Buchrezensionen, Rezensionen

Georg von Gayl, Christa Brand: Die geheimen Gärten von Berlin. Refugien in der Metropole, Deutsche Verlags-Anstalt 2009

Der Bildband »Die geheimen Gärten von Berlin«, der im vergangenen Herbst in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen ist, gewährt dem Leser/Betrachter Einblicke in 23 nicht öffentliche Gärten der Metropole, die so vielseitig sind wie ihre Bewohner. Vom charmanten »Laubenpieper-Garten« in Charlottenburg über beeindruckende Haus- und Villengärten in Dahlem, ideenreiche Innenhöfen in der Stadt bis hin zu prachtvollen Parkgärten an der Havel und den pittoresken Siedlungen am Müggelsee zeigt die Publikation das spannende Zusammenspiel von Architektur und der vergänglichsten aller Künste – der Gartenkunst. Verena Paul hat die im Verborgenen liegenden Paradiese in Text und Bild für Sie erkundet.

Georg von Gayl/Christa Brand © Cover Deutsche Verlags-Anstalt
Georg von Gayl/Christa Brand © Cover Deutsche Verlags-Anstalt

Wo beginnen, wenn ich schon beim ersten Durchblättern von einem Buch sagen kann, dass es mich visuell schamlos fesselt und in die Seiten hineinzieht? Nun ja, vielleicht erst einmal mit der Lektüre der Texte Georg von Gayls. In seinem Vorwort erläutert er präzise und ohne ermüdende Ausschweifungen die Stadt- und Freiraumplanung von Berlin, die im 19. Jahrhundert unter Federführung des Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné sowie des Stadtplaners Karl Friedrich Schinkel begann. Allerdings entstand parallel zu jenen öffentlichen Maßnahmen »das private Berliner Grün«. Wie die deutsche Geschichte Brüche und schmerzhafte Einschnitte erleiden musste, sind auch Wunden in Berlins Architektur, Park- und Grünanlagen gerissen worden, die lange nicht verheilen konnten. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden »ehemals bedeutende Berliner Privatgärten [...] durch Grundstücksteilungen zerstört oder verfielen in einen Zustand der Lethargie« und es entstand »genau das, was Gärtner bestrebt sind, mit ihrer jahrelangen Pflege zu vermeiden: Verwilderung, Artenverdrängung, Verlust der räumlichen Bezüge, Verfall von Bauten und Ausstattungen, Zerstörung.« Ende der siebziger Jahre engagierte sich schließlich die Berliner Gartendenkmalpflege für Sicherung, Archivierung und Wiederherstellung von Privatgärten und lässt uns heute auf ein bisweilen vernarbtes, aber doch verheiltes und irgendwie faszinierendes Erbe blicken.

Im Anschluss an das Vorwort schließen sich fünf Kapitel an, die – begleitet von den hervorragenden, stimmungsvollen Fotografien Christa Brands – eine Auswahl »Romantischer Gärten«, »Versteckter Gärten am Wasser«, »Repräsentativer Gärten«, »Refugien in der Stadt« sowie der »Historischen Gärten« vorstellen. Spannend ist hierbei zu beobachten, dass die privaten Gartenbesitzer – gleich, ob sie nun einen großen oder kleineren Garten umsorgen – das Augenmerk nicht ausschließlich auf die Pflanzen richten, sondern immer auch die Gesamtwirkung von Natur, Architektur und skulpturalen Elementen miteinplanen. Im ersten Kapitel der »Romantischen Gärten« etwa bereichert Professor Dr. Eva Preuß, die im Norden Berlins lebt, ihre grüne Oase durch zeitgenössische Glaskunst, »die mit Licht, Spiegelung und Reflexion dem Garten stets überraschend neue Akzente verleiht«, wie Georg von Gayl schreibt. »Es entstand die Idee, Haus und Garten als temporäre Plattform für Glaskunst-Ausstellungen insbesondere junger osteuropäischer Künstler zu nutzen. [...] Faszinierende Lichteffekte und das Wechselspiel von Licht und Schatten führen die Besucher während der jährlichen Berliner Glasnacht in das Reich der Glasskulpturen, Glasinstallationen und Glasobjekte«, so dass eine irritierend schöne Verschmelzung von Glas und Natur evoziert wird.

Nicht minder wirkungsvoll sind die »Versteckten Gärten am Wasser«, die durch kleine Kanäle und nicht zuletzt durch die Bezeichnung »Klein-Venedig« Erinnerungen an die Lagunenstadt wachrufen. Dabei animieren ausgefallene Bauten, wie jener japanisch anmutende, rote Teepavillon am Ufer der Müggelspree oder das sich in einen Laubmantel einhüllende Holzhaus den Betrachter zum Träumen.

Im Anschluss lockt das dritte Kapitel den Leser zu den »Repräsentativen Gärten« Berlins. Dass »[v]iele bedeutende Wohnhäuser [...] mit ihren Gärten eng mit der Berliner Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden« sind, zeigt auch die 1926 im Stadtteil Dahlem erbaute zweigeschossige Villa von Friedrich Carl Siemens. Neben den vielen Geschichten, die das Gebäude zu berichten hat, können wir heute den Erzählungen des in sehr unterschiedliche Räume unterteilten Gartens lauschen, in dem nicht nur prachtvolle Pflanzen einen Platz gefunden haben, sondern auch Skulpturen, wie beispielsweise die entspannt am Rosenbeet liegende Figur des Berliner Bildhauers Robert Metzkes.

Von einer »stattliche[n] Zahl an Rosensorten in Begleitung von Blüten- und Blattstauden« wird der Leser/Betrachter im Reihenhausgarten von Christa Bering im Ortsteil Zehlendorf empfangen. Der gerade mal 200 Quadratmeter umfassende Garten ist eines der, wie ich finde, beeindruckendsten »Refugien in der Stadt«, da er sinnlich, erfrischend, märchenhaft verwunschen, farbenprächtig und mit ganz viel Charme den Betrachter erobert.

Und schließlich die »Historischen Gärten« – ja, auch hier komme ich unweigerlich ins Schwärmen, wie zum Beispiel bei dem nahezu 2,5 Hektar umfassenden Prachtgarten der Villa Lemm im Ortsteil Gatow, der »direkt am Westufer der Havel gelegen, einer der größten Privatgärten Berlins« darstellt. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im englischen Landhausstil gebaute Villa brilliert nicht zuletzt durch die sie umgebende imposante Anlage, die »von der Abteilung Gartengestaltung der Baumschule Späth unter Carl Kempes für den wohlhabenden Putzmittelfabrikaten Otto Lemm gestaltet« wurde, wie Georg von Gayl erläutert. Nach Lemms Tod erwarb 1928 der ungarische Arzt Janós Plesch das Anwesen. »In dieser Zeit«, so fährt der Autor fort, »entwickelten sich Haus und Garten zu einem bedeutenden Ort der Berliner Gesellschaft. Künstler wie Max Slevogt und Fritz Kreisler verkehrten hier mit Albert Einstein«. Dieses reiche kulturelle Leben endete mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg residierten 23 britische Stadtkommandanten bis 1990 in der Villa, die nach deren Abzug unter Denkmalschutz gestellt wurde und fünf Jahre auf Käufer warten musste. Die heutigen Besitzer scheuen keinen Aufwand, »ein stets perfektes Bild der großzügigen Rasenflächen mit ihren malerischen Altbäumen und Staudenbeeten zu präsentieren.« Insofern sei, so der Autor in seinem spannend zu lesenden Begleittext, für »die Berliner Gartenkultur die Villa Lemm mit ihrem parkartigen Garten vorbildhaft und ein Edelstein unter den Landhausgärten dieser Stadt.« Wie intensiv sich das Besitzerehepaar mit Haus und Garten auseinandergesetzt hat, belegen unter anderem auch die aufgestellten Skulpturen zeitgenössischer Künstler. Auf dieser Weise entstand im Einstein-Jahr 2005 das Kunstprojekt »Mifgash-Herrenabend«, das eine Hommage an Janós Plesch und Albert Einstein darstellt: Die Künstlerin Dani Karavan entwickelte eine Stuhlgruppe aus Carrara-Marmor, die an die Gesprächsrunden der beiden Freunde erinnern soll. Neben Karavans Arbeit begegnen Dietrich Klinges Bronze »Großer PfuBruB« (2000) oder Anthony Craggs Skulptur »Point of View« aus dem Jahr 2002, die einen Platz im kühlen Schatten alter Bäume und – dem Werktitel entsprechend – mit herrlichem Ausblick auf die Havel fand.

Skulpturale Werke begegnen uns weiterhin in der 1907 von Hermann Muthesius erbauten Jugendstilvilla im Ortsteil Nikolassee. Die auf einer schlichten Plinthe positionierte Frauenbüste »Zwei Gesichter« des polnischen Bildhauers Karol Broniatowski wird von einer bunten Staudenrabatte umrahmt und belebt den Charme dieses Gartens, der an englische Gärten erinnert. Nicht verwunderlich, denn die Besitzerin Dr. Danuta Godfryd ließ sich von der Lektüre Vita Sackville-Wests inspirieren, die in Sissinghurst Castle in Kent einen weltberühmten Garten angelegt hatte. Durch Godfryds »starke Beobachtungskunst und die gewonnene Erkenntnis, dass die Gartenkunst die vergänglichste aller Künste ist, pflegt sie ihren Garten zumeist selbst und achtet streng darauf, dass dieses kostbare Erbe von Hermann Muthesius erhalten und gewahrt wird«, so der Autor.

Fazit: Die Deutsche Verlags-Anstalt legt mit »Georg von Gayl, Christa Brand: Die geheimen Gärten von Berlin« einen beachtenswerter Bildband vor, der durch informative, sprachlich erfrischende Texte, qualitativ hochwertige, sinnenfreudige Fotografien, klare Struktur sowie eine sehr gute Objektwahl überzeugt. Obwohl die Investition von 49,95 Euro sicherlich überlegt sein möchte, so ist – wie ich glaube – dieses Buch jeden Cent wert und wird den Garten-, Architektur- und Kunstbegeisterten in den Bann ziehen. Ein Buch, das ich verschlungen habe und immer wieder gerne in die Hand nehme, um für kurze Zeit den tristen Alltag abzustreifen und zu historisch spannungsreich sich entwickelten, farbentrunkenen, märchenhaften, eben jenen »geheimen Gärten von Berlin« aufzubrechen.

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