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Eröffnungsrede zur Ausstellung: Neue Räume. Karl-Heinz Bogner und Jürgen Kottsieper. Galerie Kränzl, Gaienhofen-Horn, bis 25. Oktober 2009

Günter Baumann gibt eine gründliche Einführung in die Kunst von Karl-Heinz Bogner und Jürgen Kottsieper, gehalten als Rede zur Vernissage der Ausstellung.

Karl-Heinz Bogner ist ein Architekt, der malt, als sei er ein Zeichner. Das hört sich nun so an, als wollte ich kalauern, aber weit gefehlt – obwohl ich gestehe, dass der Satz etwas schief ist und zu kurz greift. Aber mal im Ernst: Bogner, geboren 1966 in Stuttgart, ist tatsächlich studierter Architekt, hat sich dann früh entschieden, sein tektonisches Startpotential in die Fläche zu übertragen. Spuren der Malerei zeigen sich in den fein nuancierten Schattierungen, in der reduzierten, zuweilen kaum sichtbaren Farbigkeit. Beides tritt dezent zurück vor der Linie, die umso klarer ihre Position behauptet, auch da, wo Fläche an Fläche trifft. In diesem Fall ergibt sich die Linie, ohne dass der Künstler sie als solche gesetzt hätte.

Es wäre nun allzu billig, die Zeichenkünste von Architekten zu loben. Der Zeichenstift gehört schließlich zum Rüstzeug des Baumeisters, auch wenn mittlerweile atemberaubende Computerprogramme die Arbeit unterstützen. So passt das Werk von Karl-Heinz Bogner nicht so recht in dieses Gedankenspiel: Was wir hier sehen, ist weder Vorskizze noch Bauzeichnung, und es geht Bogner nicht darum, bestehende Architektur darzustellen, zu dokumentieren. Nehmen wir also die akademische Herkunft mal beiseite und beginnen neu: Karl-Heinz Bogner ist ein Zeichner, der in der mehr oder weniger malerischen Fläche Bilder von Architektur schafft. Wohlgemerkt, es scheint mir schon wichtig, dass es nicht nur Raum ist, den der Künstler vor unseren Augen erstehen lässt, sondern ein zeichnerisch umbauter Raum. ...

Faszinierend ist die Konzentration, mit der Bogner bei der Sache ist. In ganzen Serien erarbeitet er sich seine Positionen, die in den vergangenen Jahren mal mehr ins Plastische, mal mehr ins Malerische gehen, aber immer auf einem Weg der strengen Reduktion: Wie weit kann man diese zum Äußersten bringen und zugleich ein Optimum an Spannung erhalten? Ich kenne nur wenige Künstler seiner Generation, die ihr eigenes Werk so sehr und so gewissenhaft hinterfragen wie Bogner. Da kommt ihm schon zugute, dass er architektonisch vorgeprägt ist. Er lotet die Dimensionen mit einer Sensibilität für Farbe und Raum aus, die nahe an das perfekte Bild an sich heranführt – und ich behaupte, dass diese Arbeiten deshalb so spektakulär sind, weil sie dieses Idealbild nur im Gesamt der – letztlich unendlichen – Variationen erahnen lassen. Bogner ist Perfektionist, aber er ist Künstler genug, um dem Spiel einen weitgehend freien, aber dennoch gezügelten Lauf zu lassen. Dies, meine Damen und Herren, ist übrigens eine klassische Position, die auf Friedrich Schiller zurückgeht. Es sollte uns also nicht erschrecken, wenn wir mit gegenstandsloser Kunst umgehen – die Fragen an die Kunst ändern sich gar nicht so gravierend, so unterschiedlich auch immer die Antworten ausfallen. Die Medilanski-Bilder sind da nicht so weit davon entfernt.

Doch zurück zu den Dimensionen, unsere Ausstellung heißt ja schließlich »Neue Räume«. Die zeichnerischen Arbeiten auf Leinwand hatte ich vorhin schon vor Augen – es sind die bislang strengsten Arbeiten von Karl-Heinz Bogner. Sie sind eindeutig abstrakt. Und doch gelingt es dem Künstler, eine Räumlichkeit in diese Bilder hineinzuzaubern, dass wir glauben, architektonische Details zu sehen. Versuchen Sie sich eine Stahl-Glas-Architektur vorzustellen, nehmen wir beispielsweise einen Bau von Mies van der Rohe, sozusagen bauhausnah. Plötzlich können wir mit nahezu fotografischer Schärfe kubusförmige Baukörper, Geländer, Balkone wahrnehmen, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als eben raffiniert auf der Leinwand verteilte Linien und Flächen. Freilich: die Assoziationen sind gewollt. Wer behauptet, auf abstrakten Bildern sei nichts drauf, täuscht sich.

Dazu kommen Großformate, der Ausdehnung nach Horizontbilder von bis zu 2,70 Meter Breite, die ihre Räumlichkeit aus einer patchworkhaften Vielschichtigkeit beziehen. Anders als bei den scheinbaren Raumkonstruktionen aus vorwiegend senkrechten, waagerechten und gezielt gesetzten schrägen Linien legt Bogner durchscheinende Flächen über- und nebeneinander, die den malerischen Elementen mehr Entfaltungsmöglichkeiten gewähren. Erst auf den zweiten Blick nimmt man das auch hier wirkende Liniengeflecht wahr. Vom nicht ganz echten Patchworkbegriff zur ausgemachten Collage sowie zu einer Collagen-Sonderform, die Bogner 3-D-Bilder nennt, ist es nur ein kleiner Schritt. Um meinen etwas verklausulierten Satz vom Anfang zu parodieren, füge ich hinzu: Karl-Heinz Bogner ist – auch – ein Maler unter den Architekten, der das Bauwerk als gezeichnete Skulptur begreift. Es sind verwandte Serien – fast hätte ich gesagt: Seelen. Zwei Seelen in der Brust. Denn die verschiedenen Nuancen sind gewichtig. Zum einen experimentiert Karl-Heinz Bogner entschieden mit Farbe, aber in der Technik der Collage beschränkt er sich selbst und den malerischen Gestus. Zum anderen kaschiert er nicht den Pinselstrich, der ein gazeartiges Lineament von Senkrechten und Waagerechten aufweist. Zudem kann man eine Collage als Minimalform des Reliefs ansehen, dessen Schnittkanten wiederum Linien erzeugen: Wenn man so will, ist sogar bei entsprechendem Lichteinfall eine Schattenlinie inbegriffen. Das mag man für spitzfindig halten, aber nimmt man die jüngsten Arbeiten dazu, öffnen sich die erhaben aufgebrachten Collagenschichten zur dritten Dimension, zur Plastik hin.

Bogner tastet sich meisterhaft über die Zeichnung zum Architekturmotiv hin. Zugleich haben wir gesehen, wie er das Motiv zum Objekt weiterentwickelt. Um es vorweg zu nehmen: Die Raumkörper, die Sie hier sehen, sind im Prinzip flächenunterstützte Zeichnungen mit anderen Mitteln. Versuchen Sie nämlich die Plastiken der »Eremitagen«-Serie mit ihrer Konstruktion aus Stegen und Platten in der Fläche zu sehen, erkennen Sie, wie nahe dran sie an den Arbeiten auf Papier und Leinwand sind. Nur ist er hier, in seinen filigranen, hochsitzähnlichen Objekten, nicht mehr in erster Linie Zeichner oder Maler, sondern Bildhauer oder trefflicher gesagt: Architekturplastiker. Während Karl-Heinz Bogner in seinen Werken in der Regel auf Titel verzichtet, will ich ganz kurz auf diese sogenannten Eremitagen eingehen. Wir kennen sie als kleine architektonische Refugien in spätbarocken Schlossanlagen, deren Hang zum Gesamtkunstwerk aus Palast, Garten, Skulptur und Hecken, oder auch als kleine, karge Einsiedeleien, in denen der Alltag zugunsten einer inneren Einkehr ausgeklammert ist. Hier will ich nur auf den mönchisch-asketischen Stil hinweisen, in dem die meisten Arbeiten Bogners gehalten sind. Aber darauf will ich bestehen: Karl-Heinz Bogner ist kein weltflüchtiger Sonderling, der sich hermetisch abschottet, im Gegenteil, er steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität, fest verortet. Das steht nicht im Widerspruch zu seinem Werk, macht es ihm vielleicht erst möglich, mit dieser kompromisslosen Hingabe über den Raum als utopischen Ort, als nüchterne Konstruktion, als Rückzugsgebiet oder als Gedankengeflecht nachzudenken.

Das Wort »Gedankengeflecht« will ich als Anlass nehmen, den zweiten Künstler in unserer Ausstellung zu würdigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie müssen mir nachsehen, wenn ich vom einen Werk noch kaum zu Ende war zu schwärmen, dass ich mit wehenden Fahnen zu einem anderen faszinierenden Werk komme: Der etwas ältere, 1954 in Wuppertal geborene Jürgen Kottsieper wirkt in seinen Arbeiten so ganz anders als Karl-Heinz Bogner. Spontan fällt auf, dass sie weniger aufgeräumt sind: In heftigen Schraffuren vermitteln sie sogar den Eindruck, als seien sie das krasse Gegenteil. Aber so einfach dürfen wir es uns nicht machen, denn so flüchtig, wie wir meinen, sind diese Blätter nicht entstanden: Kottsieper sitzt Tage, wenn nicht Wochen daran, um Herr über das Geflecht zu werden. Ein Indiz dafür wird gerade in dieser Ausstellung deutlich: War der Künstler bisher in der Galerie Kränzl vorwiegend mit Zeichnungen vertreten, dominieren heute die Radierungen, die einem gestischen Automatismus schon rein technisch Grenzen setzen. Der Albert-Stuwe-Preisträger für Zeichnung aus dem Jahr 2001 Jürgen Kottspieper ist heute mit einem Lehrauftrag für druckgrafische Projekte an der Kunstakademie Münster tätig, was die Ausweitung auf den Tiefdruck auch erklärt.

Lassen Sie mich nur einige der Gemeinsamkeiten aufzählen, in denen sich beide Künstler wiedererkennen könnten. Da ist zunächst die sichtbare Konzentration auf die Arbeit, die jede Ablenkung durch einen Gegenstand vermeidet. Dann fällt auf, dass Karl-Heinz Bogner wie Jürgen Kottsieper im puristischen Linienspiel Räume, insbesondere auch Zwischenräume schaffen. Und nicht zuletzt sind auch Kottsiepers groß- und kleinerformatigen Arbeiten in der Regel ohne Titel und somit frei für einen offenen Zugang. Abgesehen davon kann man den seriellen Charakter der Werke, sprich das systematische Umkreisen eines Themas hier wie da nacherleben. Und noch eins: Die Inszenierung der Linie im Raum hat mit dem Menschen zu tun oder vielmehr mit dessen grundsätzlicher Existenz und dessen Seelenleben – bei Bogner äußert sich das dezent in den fiktiven Rückzugsräumen und in den angedeuteten architektonischen Spuren, bei Kottsieper ist es das Ringen um menschliche Gemütszustände, eine Angst zu scheitern und die Sehnsucht nach Balance oder die Suche nach Wegen, nach Auswegen.

Was ist für mich das Faszinierende in diesen Arbeiten? Schauen Sie sich einmal die übergroßen Formate der Bleistiftarbeiten an. Der Ernst, mit dem wir sie betrachten müssen, liegt auf der Hand: Gemeinhin eignet sich der Bleistift zur schnellen Strichführung auf meist kleinformatigen Papieren – für Konzeptentwürfe genauso wie für detaillierte Zeichnungen. Jürgen Kottsieper präsentiert hier drei Blätter mit einem Maß von 160 auf 110 Zentimetern – ein Format für Schlachten, monumentale Szenen. Aber nur im oberen Drittel setzt der Künstler den Stift an. Wir kennen diese Zurückhaltung aus der asiatischen Kunst, im Westen neigen wir dazu, die Formate auszufüllen – vor allem für das Zeitalter des Barock prägte sich der Begriff des »horror vacui«, des Schreckens vor der Leere, ein. Dabei müssen wir nun nicht so weit gehen, das bleistiftgraue Gewebe auf den Bildern Kottsiepers mit dem Ideal des Zen zu verbinden, der dem Nichts die höchste denkbare Position einräumt. Aber das In-sich-gekehrt-Sein, die äußerste Konzentration auf einen kleinen Ausschnitt des Papiers ist ein Akt von philosophischer Besinnung. Stellen Sie sich den Zeichner bei der Arbeit vor: Strich um Strich setzt er, theoretisch könnte er bei einem Fehlstrich radieren, würde aber auch riskieren, dass das ganze Bild damit zerstört ist. Nein, er tastet sich vor, lässt die Linien sich überschneiden, bündelt sie, lässt hier Öffnungen entstehen, wo er dort verdichtet, wählt mit Bedacht den Moment, wo jeder weitere Strich ein Schritt zu viel ist. Man muss das aushalten können! Die Arbeiten von Jürgen Kottsieper sind weit entfernt, Skizzen zu sein, sie lassen allein in den Graustufen, den die Bleistifte unterschiedlicher Härtegrade bieten, Flächen entstehen, die eine malerische Dichte erreichen, und er schafft damit Räume. Ein fast verwegener Gedanke kommt mir hier, wenn ich das Bildformat genauer betrachte: Lebensgroß, wie es im Bezug zum Menschen daher kommt, verorten wir die seismografische Strich- bzw. Linienführung in Augenhöhe, wo das Brainstorming – die Bedeutung des englischen Wortes scheint mir hier sehr angebracht – seinen Anfang nimmt. Ich will dies hier nicht überbewerten, gebe aber zu bedenken, dass wir hier eine Chiffre für das menschliche Denken sehen können.

Die kleineren Arbeiten, die Jürgen Kottsieper mitgebracht hat, sind Radierungen, die den hochsensiblen Umgang mit der Linie neu definieren. Hier entscheidet nicht der sensible Duktus des Bleistifts über das Motiv, sondern der Stichel, der sich in die Metallplatte gräbt, bevor die Linien geschwärzt und schließlich auf Papier gedruckt werden. Mehr noch als bei der Zeichnung ist hier jeder Strich eine Entscheidung. Beim Malen kann man durchaus ein wenig mogeln, man kann auch übermalen, Entscheidungen hinausschieben – die grafischen Künste, ob Zeichnung oder Radierung, bleiben hier unerbittlich. Wie vielfältig jedoch diese Medien sind, macht ein Vergleich der Arbeiten von Jürgen Kottsieper und Karl-Heinz Bogner deutlich. Bogner schafft mit der Linie gedankliche Architekturräume, Kottsieper erfindet – wenn man die gedanklichen Entwürfe zuordnet – eher Natur- bzw. Landschaftsräume. Folgen wir den komplexen Schraffuren und Strichelungen, entstehen vor unserem geistigen Auge Böschungen, an denen der Blick einbricht, wir erkennen Brücken – assoziierbar als Gedankenbrücken – , deren filigran-zerbrechliche Übergänge spürbar, nahezu greifbar werden. Bogners Räume sind fest gefügt, Kottsieper lässt sie in der Schwebe. Aber wie bei Bogner geht es nicht darum, Dinge sichtbar zu machen, sondern Zeichen, Ideen, hier auch den gedanklichen Umraum des Menschen, der allemal schwer zu durchschauen ist. Weder Bogner noch Kottsieper predigen die Leichtigkeit des Seins.

Im Fall der Kottsieperschen Kunst können wir ruhigen Gewissens noch eine Parallele zur Musik annehmen, die ohnehin mannigfaltige Beziehungen zur Abstrakten Kunst pflegt, wie übrigens auch die Architektur, um auf eine Parallele bei Karl-Heinz Bogner hinzuweisen. Udo Scheel, dessen Meisterschüler Kottsieper war, hat in einem Katalogbeitrag lapidar notiert, dieser liebe die Musik Scarlattis und Couperins. Das bedarf einer Anmerkung. Beide Komponisten, der Franzose François Couperin wie der Italiener Domenico Scarlatti, waren Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs. Couperins Suiten bestehen aus charaktervollen Stücken mit tänzerischem Charakter, der Bach genauso beeinflusste wie Maurice Ravel. Scarlattis absolut virtuose Cembalo-Sonaten lassen meist eine Zweiteilung erkennen, setzen auf Wiederholungen und Experimente. Er selbst sprach bescheiden von »Übungen«. Vieldeutig hat man seine Musik jedoch als »wilde Blumen am Zaun der Klassik« beschrieben. Da wir hier den klanglichen Beweis nicht antreten können, will ich dieses schöne Bild auch im Hinblick auf die Kunst Jürgen Kottsiepers weiter unkommentiert im Raum stehen lassen.

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