Widersprüche. So fügen sich in seinen Bildern unterschiedlichste Situationsfragmente zu einer vielschichtigen, komplexen kompositionellen Einheit. Günter Baumann hat sich das Ganze für Sie besehen.

Die Malerei erlebt seit geraumer Zeit spannende Entwicklungen, die weit über die Initialschulen in Düsseldorf, Leipzig oder anderswo hinausgehen. Während die gegenwärtigen Künstler für gewöhnlich ihr Profil im Grenzbereich zwischen figurativ-gegenständlichen und abstrakten Positionen schärfen, sucht Ernst Wolf die innermenschlich-abstrakte Linie zwischen rationalen und irrationalen Prämissen zu ziehen. Das ist eine Gratwanderung, die ihresgleichen sucht, könnte man sie doch mit einer Zusammenführung eines der ungegenständlichen, suprarationalen Gemälde Gerhard Richters mit einem Streifenbild von Daniel Buren vergleichen.

So unwahrscheinlich eine derartige Kollision wäre, so wenig ist das bloße Gedankenspiel schon verlockend genug: Gehen widersprüchliche Tendenzen ineins? Können ambivalente oder disharmonische Verhältnisse auch ein gemeinsam klingendes »Verhältnis« eingehen? Mehr noch: Liegt es gerade in der Natur des Menschen, widerstreitende Facetten in ein und demselben Körper – und sei es notgedrungen – zuzulassen oder sogar in eine Balance zu bringen, will man denn mit sich im reinen sein? Dazu korrespondiert jedes Denkbild bewusst oder unbewusst schon mit einem Gegenbild. Um nur bei den genannten Künstlern zu bleiben: Gerhard Richter hat kein Problem damit, abstrakte neben gegenständlichen, expressive neben nüchternen Bildern zu malen; die Klarheit Burens verliert sich im installativen Raumeindruck und kippt in irrationale Wahrnehmungen um. Man muss nicht erst die vorgeschichtlichen Konfrontationen von Kosmos und Chaos bemühen, um das menschliche Gedankenuniversum als einen faszinierenden Schmelztiegel widerstreitender Reaktionen zu interpretieren.

Ernst Wolf malt nicht einmal so und einmal anders, wie es Richter mühelos tut, er spielt auch nicht mit der Wahrnehmung des Betrachters, indem er bravourös bei diesem Bildeindrücke schafft, die zugleich rational und irrational sind. Er legt beides in gleichmütigem Mit- und Nebeneinander innerhalb eines Bildes an, variiert in den Farben und Formen, rhythmisiert zuweilen in mehrteiligen Serien, oft in Diptychen. Mit einem spektakulärem Farbempfinden vermag Wolf verhaltene Sfumati neben harten Buntfarben zu setzen. Er scheut sich nicht, Grauflächen gegen Rosa und lichtes Orange zu setzen und in einem minimalistischen Schema zu ordnen, das mit einem freien Farbenspiel konfrontiert wird. Assoziativ entdeckt man Anklänge an Sean Scully auf einer nahezu spröden Palette, dann wieder an den späten Claude Monet, und zwar da, wo sich florale Motive in die Farbfelder mischen. Es wäre allerdings nicht angemessen, hier allein die bloße Peinture zu würdigen.

Die Dominanz der Abstraktion weist schon darauf hin, dass die Natur-Reminiszenzen eher an seelische Landschaften rühren, dass es um die vielberufenen »zwei Seelen in der Brust« geht, die der menschlichen Natur geschuldet sind. Die Sinnlichkeit in der Farbkomposition verhindert zudem jegliche formale Statik, die dem Minimalismus oft eigen ist. Der 1948 geborene Ernst Wolf mag ein Geheimtipp sein, doch die Ausstellungen in den vergangenen Jahren und seine Präsenz etwa auf der Karlsruher Messe zeigen, dass die atemberaubende Vielfalt seiner Kunst für Entdeckungen reif ist.

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