Ausstellungsbesprechungen

Fotosynthesen - Fotografische Arbeiten von Joachim Lischke und André Mailänder in der Studiogalerie des Saarlandmuseums, Saarbrücken , bis 7. November 2010

In der fünften Ausstellung der Reihe "Fotosynthesen" werden erneut fotografische Positionen aus der Schule Otto Steinerts, der in den fünfziger Jahren die saarländische Landeshauptstadt zu einem international beachteten Zentrum der „Subjektiven Fotografie“ gemacht hat, den Ansätzen der jüngeren Fotografengeneration gegenübergestellt. Verena Paul hat sie für PKG besucht.

Aktuell treten die Arbeiten des ehemaligen Steinert-Meisterschülers Joachim Lischke (geb. 1932) in Dialog mit den Werken von André Mailänder (geb. 1964), der Fotografie an der Fachhochschule Dortmund unter anderem bei André Gelpke studierte.

Auftakt geben rechts hinter dem Eingang zur Studiogalerie die schwarz-weißen „Luminogramme", die gänzlich abstrakten Lichtbilder Joachim Lischkes aus den fünfziger Jahren. Diese zwischen klaren Formverläufen und poetischer Verspieltheit oszillierenden Werke sind Stellvertreter für ein subjektives Verständnis von Fotokunst. „Durch die Lichtbrechungen entsteht ein von jeglichen Darstellungszwecken befreites, autonomes Lichtbild, das“, wie Ausstellungskurator Roland Augustin in seinem informativen Katalogbeitrag schreibt, „die Fotografie auf ihren elementaren Ursprung zurückführt, indem nichts anderes zu sehen ist, als fixierte Spuren des Lichts, nicht einmal die Glasscherben, sondern nur das Licht, das durch sie gebündelt wird.“ Zur Veranschaulichung wird die 1949 von Lischke umgebaute und mit Glasscherben gefüllte Balgenkamera auf einem weißen Sockel unweit der „Luminogramme“ gezeigt. Dieses „Arbeitsgerät“ lockert die Präsentation gleichermaßen auf wie die Hängung der Arbeiten, die nicht in einer endlos anmutenden Reihe dargeboten werden, sondern sich zu Gruppen zusammenfinden oder von einem Werk Mailänders wirkungsvoll unterbrochen werden. Das sich darin abzeichnende Spannungsmoment weckt die Neugierde des Betrachters und lockt zur nächsten Wand mit Aufnahmen von Menschen aus Lischkes Umgebung, etwa dem „Kolonialwarenhändler / Dalli-Mann“, der den Betrachter grimmig über das heiter erscheinende Werbeschild ansieht.

Fotografische Subjektivität artikuliert sich infolgedessen nicht nur in der gegenstandslosen Gestaltung, sondern lenkt das Augenmerk auch auf den Menschen. Dieser sogenannte „fotografische Humanismus“ gipfelte, wie Augustin erklärt, „in der wohl berühmtesten aller fotografischen Ausstellung der 1950er Jahre, der Family of Man, die Edward Steichen […] kuratierte“. Beeindruckend in Lischkes Serie ist für mich besonders die „Alte Tagelöhnerin, Neunkirchen“, die uns aus einem vom Leben gezeichneten Gesicht, das von krausem Haar umrahmt wird, nachdenklich anblickt. Ihre von harter Arbeit deformierten Hände ruhen sanft auf den angewinkelten Knien und betonen gemeinsam mit den Schultern sowie einem Holzbalken im Hintergrund die horizontalen Kraftachsen der hochformatigen Aufnahme. Ähnlich die Fotografie eines Arbeiters aus dem Jahr 1950, dessen Mund zwar ein Lächeln erkennen lässt, doch haben sich die Spuren von Arbeit und jüngster Vergangenheit – man darf nicht vergessen, dass der Krieg gerade einmal fünf Jahre zurückliegt – in die Physiognomie eingeschrieben.

Bevor die Wand endet, folgt eine Vierergruppe von Landschaft-, Architektur- und Industriefotografien, die die klare Struktur und geometrische Ordnung, das Spiel von Licht und Schatten sowie markante Aufnahmeperspektiven erkennen lassen. Schließlich folgen noch einige Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren, bei denen Lischke bisweilen den Weg zur Farbfotografie einschlägt. Über Eck geht es mit einer Schwarz-Weiß-Aufnahme weiter, mit der ein Sprung zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit gewagt wird, um uns sodann zu den Arbeiten André Mailänders zu führen. Diese überwinden subjektivistische Definition des Künstlerischen und hinterfragen mittels eines dokumentarischen „Stils“ die Lebensräume der Stadtlandschaft. Die großformatigen Fotografien Mailänders sind Stolpersteine, die uns zum distanzierten Beobachter der Gegenwart werden lassen. Paradigmatisch geschieht dies bei der Fotografie eines Nachttisches, auf dem eine schmale Gebetsbroschüre neben Taschentüchern, Medikamenten, Pflegeprodukten und einem Handy steht.

Auf einfache, aber zugleich ästhetische Weise wird zudem Einblick in unsere Kosumwelt gegeben, die wir – etwa beim Einkauf in einem Discounter – kaum noch wahrnehmen. Neben den unterschiedlichen Bildformaten Mailänders mischen sich hin und wieder Arbeiten Lischkes, die eine motivische Verbindung aufweisen, denn, so sei noch einmal Augustin zitiert, „auch in Lischkes humanistischen fotoessayistischen Bildern ist wie bei Mailänder eine Form teilnehmender Beobachtung zu erspüren, die sich in der Achtung vor der Würde des Dargestellten feststellen lässt.“

Ein echter Coup gelingt den Ausstellungsmachern meines Erachtens mit der Gegenüberstellung von Mailänders großformatigem Werk „Kasper“, einem schwarzen Hund, und Lischkes Architekturaufnahme „Haus der Gesundheit“, das links davon in kleinerem Format seinen Platz gefunden hat. Durch die Körperhaltung des Tieres, die sich der Architektur zuzuwenden scheint und die Ausrichtung des Gebäudes zu dem Lebewesen entsteht ein frappierend enger Bezug, der nicht widerspruchsvoller sein könnte. Unwillkürlich zaubert diese freche Kombination dem Betrachter ein Lächeln auf die Lippen und ist für mich Grund, nach dem Ausstellungsrundgang noch einmal zu diesen beiden Werken zurückzukehren.

In der Serie „Kulisse“, die die Präsentation beendet, untersucht André Mailänder die architektonische Verwandlung neu erbauter europäischer Stadtviertel und die künstliche Natur zoologischer Gehege, wobei er den Kulissencharakter neu auszuloten sucht. Hierzu vermeidet der Fotograf bei seinen Architekturfotografien monumentale Ansichten und richtet stattdessen die Linse seiner Kamera auf den Kontext der Gebäude, so dass eine neue Form von Landschaftsaufnahme entsteht. „In den Bildern der Serie Kulisse bekommt der Betrachter auch nicht die Gebäude von ihrer attraktivsten Seite zu Gesicht, immer durchkreuzen Straßen das Bild, immer wird monumentale Erhabenheit von deutlich ins Bild gerückten Spuren alltäglicher Geschäftigkeit als Zeichen der Unvollkommenheit durchsetzt“, so das präzise formulierte Fazit von Roland Augustin.

Resümee: Diese klug arrangierte Ausstellung in der Studiogalerie des Saarlandmuseums führt uns eine grandiose Verschmelzung von scheinbar zufälligen Alltagsbeobachtungen und ausgeklügelten, artistischen Abstraktionen vor. Dergestalt ist sie nicht nur ästhetisch, stimmungsvoll, perspektivschärfend und lebendig, sondern demonstriert darüber hinaus, dass bei allen Gegensätzen – die bei einer Gegenüberstellung zweier Fotografengenerationen unumgänglich sind – häufig eine überraschende Übereinstimmung beobachtet werden kann. Eine Präsentation, die ich uneingeschränkt empfehlen möchte!

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