Ausstellungsbesprechungen

Félix Vallotton

Unter den Modernen ist Félix Vallotton einer der Fremdesten, der noch mit dem Salonhaften verbunden ist – man wird nun gewahr, dass er bewusst damit spielte –;unter den Traditionalisten des späten 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende wirkt er jedoch wie ein Avantgardist, der seine Schatten vorauswirft:

Direkt zur Neuen Sachlichkeit hin, zum Verismus eines Otto Dix (dessen Porträts nicht ohne Grund in der großartigen Ausstellung in Stuttgart auch ein Vallotton-Bildnis zur Seite gestellt worden ist) über Surrealismus und Pittura Metafisica bis hin zu den jungen Realisten, die sich die ambivalenten Raumverhältnisse und die rätselhafte Figurenauffassung zueigen machen, bewusst oder unbewusst. Es ist also an der Zeit, einen der wichtigsten Schweizer Maler zu feiern, um ihn in der Ahnengalerie der Moderne zu begrüßen. Zürich machte den Auftakt mit einer breit angelegten Werkschau, die im Februar in veränderter Form nach Hamburg weitergereicht wird, und Winterthur zeigt bis in den Herbst hinein eine eigene Vallotton-Schau. Wer dazu noch die Grafiken des Künstlers aus der letztjährigen Ausstellung in Bietigheim-Bissingen in Erinnerung hat, dürfte kaum noch eine Leerstelle aufweisen, was den Überblick über Vallottons Schaffen angeht.

Obwohl Félix Vallotton der Künstlergruppe der Nabis angehörte, muss man ihn als Einzelgänger betrachten. Denn da, wo bei den Kollegen das Künstlertum, das Theatrale hervortritt, verzerrt er die Szenerie ins Komische oder er wählt Bildausschnitte, die das Formale so betonen, dass jeglicher Schwulst keine Chance mehr hat; da, wo die anderen das Erotische ins Unnahbare stilisieren, erzielt Vallotton eine Laszivität, die jede Phantasie beflügelt, oder er zeigt die Nacktheit so schonungslos, dass man sich gern abwendet. Dabei zieht er alle Register der malerischen Technik, der stilistischen Vielfalt und der Ikonografie. Gleich im Eingangsbereich empfängt den Besucher des Züricher Kunsthauses die auf das Sparsamste reduzierte Darstellung einer »Theaterloge mit Herr und Dame« – so der Titel dieses bemerkenswertesten Bildes dieser Ausstellung –, die mit einer schrägen Linie den ganzen Raum erfasst und mit den Gesichtern eines Paars und einer Hand an der Brüstung ein Stück Lebensgeschichte erzählt.

Ganz anders behandelt Vallotton die Porträts, die einmal der Realität mit dem Seziermesser abgetrotzt worden zu sein scheinen. Gertrude von Stein, die wenig entzückt war über ihr wenig geschöntes Bildnis von 1907, beschrieb die Arbeitspraxis des Malers, die einer Enthüllung gleichkam: » […] es sei wie das Öffnen eines Vorhangs gewesen […]. Langsam zog er den Vorhang nach unten, und wenn er am unteren Rande der Leinwand angelangt war, dann sah man das Ganze.« Demgegenüber beschränkte sich Vallotton auf das Wesentliche, reduzierte die Merkmale bis hin zur Karikatur wie in der Reihe der Musiker und Schriftsteller, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden: Baudelaire, Berlioz, Hugo, Verlaine, Zola und andere mehr. Streng genommen gewinnt man den Eindruck, als habe Vallotton keinen Unterschied gemacht, ob er einen Menschen oder einen Schinken vor sich hatte – die Stillleben bekommen dadurch den Hauch des Lebendigen (mit Hingabe muss er die Fleischstücke gemalt haben), die Porträts verlieren sich zuweilen ins Dinghafte, Nüchtern-Sachliche, wenn er nicht gerade die Frau als anonymes, geheimnisvolles Wesen darstellt: Die Akte sind alles andere als fleischgewordene Göttlichkeiten, nur selten wird man die gemalten Körper als schön bezeichnen – und doch oder gerade deshalb haben diese Frauen ein Verführungspotenzial, das um 1900 fast schon einen Gegenentwurf zum damaligen Geschlechterbild erkennen oder zumindest konstruieren lässt. Denn man glaubt zu ahnen, dass die dargestellten Frauen genau um die lüsternen Blicke der (männlichen) Betrachter wissen und sich in ihren scheinbar unbeteiligten Posen oder in der neckischen Selbstpräsentation über die Männer lustig machen. Der Akt, so ist im Züricher Katalog zu lesen, »liesse sich als Vorläufer eines Pin-up-Girls lesen, denn es ist ein Spiel mit der Erotik«.

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Ganz Spiel und Ironie sind auch die mythologischen Szenerien, die häufig kaum noch inhaltlich nachvollziehbar sind. Am nächsten ist Vallotton in diesem Genre den Nabis-Malern, wenn er etwa ein »Bad am Sommerabend« darstellt, bei dem er das arkadische Motiv nur noch als Schablone entwirft, oder in der »Pentheus«-Szene, die die gruselige Hintergrundsgeschichte im wilden Naturschauspiel überspielt. Wohl war der Nabis-Gruppe das Idyll schon suspekt, aber sie hielten es in Ehren hoch. Vallotton trieb es weiter bis an den Abgrund, wie der Untertitel der fulminanten Schau schon vorwegnimmt. Der klägliche Versuch der Europa, als Entführte sich am Stier festzuhalten, oder der grotesk-ballettöse Auftritt des »Perseus, den Drachen tötend« (1910) – der legendäre Drache ist zum schnöden Krokodil verkommen -, sind so gewollt komisch, dass sich beim Salonpublikum die Nasenflügel gehoben haben durften. Ganze frei ist Vallotton allerdings in diesen Mythenbildern auch nicht vor der ungewollten Komik – seine späten »Andromeda«-Arbeiten erinnern schon an den Kitsch, den sich die totalitären Staaten wenig später gern auf die Fahnen schrieben, dann aber als Heroinenherrlichkeit.

Die Ausstellung in Winterthur geht längst nicht so weit wie die Zürcher Gesamtschau, bietet dafür Vallotton »at his best«. Die Arbeiten folgen dem Blick aufs Gesamtwerk, und während man in der Villa Flora auf die mythischen Ausflüge und allemal die Entgleisungen verzichtet, gewähre die Winterthurer auch eine kleine Rundschau über die Holzschnitte und Zinkografien. Man muss hier vielleicht ein paar Abstriche machen, weil Zürich den Kollegen in Winterthur sicher das eine oder andere Stück aus Privatbesitz vor der Nase weggeschnappt hat, aber Winterthur kann damit punkten, dass Félix Vallotton selbst die Sammlung von Arthur und Hedy Hahnloser ab 1908 mitgeprägt hat. So sind einige ganz vorzügliche Arbeiten hier gelandet, sowohl von den Interieurs, für die der Maler vorwiegend bekannt geworden ist, als auch von den Landschaften. Die nüchtern-präzise Beobachtungsgabe des »Nabi étranger« erscheint hier solider eingebettet im Gesamtwerk. Man muss jedoch gestehen, dass die stellenweise gewagte Überspitzung Vallottons in Zürich, für die Linda Schädler und Christoph Becker verantwortlich zeichnen, mehr Spannung ins Werk bringen. Für beide Ausstellungen gilt, was Zürich als Motto an die Museumswand geschrieben hat: »Es wird sich erweisen. Lebenslang bin ich der gewesen, der hinter einer Fensterscheibe steht und zuschaut, wie draussen gelebt wird, und nicht mit dabei ist.«

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Die ausstellungsbegleitenden Kataloge legen beide gleichermaßen großen Wert auf ganzseitige Abbildungen, was das Blättern zum Vergnügen macht. Während der Züricher Katalog, erschienen im Scheidegger & Spiess Verlag, das Werk von der Biografie her entwickelt und mit sprechenden Kapitelüberschriften charakteristische Signale setzt (»Diskrete Blicke«, »Unterkühlte Distanz«, »Malerische Sensation«, »Schonungslose Perspektive«, »Melancholische Weiten« und »Grandes machines«), baut der Katalog für Winterthur, aus dem Benteli Verlag, ganz auf die Sammlerfamilie und die Villa Flora und stuft die Charakteristika etwas herunter, ohne darauf zu verzichten (»Der selbstsichere Zweifler«, »distanziert Nähe«, »Ideale Realität« und »Stilisierte Natürlichkeit«).
 

 

Weitere Informationen

 


Kunsthaus Zürich
Öffnungszeiten
2008: Dienstag/Samstag/Sonntag 10–18
Mittwoch bis Freitag 10–20 Uhr

Villa Flora Winterthur
Öffnungszeiten
Dienstag bis Samstag 14–17
Sonntag 11-15 Uhr

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