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Gerd Blum: Giorgio Vasari. Der Erfinder der Renaissance. Eine Biografie, Verlag C.H. Beck 2011

Es mussten schon sehr verschiedene Talente mit überaus günstigen Umständen zusammentreffen, um den Künstler und Kunstschriftsteller Giorgio Vasari (1511 – 1574) zu einer der prägenden Gestalten einer Zeit werden zu lassen, der es an Genies nun wirklich nicht fehlte. Bis heute ist er als Autor der ersten Kunstgeschichte (den Biografien zahlreicher Künstler von Cimabue bis Michelangelo), der Architekt der Uffizien sowie zahlreicher Gemälde und Fresken bedeutend. Stefan Diebitz hat Gerd Blums schöne Biografie des großen Mannes für PKG gelesen.

Es ist keine kleine Leistung, ein derart reiches Leben wie jenes des Giorgio Vasari auf 264 Seiten zu erzählen, ohne Wesentliches fortzulassen oder zu überspringen. Blum gelingt dieses Kunststück, weil er sich ganz auf das Werk des überaus vielseitig begabten Mannes konzentriert und auf dessen für das Thema ganz unergiebiges Privatleben nur beiläufig eingeht. Er schildert ihn als Bürger zweier Welten, als janusköpfige Gestalt, einerseits noch dem Mittelalter verpflichtet, andererseits der erste Propagandist der Autonomie der Kunst. Ein weiterer Widerspruch: Er war ein Verkünder des Individualismus, der glänzend zu organisieren verstand.

Das Besondere an Vasaris Ausbildung lag zunächst in ihrer Zweigleisigkeit. Er besuchte eine sehr gute Schule und erhielt so eine solide humanistische Bildung, ging aber, nachdem man erst einmal das zeichnerische Talent des Zehnjährigen entdeckt hatte, noch in seinem Heimatort Arezzo auch bei einem Maler in die Lehre. Allerdings war diese Lehre nicht so lang und nicht so tiefgründig wie bei vielen anderen Künstlern, so dass er später durchaus technische Defizite besaß, die von seinen Kritikern nicht übersehen wurden. Aber seine sehr gründliche literarische Bildung zusammen mit seinem Wissen um das Handwerk und die Bekanntschaft mit bedeutenden Künstlern seiner Zeit (an erster Stelle muss natürlich Michelangelo genannt werden) boten die Voraussetzung dafür, dass einer wie er seine »Viten« überhaupt schreiben konnte, die er in Rom als Günstling des Kardinals Farnese verfasste, um sie später dem Medici-Herzog Cosimo I. zu widmen.

Selbst in dieser Zeit – der Epoche der großen Individuen und einsamen Genies – arbeiteten nur wenige Künstler und Autoren wirklich allein und für sich; Raffael zum Beispiel stand einer großen, effektiv arbeitenden Werkstatt vor, und Vasari bewunderte eben diese professionelle Effektivität. Er selbst besaß als Architekt, aber auch als Künstler und Autor zahlreiche Zuarbeiter und Helfer, ohne deren Mithilfe er weder seine Ausmalung des »Saals der hundert Tage« so schnell fertigzustellen noch das gewaltige Werk der »Viten« mit seinen über tausend Seiten zu recherchieren und zu schreiben vermocht hätte.

Mit der pünktlichen Fertigstellung des »Saals der hundert Tage« (benannt nach der benötigten Zeit) demonstrierte Vasari ein erstes Mal, dass und wie er zu organisieren verstand und wie energisch er ein Projekt vorantreiben konnte; dazu zeigte es ihn als den Schöpfer von Bildprogrammen, mit deren genau durchdachten Komplexität er auch später, in seiner Florentiner Zeit, zu beeindrucken wusste. Allerdings erfuhr er auch Kritik, nicht zuletzt von Michelangelo, der auf den Hinweis der (im Vergleich zu seinem eigenen Arbeitstempo) rasanten Fertigstellung nur trocken »Das sieht man!« geantwortet haben soll.

Trotz der Uffizien, doch immerhin eins der bekanntesten europäischen Bauten überhaupt, und trotz seiner bedeutenden Fresken wird mit Vasari zunächst immer seine schriftstellerische Arbeit verbunden. Und wohl zu Recht, denn mit seiner Biografien-Sammlung hat Vasari unser Bild nicht allein von der (Kunst-) Geschichte der Zeit, sondern unser Bild der Epoche insgesamt bis heute geprägt. Er war der führende Kopf bei seiner Abfassung, aber nicht der Einzige, der daran arbeitete, und so nennt Blum die »Viten« »das Werk eines Kreises gelehrter Medici-Höflinge«: »Vasari und seine Berater kompilierten und komponierten aus mündlich kursierenden Überlieferungen und Künstleranekdoten, aus archivalischen Akten und teils autobiographischen Aufzeichnungen von Künstlern eine Summe der Kunsttheorie und zugleich eine bis heute weithin kanonische Geschichte der Kunst«. Heute würde man Vasari einen Teamarbeiter nennen – er war es auch als Architekt und Künstler –, aber Blum spricht in einer den Geist der Zeit zweifellos besser treffenderen Terminologie von der »Geburt der Kunstgeschichte aus dem Geist des Symposiums«.

Ein Grundgedanke Blums besteht in der Parallelisierung von Michelangelos »Jüngstem Gericht« und den »Viten«, in denen Vasari gleich dem verehrten Meister drei religiös begründete Epochen kennt (vor und unter dem Gesetz sowie unter der Gnade). Denn Vasari war ein Mensch einer Übergangszeit, und er war trotz seiner Modernität immer noch stark von mittelalterlichen Vorstellungen geprägt. Eben dies zeigt sich an der Gliederung der »Viten«, die sich an typologischen Vorstellungen orientieren. Typologisches Denken begreift Geschichten des Alten als Vorhersagen und Vorwegnahmen des Neuen Testaments, und dieses Denken, das im Mittelalter sich vielfach auch in der Literatur findet, wurde mehr und mehr auch auf außerbiblische Vorgänge übertragen. Später, bei der Ausmalung des »Salone del Cinquecento« (dem riesigen »Saal der Fünfhundert« in Florenz), stellte Vasari zum Beispiel den Krieg der Republik gegen Pisa als »unvollkommene Vorwegnahme der durch die vollkommene Kriegkunst des Herzogs in so viel kürzerer Zeit gelungenen Einnahme von Siena« gegenüber. Ein solches typologisches Geschichtsmodell prägt ebenso die Gliederung der »Viten«, deren Gliederung zusätzlich von Zahlenmystik bestimmt wird und in der Apotheose des göttlichen Michelangelo gipfelt, dessen Biografie das gewaltige Werk beschließt.

Mittelalterliche Vorstellungen finden sich noch in seinem letzten vollendeten Werk, den Fresken im Florentiner Dom. »In einer für Vasari charakteristischen Weise«, schreibt Blum, »verbindet das Fresco die neuen Möglichkeiten der Reniaissance-Perspektive und des Illusionismus mit einer diagrammartigen hierarchischen Disposition, die auf die Bildsysteme der mittelalterlichen Mosaiken zurückgeht – auf holistische Systeme, die ebenso die Geschichte als auch die Gesetze der Heilsgeschichte zu verbildlichen suchten«. Überhaupt war er als römischer Künstler wie als Humanist ein Vertreter des Disegno, also im Grunde ein intellektueller Konzeptionskünstler, ein Mann, der entwarf und Bildprogramme zusammenstellte, so dass ein von Vasari gestalteter Raum immer zu einem sinnvoll aufeinander bezogenen und entsprechend komplexen Ineinander von Architektur und Malerei wurde, für das man viel wissen musste oder muss, um es zu verstehen.

Es gehört zu den vielen diesen Mann prägenden Widersprüchen, dass er zwar die Figur des selbstbestimmten Künstlers, für die in den Viten Michelangelo steht, als das autonome Ich ausrief, selbst aber ein Höfling war, der sich nach einer Einstellung als Hofkünstler sehnte und streckte und sich in dieser Funktion, ganz anders als sein großes Vorbild, vollkommen unterordnete.

Gerd Blums Buch über Leben und Werk Giorgio Vasaris ist eine zwar unspektakuläre und das Thema verhältnismäßig knapp, aber erschöpfend behandelnde Arbeit, die wegen ihrer schön dahinfließenden Prosa, ihren genauen, sich nie im Detail verlierenden Beschreibungen der Werke Vasaris und natürlich den immer substanziellen Erläuterungen dieser Werke gar nicht warm genug empfohlen werden kann. Ich habe die Lektüre jederzeit als belehrend empfunden, und trotzdem war sie ein Genuss.

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