Ausstellungsbesprechungen

Eva Aeppli

„Es ist kein Werk, das es den Betrachtern einfach macht“ so Guido Magnaguagno, Direktor des Tinguely Museums über die Ausstellung „Eva Aeppli“ und spricht den vielen Besuchern aus der Seele. Eine Retrospektive dieses ungewöhnlichen Werkes scheint in vielerlei Hinsicht besonders zu sein.

Zum einen weil Eva Aeppli die erste Ehefrau von Jean Tinguely, dem Künstler, dem dieses Museum gewidmet ist, war und weil sie mit ihren „Livres de Vie“, den Lebensbüchern, nicht nur einzigartige persönliche Dokumente schuf, sondern einen interessanten Einblick gibt in die Kunst der europäischen Nachkriegszeit.

 

Am Beginn ihres künstlerischen Schaffens und zugleich der Retrospektive stehen die 15 Bände „Les Livres de Vie“, überdimensionale Tagebücher, in denen sie das gemeinsame Leben mit Jean Tinguely im Atelier Impasse Ronsin und ihre Freundschaften zu den Künstlern der animierten Kunstszene im Paris der Fünfziger dokumentiert. In Fünfzig Jahren sind fünfzehn Bücher mit rund 600 Seiten entstanden. Brieffetzen und Umschläge, Karten, Skizzen ihrer Zeichnungen und Gemälde, vor allem aber Fotos von Familienangehörigen, Freunden und Kunstwerken finden sich schön arrangiert und oftmals auch wunderbar inszeniert in den großformatigen, in Leinen gebundenen, Büchern wieder.

 

Tage der großen Freude, der Depressionen, der Alltäglichkeit und auch der Trauer finden ihren Platz. Mit Trockenblumen verziert und mit Goldstift durchzogen ist die Doppelseite im Band 12 ihres Buches: es ist der Todestag von Jean Tinguely. Eva Aeppli schreibt ein Gedicht von Rudolf Steiner in das Buch und klebt die Todesanzeige dazu, auf der anderen Seite platziert sie das Offset einer Zeichnung von Jean Tinguely. In den „Livres de Vie“ werden insbesondere die Freundschaften und Verbindungen ihres Künstlerkreises, zu denen Daniel Spoerri, Niki de Saint Phalle, Yves Klein, Jean-Pierre Reynaud, Bernhard Luginbühl, Eric Leraille und natürlich Jean Tinguely zählen, deutlich.

 

Auf die Frage weshalb sie diese Bücher geschaffen hat, bekommt man keine eindeutige Antwort, es wird behauptet, sie sei eine Meisterin des Schweigens und wenn man die Bücher intensiv studiert, erfährt man nicht viel über ihr eigenes Leben. Auffällig ist jedoch, dass in den Lebensbüchern sehr viele Werke von ihr mit dem Vermerk „zerstört“ versehen ist. Auch dieses Kapitel lässt nur Vermutungen zu. Es ist kein Geheimnis, dass Eva Aeppli sich zeitweise in schwierigen Lebensumständen befand und diese Bilder eventuell absichtlich zerstört hat, um sich der Erinnerung zu entledigen; es könnte aber auch sein, dass sie sehr selbstkritisch entschieden hat, was weiterhin zu ihrem Gesamtkunstwerk gehören soll und was nicht.

 

Viele ihrer Zeichnungen, die in den fünfziger Jahren in Paris entstanden sind, schmücken die „Livres de Vie“, sind aber auch im Original in der Ausstellung zu betrachten. Meistens handelt es sich wie bei „Les Lunettes“ um Kohle- oder Bleistift-Zeichnungen mit immer wieder dem gleichen Motiv: dürre Menschengestalten mit überdimensionalen Händen und Totenkopf artigen Gesichtern. Es sind traurige Gestalten, die von Verzweiflung, Einsamkeit und Tod erzählen. Als Kontrastpunkt sind ab und zu Blumen zu erkennen: Anemonen, die aus den Haaren wachsen oder Narzissen, die die Schlinge um den Hals schmücken; doch Fröhlichkeit oder Leben scheinen die Blumen nicht zu spenden, sie unterstreichen sogar noch die Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit der armen Gesellen.

 

Dass Eva Aeppli in den sechziger Jahren die Phase der Totenkopf-Gemälde beginnt, überrascht nicht. Totenköpfe schön angeordnet im Tangoschritt, Totenköpfe mit Blumen an Ohr und Handgelenk, Totenköpfe inklusive Skelett wild durcheinander, lachende Totenköpfe; die Serie lässt sich von lustig bis gruselig fortsetzen. Und obwohl die Gemälde künstlerisch hervorragende Arbeit zeigen, bedarf es doch ganz besonderer Umstände oder Umfelder, diese Bilder aufzuhängen. Denn wer will schon den ganzen Tag an den Tod erinnert werden?

 

Eva Aeppli bleibt bis zum Ende ihres Kunstschaffens bei Themata ihrer bisherigen Werke: Traurigkeit, Einsamkeit, Tod. In der dritten Entwicklungsphase besinnt sie sich wieder auf das Nähen. Schon einmal hat sie kleine Stoffpuppen genäht und sie an Läden verkauft, um ihre Familie zu unterstützen. Ende der Sechziger entstehen Puppen in Menschengröße, meistens mit skelettartigen Köpfen und Händen und schwarzen Gewändern. Das was als Kohlezeichnung anfing, lebt nun in Gestalt einer Puppe weiter. Düster sind die Gesellen fast immer, ob sie alleine oder in der Gruppe auftauchen. Doch einige wenige davon sind anmutig und schön wie die Figuren aus „Les 5 Roses“, was sicherlich an der in Pastelltönen gehaltenen Kleidung  und an den Rosen am Ohr liegt, denn mit langen Skelettfinger und Höhlen als Augen sind auch diese Damen ausgestattet.

 

In den Siebzigern entstehen Köpfe: einfach nur Köpfe, zuerst in Seide genäht, später gegossen, in Bronze und patiniert; es gibt sie sogar vergoldet. Doch keiner dieser Köpfe hat Ähnlichkeit mit einem menschlichen Portrait, zu außergewöhnlich, fast sogar außerirdisch sind die Züge. Und Namen wie „Die Planeten“, „Einige menschliche Schwächen“ oder „Die Sternzeichen“, die meistens einen Zyklus von mehreren Plastiken beschreiben, schwächen den Anspruch auf Ähnlichkeiten mit einem menschlichen Portrait.

 

Eva Aepplis Retrospektive ist eine spannende und voller Gegensätze. Auf der einen Seite präsentiert sie ihre „Livres de Vie“, ihre Lebensbücher, und als Pendant dazu den Tod. Das Leben, das sie mit so viel Liebe und Energie in ihren Büchern festgehalten hat, wird immer wieder von Gestalten des Todes unterbrochen. Wie sehr und warum diese düsteren Gesellen einen so großen Platz in ihrem künstlerischen Schaffen einnahmen, lässt sich nur erahnen.

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