Ausstellungsbesprechungen

Georg Herold – Multiple Choice, Museum Brandhorst, München, bis 2. September 2012

Kann man mit Dachlatten und Kaviar Kunst machen? Die Frage dürfte oft verneinendes Kopfschütteln hervorrufen. Georg Herold belehrt uns jedoch eines Besseren. Günter Baumann hat dessen postdadaistische Bilder, Objekte, Multiples und Installationen beschaut.

Man stellt ihn sich als glücklichen Menschen vor – oder als einen rastlos getriebenen Gestalter: Georg Herold scheint alles, was er in die Hände bekommt, in ein betont kunstloses und dadurch (in bestem postdadaistischen Sinn) schon wieder kunstvolles Gefüge zu bringen. Er schraubt Hölzer wie Fundstücke zusammen, und wenn sich der Bretter- und Lattenverschlag zu einer menschenähnlichen Proportion fügt, umspannt er diese Figur gern mit einer Lackfolie. Ein kleiner Kunstgriff mit großer Wirkung: mal versteigen sich die so entstandenen Gestalten regelrecht in der Luft, mal rudern sie im Liegen vergebens vor sich hin, wieder ein anderes Mal stehen sie an der Wand wie bestellt und nicht abgeholt – und bleiben am Ende, was sie ohne ihre Verkleidung waren: Holzplanken. Herold vermag im Nu inhaltlich konkret zu werden, im vage Abstrakten zu verweilen, er versteht es zugleich, gesellschaftskritisch Stellung zu beziehen und sich auf L’art-pour-l’art-Positionen zurückzuziehen – und das ohne je oberflächlich oder gar banal zu wirken. Da lässt sich wohl allein in der feinen Ironie vereinen, mit der Georg Herold den Kunstbetrieb kommentiert und thematisiert.

»Multiple Choice« ist zunächst Spiel, dann aber auch die Zelebration des freien Geistes. Wenn Georg Herold seine Kaviargemälde propagiert, muss man nur wissen, dass der ehemalige gescheiterte DDR-Flüchtling und freigekaufte politische Gefangene einige Drangsal und Entbehrung hinter sich hat, um die Brisanz des Luxusgutes aus dem Hause des – wie die Fischeierdosenaufschrift im Fundus der Ausstellungsstücke verrät – »Fischereiministeriums UdSSR« zu begreifen. Allerdings ist der Künstler Postdadaist genug, um sich polemisch zu verirren. Die Kaviarbilder sind übrigens unappetitlich genug anzusehen, so dass sich die Faszination für das edle Gut relativiert: Überhaupt rangiert der Kaviar auf selber Ebene wie jedes – natürlich nur vordergründig – x-beliebige Fundstück (unter denen auch etliche Beuys-Zitate zu erkennen sind).

Der Betrachter kann die Exponate auch als Fundstücke begreifen, denn die Ausstellung wurde nicht für einen exklusiven Ort konzipiert, vielmehr gruppieren sich die Arbeiten mal gebündelt in kleineren Räumen bzw. Durchgängen, mal sind sie in den Museumsbestand integriert, so dass man zuweilen erst an der speziellen Bodenbeschriftung erkennt, dass die einzelnen Werke zur Herold-Schau gehören. Eine wunderbare Idee, die dem Ausstellungsparcours die Leichtigkeit der Präsentation und die Flüchtigkeit der Begegnung gibt, die der Künstler einfordert. Und was gibt es nicht alles zu entdecken! Die grandiose Bandbreite reicht von der zusammengeschraubten Fünfmeter-Skulptur bis zum fotografierten Beluga-Kaviar-Ei.

Der ehemalige Polke-Schüler und langjährige Freund von Kippenberger, Oehlen u.a. nimmt dabei die Spießbürgerkultur aufs Korn, bedruckt ein Bügeleisen mit der Aufschrift »Deutsche Bügeleisen«, die so genannte Wertarbeit karikierend, oder er hängt einen Drahtbügel mit vier Klammern an ein Rehgeweih, betitelt mit »Die vier Todsünden in der Ehe«. In ganzen Serien beschriftet er Holzlattenobjekte mit teilweise mehrsprachigen Texten unter Anspielung auf nationale, soziale oder persönliche Befindlichkeiten. Herold wirft mit seinen surrealistisch-dadaistischen, fluxustauglichen und provokant-punkigen Installationen und Materialhäufungen Fragen auf, die er zur Disposition und Diskussion stellt. »Philosophie ist« betitelt er eine verschraubte Dachlattenarbeit, hütet sich aber vor einer Fortführung des gleichsam aufgeschriebenen Satzes. Assoziativ stößt er jedoch ganze Gedankenketten an, wenn er handschriftlich auf den Latten etwa notiert: »3,50« – ein Preis? ein Maß? –, übers Eck konfrontiert mit der Notiz »mehrere Millionen«; zur Mitte des Objekts hin kopfstehend die Aufforderung »Sprechen Sie« und wie beiläufig eingeschrägt die Erkenntnis »mal sehen«.

In unbändiger Fantasie erfüllt Georg Herold das Museum, selten kann man so wie hier den Ernst der Kunst mit dem Spaß der spontanen Begegnung verknüpfen, leitmotivisch zieht sich das Kaviarthema durch die Ausstellung, das so widerborstig gegen die Banalität der anderen Materialien (vom Pflasterstein bis zur Damenstrumpfhose) steht. Und zwischendurch – als Bindeglied zwischen Trivialität und Exklusivität – stemmt sich der Mensch, mal grob verleimt, mal lila oder rosa lackiert, mal »Goethe«, mal »irgendein Scheißer«, regelrecht gegen die Zeit. In sächsisch verfremdeten Reden Hitlers und Goebbels’ über die so genannte Entartete Kunst – aus einem grotesken Staubsaugerobjekt statt aus dem »Volksempfänger« – schafft Herold den Spagat von der Nazi-Vergangenheit über die dialektale Verbindung zur Ulbricht-DDR in die Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft. »Ich dachte«, so Herold, »ich bereite das Publikum langsam mal auf die Zukunft vor: Es nähert sich alles der DDR wieder an. Und man merkt das deutlich. Insofern ist das ein kleiner Vorgeschmack auf das, was man hier schon genauso findet.« 40 Jahre Herold sind in München zu bestaunen, das ist ein fulminantes Erlebnis.

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