Ausstellungsbesprechungen

Fragonard – Poesie und Leidenschaft, Kunsthalle Karlsruhe, bis 23. Februar 2014

Koketterie und Sensibilität kennzeichnen das Werk von Jean-Honoré Fragonard (1732–1806). Der französische Künstler gehört zu den herausragenden Meistern des 18. Jahrhunderts und ist dennoch in Deutschland bis heute kaum bekannt. Zu Unrecht, findet Günter Baumann.

Jean-Honoré Fragonard war bislang in Deutschland wenig präsent – abgesehen von den sinnlich-erotischen Werken, die den Boucher-Schüler als Hauptvertreter des französischen Rokoko auswiesen, aber auch darin sich erschöpften. Sein berühmtestes Bild ist sicher das »Mädchen mit Hund« von 1770/75, das einst wohl die pädophilen Gelüste eines privaten Auftraggebers befriedigten und später Sinnbild für die Sinnenfreuden im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts wurde. Dass diese und ähnliche Arbeiten nicht unüblich waren und den Zeitgeist sicher trafen, ändert jedoch nichts daran, dass Fragonard hier allenfalls eine, und eher die auftragsgebundene Seite seines Schaffens zeigt. Das macht die Ausstellung in Karlsruhe deutlich, die – so macht der Untertitel deutlich – die Poesie und die Leidenschaft in seinem Werk beleuchtet, die gerade in der Darstellung des selbstvergessen mit einem Hündchen spielenden Mädchens nicht zu entdecken ist.

Die rund 80 Arbeiten zeigen Fragonard in seiner ersten großen Präsentation in Deutschland als beachtlichen Maler mit einem fein empfundenen Kolorit, aber noch mehr als grandiosen Zeichner: Wenn man schon mit den sinnlichen Momenten argumentiert, wird man geradezu lustvoll den Rötel-, Kreide- und Pinselzeichnungen bis in die kleinsten Details folgen. Der Franzose gilt als einer der ersten, die die Zeichnung als eigenständige Gattung ernst nahmen. In den Figurendarstellungen wird der heutige Betrachterblick am Faltenwurf der Bekleidung eher in den Bann gezogen als durch die intimen Szenen, welche kaum noch den provozierenden Zug vermitteln können, der noch im 19. Jahrhundert die Gemüter erregen ließ. Und in der Naturdarstellung faszinieren die mal pointilistisch getupften Pinselspuren, mal selbstbewusst-dynamisch gesetzten Rötelstriche, die etwa im Wind gebeugte Gräser unmittelbar spüren lassen. Von dieser zeichnerischen Raffinesse und dem technischen Genie Fragonards her lassen sich auch die unglaublich leicht erfassten, neckischen Momente seiner Gemälde wie etwa »Die Verfolgung« oder »Die Überraschung« neu bewerten. Wer hier nur die anzügliche Motivik sieht, dem entgeht die echte sinnliche Qualität des Malers.

Nicht nur das vermittelt die Karlsruher Schau, die in ihrer Präsentation fast schmerzlich bewusst werden lässt, wie wenig bekannt Fragonard hierzulande ist – trotz seines gern aufgelisteten Namens. Denn auch in seiner Würdigung als Protagonist des 18. Jahrhunderts liegen diejenigen falsch, die verkennen, wie sehr der französische Künstler auch noch im 17. Jahrhundert wurzelt. Mit großer Sensibilität – die weit über Sinnlichkeit hinaus geht – und mit einer nachbarocken, italienisch inspirierten Leidenschaft – die eher formal als inhaltlich umgesetzt ist – spielt er mit den Stoffen der Geschichte und Mythologie. Das lässt die Erotik in einem anderen Licht erscheinen – der ästhetische Genuss überwiegt glücklicherweise die teilweise zeitgeistige Phantasie privater Gelüste, die man durchaus (noch immer) nachvollziehen kann. In Zeiten öffentlich verfügbarer Lebenslust haben sie jedoch an Brisanz verloren und können kaum mehr als apart bezeichnet werden. Fragonard kann mehr – und das ist in Karlsruhe zu sehen.

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