Ausstellungsbesprechungen

Ferdinand Hodler

Ferdinand Hodler in Stuttgart? Das ist so ungewöhnlich, dass man schon zweimal auf den Ort schauen muss, auch auf die dortige Örtlichkeit: ist es doch nicht die Staatsgalerie, die zur Hodler-Werkschau einlädt (die immerhin über eine knappe Handvoll Arbeiten des Schweizer Künstlers verfügt), sondern die Galerie der Stadt Stuttgart. Aber wen wundert es da noch, dass die Ausstellung nicht in der Alpenregion, sondern im hohen Norden, in Hamburg zum 15. Geburtstag Hodlers am 14. März 2003 konzipiert wurde; von dort aus kamen die 40 Werke in den Süden.

Figurenbilder und Porträts sowie Landschaftsbilder von kosmischen Dimensionen aus allen Lebens- und Schaffensphasen des Künstlers sind zu sehen. Daneben zeigt das Kunsthaus Zürich, eine Hodler-Hochburg, einen elementaren Ausschnitt aus dem Schaffen des Meisters: Über 70 ausgewählte Landschaften werden präsentiert, die auch schon im letzten Jahr unterwegs waren – die Ausstellung entstand in Koproduktion mit dem Musée d’Art et d’Histoire in Genf.

 

 

Hodler und sein Werk sicher zu packen, ist gelinde gesagt: schwer. Ihn packen zu wollen, ist ein faszinierendes Unterfangen. Beeinflusst vom Schweizer Spätrealismus, Symbolismus, Jugendstil und von vorexpressiven Strömungen – namentlich von seinem Altersgenossen van Gogh, von Cézanne, Munch –, außerdem befreundet mit dem Wiener Kreis um Klimt, Koloman Moser und den Architekten Josef Hoffmann, später mit Cuno Amiet – einen solchen vermeintlichen Titanen der Kunst kann man nicht in eine Schublade stecken. Doch abgesehen davon, dass ein Schweizer gottlob und dank seiner Herkunft jedem Titanenhaften abhold ist, darf man diese Personalpalette auch nicht absolut setzen oder bunter machen, als sie ist. Zunächst bewahrte die heimische Bodenständigkeit Hodler vor der weltfremden Tendenz des Symbolismus; schließlich blieb auch ein Künstler wie Vincent van Gogh in seiner Heimat verwurzelt (nebenbei bemerkt, zählte der den realistischen Schweizer Maler Albert Anker zu seinen frühen Leitfiguren): Ein Berg und ein See blieb bei Hodler immer ein Berg und ein See und eben nicht in erster Linie eine ornamentale Form oder ein bloßes Sinnbild der L’art pour l’art. Andrerseits ergriffen die Lebensreformbewegungen um die Jahrhundertwende nahezu alle Lager, die fortschrittlichen, die rückständigen, die Künstler wie die braven Normalbürger in mittleren und gehobenen Gesellschaftsschichten, sodass auch die Schweiz nicht nüchtern durch das Fin de Siècle ging.

 

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Darüber hinaus waren die bevorzugen Sujets, der Tod und die Verklärung, bei Hodler nie ästhetizistischer Selbstzweck oder morbide Freude, die die europäischen Maler und Dichter in der Nachfolge Baudelaires tatsächlich umtrieben. Es war Teilhabe aus leidvoller Erfahrung. Im Alter von sieben Jahren verlor Hodler seinen Vater, die Mutter erlag einer Tbc-Erkrankung wenige Jahre später. Die diversen Liebesbeziehungen endeten mit Trennung oder Tod – die Ehe mit Berthe Stucki etwa währte nur kurz, von 1889 bis 1891, einer Zeit, in der sich das Werk Hodlers deutlich veränderte; den Tod der krebskranken Valentine Godé-Darel schließlich verarbeitete der Sympathisant der Rosenkreuzerbewegung in einem Protokoll der Agonie. Hier ist es der ganz private Mensch, der fernab der diversen Ismen seinen Stil findet, sich vom realistischen Bezug ins relativ Formale eines rhythmischen Parallelismus flüchtet.

 

Mindestens drei Zugänge öffnen sich zu Ferdinand Hodler: einmal über den Souvenirbildchen- und Genremaler hin zum patriotischen Historienmaler – diese Linie machte aus Hodler einen Schweizer Nationalkünstler –; dann gibt es den Landschaftsmaler von kosmischer Tiefe, die Hodler zu einem der bedeutendsten Künstler am Anfang der Moderne machen; zum Dritten findet man einen Weg zu Hodlers Werk über die symbolistischen Anklänge, die den Maler kurzfristig zum alpenländischen Star unter den meist belgischen, deutschen, englischen und französischen Jahrhundertwende-Enthusiasten und innerhalb der jugendstilbewegten Wiener Sezessionskreise machte. Je nach Betrachtung erfuhr Ferdinand Hodler auch mehr oder weniger Beachtung: Die Schweizer wollten zunächst nicht so viel von ihrem Alpensohn wissen, weil er sich ohnehin europaweit bewegte – das in Genf als unsittlich abgelehnte Werk „Die Nacht“ wurde im Pariser Salon begeistert gefeiert –; die kritische Haltung zu Beginn des Ersten Weltkrieges – Hodler unterzeichnete eine Protestnote gegen die Bombardierung der Kathedrale von Reims – ließ seinen Stern in Österreich und Deutschland sinken; später schien Hodler wieder nicht international genug und wurde als Schweizer Regionalkünstler fernab seiner Heimat geschnitten – dafür prangten seine Bildmotive auf Schweizer Banknoten und Briefmarken.

 

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Die Stuttgarter Schau versucht dem Werk und dem Künstler mit einer Retrospektive gerecht zu werden, die nicht allzu viel, dafür aber Arbeiten aus allen Sparten zeigt. Die Meisterwerke aus Schweizer Sammlungen werden in der Galerie der Statt Stuttgart bereichert durch die qualitätvollen Gemälde aus der Stuttgarter Staatsgalerie. In der wohl letzten großen Ausstellung der Galerie in ihrer alten Wirkungsstätte – im Sommer eröffnet das neue Kunstgebäude – haben die Kuratoren ein bezauberndes Abschiedsgeschenk gemacht, denn selten war Ferdinand Hodler in einer solch beispielhaften Übersicht in Deutschland zu sehen. Welten scheinen den kernigen „Mäher“ (1878) und das symbolistisch schwingende Bild „Die Empfindung“ (1901/02) sowie die weit ausladenden, öffnenden Landschaftsbilder und die ergriffen-stier blickenden Selbstporträts zu trennen. Aber sowie man die vorhandenen Wechselwirkungen und Verbindungslinien ahnt, haben wir auch schon Bekanntschaft mit einem grandiosen Gesamtwerk gemacht.

 

 

 

 

Die Zürcher Schau geht einen anderen, nicht minder spannenden Weg. Die Tatsache, dass rund zehn Werke aus dem Kunsthaus freimütig nach Stuttgart entliehen wurden, macht deutlich: Zürich will in ihrer Präsentation nicht in die Breite, sondern in die Tiefe gehen. Aus den insgesamt etwa 700 (!) Landschaftsbildern haben die Ausstellungsmacher gerade mal zehn Prozent hochkarätiger Beispiele ausgewählt, die am Ende zu demselben Ergebnis kommen wie die Stuttgarter: ein Gipfelwerk der Kunst. Dabei haben die Schweizer einen (nicht nur Heim-)Vorteil, denn wenn es eine weltweit einhellige Meinung über das Schaffen von Ferdinand Hodler gibt, so ist es das Lob der Landschaftsgemälde. Einzigartig sind die gähnend leeren, aus einem „Weltoval“ (Tobia Bezzola) sich ins Bildäußere sich drehenden, letztlich hochdramatischen See- und Bergwelten. Doch in der Chronologie zeigt sich eine an sich schon fesselnde Entwicklung. Aus der Nahsicht der Bäche und Steine – die an Motive des Dichters Adalbert Stifter erinnern – schreitet Hodler weiter zu einer für ihn typischen, totalen Panoramaansicht in beeindruckender Reduktion: kaum je hat ein Maler bis dahin gewagt, die Bildmitte derart zu entleeren. Ein Schlüsselbild ist dann das rein von der Farbe her gedachte Bild „Sonnenuntergang am Genfersee“, das in Verbindung steht mit dem Tod seiner Geliebten Valentine Godé-Darel 1915.

 

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Beide Ausstellungen, die Hamburg/Stuttgarter wie die Genf/Zürcher Schau, lösen Ferdinand Hodler aus den Beklemmungen der Rezeptionsgeschichte, die sich einmal mit dem Regionalismus und Rütli-Pathos, ein andres Mal mit dem Schwülstig-Schwelgerischen schwertat. Heute, da in Europa ein wachsendes Interesse an der Kunst der Jahrhundertwende zu beobachten ist – Khnopff, Rossetti & Co. lassen grüßen –, tut ein letztlich gemäßigter Beitrag aus der Schweiz gut, der den Facettenreichtum jener Zeit unterstreicht.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

 

Stuttgart:

Dienstag – Sonntag 10–18 Uhr

Mittwoch 11–20 Uhr

 

Zürich:

Dienstag – Donnerstag 10–21 Uhr

Freitag – Sonntag 10–17 Uhr

 

Führungen

 

Stuttgart:

Mittwochs 17.00 Uhr (2 EURO)

 

Zürich:

Dienstags 12.15 Uhr

Mittwochs 18.30 Uhr

Freitags 15 Uhr

Sonntags (und Feiertag) 11 Uhr

 

Eintrittspreise

 

Stuttgart: 5,– / 3,– EURO

Zürich: 14,– / 8,– CHF

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