Ausstellungsbesprechungen

Gegen jede Vernunft – Surrealismus Paris / Prag. Wilhelm-Hack-Museum und Kunstverein Ludwigshafen, bis 14. Februar 2010

Der Surrealismus ist hinlänglich bekannt – das ist freilich nur die eine Seite unserer Erfahrung. Schaut man genauer hin, spielt sich die uns vertraute Kunst am Tellerrand zum Unbewussten hin auf vorwiegend französischem Rasen ab. Paris war die Metropole, die jene Bewegung hinter dem Ich heraufziehen ließ – wenn man die Züricher Dada Geburt außer Acht lässt. Ebenso die hinzukommenden starken Kräfte aus Spanien (Dali, Miró) und Deutschland (Max Ernst). Ganz zu schweigen vom Siegeszug der Psychoanalyse, die die Erkenntnis auf den Kopf stellte und Tiefen der menschlichen Seele aufzeigte, welche von Heerscharen von Künstlern und Dichtern wieder gefüllt werden sollten: ein Fass ohne Boden. Günter Baumann hat diese große Surrealismusausstellung in Ludwigshafen gesehen.

Jenseits der Vernunft taten sich ungeahnte Welten auf, und der Rücklauf in die geordneten Bahnen der Malerei und Grafik, Musik und Literatur verlief über unzählige Stile, was auch bedeutete, dass es genauso viele Wege wie Künstler gab. Die Entgrenzung des Bewusstseins relativiert schnell den Eindruck, die surrealistische Bewegung (von Stil oder gar Epoche kann man da nicht reden) könnte irgendwann rundum bekannt sein. Zum einen zieht sie sich bis in die Gegenwart hinein; gerade die neuen realistischen Positionen schließen sur-realistische Elemente mit ein. Zum anderen sind noch ganze Länder bzw. andere Brennpunkte zu entdecken, wie beispielsweise Tschechien, das heißt in erster Linie: Prag.

Eine groß angelegte Ausstellung in Ludwigshafen spannt nun gleich in zwei Häusern, dem Wilhelm-Hack-Museum und dem Kunstverein Ludwigshafen, einen weiten Bogen von Paris nach Prag. Über die Stadtgrenzen hinaus weiß man sich zudem im Einklang mit Heidelberg, das mit der Sammlung Prinzhorn die Verbindungen von Surrealismus und Wahnsinn auslotet, wodurch die Rhein-Neckar-Region zum »Knotenpunkt« zwischen zwei ausgeprägten Zentren des Surrealismus fungiert – so zumindest sehen das die Ausstellungsmacher. Das unterstreichen auch die Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur und der sogenannte Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, die das Projekt neben dem Hauptsponsor BASF SE fördern. Der Bedeutung angemessen war somit auch der Beitrag des Schriftstellers und Schirmherrn Pavel Kohout zur Eröffnung, der jedoch – ganz Europäer, der er ist – den Surrealismus aus dem Geiste des Dada herausarbeitete, wo man vielleicht spannende Insider-Infos über die Rolle Tschechiens erwartet hätte.

In über 300 Arbeiten erfüllen die Ludwigshafener Museen diese Erwartung der Besucher, indem sie die tschechischen Künstler mit ihren Gemälden sprechen lassen, mehr noch: Durch die schwergewichtige Einbeziehung der Fotografie beleuchtet die Megaschau einen Bereich, der selten in dieser Fülle präsentiert wird. Freilich dominiert – allein schon durch die bekannteren Namen – Paris, dessen Surrealisten-Schau von 1938 (Galerie des Beaux-Arts) teilweise für Ludwigshafen rekonstruiert wurde. Von Duchamps bis zu dem enorm einflussreichen Man Ray stehen die großen Meister Spalier, um die tschechischen Künstler in ihre Mitte aufzunehmen: Jindrich Heisler, František Hudecek, Mikuláš Medek, Emila Medková, Jindrich Štyrský, Karel Teige und nicht zuletzt Toyen (d.i. Marie Cermínová), die fast schon mit einer kleinen Werkshow gezeigt wird. Mit ihrem Lebenspartner Štyrský wohnte sie 1925-29 in Paris, und als die Nazis Tschechien besetzten, versteckte sie Heisler vor den Schergen in ihrer Wohnung. Neben Toyen und Medková stehen mit der Fotografin Unica Zürn und Dorothea Tanning weitere grandiose Künstlerinnen im Rampenlicht. Ihre Präsenz erschüttert erfreulicherweise das Bild der oft männerdominierten Surrealisten-Ausstellungen. Die reichlichen Neuentdeckungen, die die Schau ermöglicht, machen Ludwigshafen zur Fundgrube bislang verborgener Schätze. Und wann hat man schon die Gelegenheit, die Seine und die Moldau als Zufluss des Rheins zu empfinden?

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