Ausstellungsbesprechungen

Gert Fabritius - Dem Absurden ins Auge sehen, Museum im Kleihues Bau, Kornwestheim, bis 25. Juli 2010

Die Jubiläumsausstellung stellt die zwölf Tagebücher des heute 70-jährigen Holzschneiders, Zeichners und Malers aus dem letzten Jahrzehnt in den Mittelpunkt. Gert Fabritius rezipierte in seinen Werken vielfätig das europäische Literaturerbe. Albert Camus, Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Eugène Ionesco oder aber Oskar Pastior, Erich Fried, Rainer Malkowski und viele andere Dichter und Schriftsteller sind mit kalligrafierten Zitaten in den Tagebüchern festgehalten. Im Zusammenhang mit den Bildern geben sie den kulturhistorischen Hintergrund für die künstlerische Bewältigung menschlicher Daseinsproblematik. Günter Baumann hat sich die Schau angesehen.

70 Jahre alt und doch so jung wie eh und je tritt der Künstler Gert Fabritius hinter seinem Werk hervor, spielt augenzwinkernd mit seiner eigenen Vita, mit der mythischen Gestalt des im Labyrinth (seiner selbst) gefangenen Stiermenschen Minotaurus und mit dem legendären aufmüpfigen Sisyphos, den der Philosoph Albert Camus zum Inbegriff des modernen Kämpfers mit dem Absurden, das heißt gegen das sinnlose und zugleich für das beglückende Absurde des menschlichen Lebens gemacht hat. In monumentalen Holzschnitten, die in vollen Zügen ein existenzialistisches Bildprogramm entwickeln, und einem mittlerweile zwölf Bände umfassenden persönlichen Bildtagebuch, das zugleich ein ironisches Gegenbild dazu entwirft, zeigt uns Fabritius einen ganzen Kosmos, der seine Wurzeln nicht zuletzt in seiner siebenbürgischen Heimat hat.

1940 in Bukarest geboren, arbeitete Fabritius nach dem Kunststudium zunächst als Presse- und Buchillustrator – noch heute haben etwa die Bilder zu Kafkas »Hungerkünstler« (1965) nichts an Eindringlichkeit verloren – sowie als freier Künstler, bis er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Die Liste seiner Auszeichnungen und Ausstellungen ist lang, doch es ist zu beobachten, dass sein Werk erst in den vergangenen 15 Jahren angemessen gewürdigt worden ist, was sicher auch einer atemberaubenden Schaffenskraft geschuldet ist, die im Pensionsalter des ehemaligen Kunsterziehers in Ostfildern eher noch zugenommen hat.

Gert Fabritius bedient sich einerseits literarischer Zitate, andrerseits einer spezifischen Ikonografie, um bevorzugt in der Technik des Hochdrucks sein existenzialistisches Weltbild darzulegen. Von Walther von der Vogelweide bis Oskar Pastior reicht sein Fundus an Quellen, von der Mythologie und der Bibel ganz zu schweigen. Wer es ihm jedoch besonders angetan hat, ist der genannte Albert Camus, aus dessen Werk nicht nur der Ausstellungstitel »Dem Absurden ins Auge sehen« stammt, sondern der dem Mythos des Sisyphos neu interpretiert und auf unser Dasein gelegt hat: Ihm ist es gelungen, die Strafe des immerwährenden vergeblichen Steinewälzens in einen Triumph gegen die Götterwelt umzumünzen und mit dem Glücksmotiv zu verbinden. Nicht ohne Witz paraphrasiert Fabritius diesen Akt der Selbstbestimmung im unausweichlichen Geschick: »Wenn Sisyphos auf dem Berg steht und dem Stein nachsieht, der ihm gerade wieder entglitten ist und hinunterrollt, so freut er sich zunächst über die schöne Aussicht.« In freier Anlehnung an Samuel Beckett weiß Fabritius auch: »Wenn schon scheitern, dann immer besser und leichter scheitern« – und er lässt seinen Sisyphos behände über den Stein springen: ein genialer künstlerischer Affront gegen die herkömmliche Ikonografie. Die verwandelt der Holzschneider in privat-mythische Chiffren: Neben seinen Protagonisten, die er auch mal in einen Minosisyphos in eins führt, tauchen in seinem Œuvre zum einen die Bilder des Schiffs bzw. ausdrücklich der Kogge sowie des Stuhls und der Leiter auf, die beide vielfältige kulturhistorische Verknüpfungen zulassen, zum anderen gestische Ausdrucksformen wie dem Sprung und der Abwehr. Wiederaufgegriffen werden hier auch die Objekte, die in vergangenen Jahren – teilweise gemeinsam mit seiner Frau Eva – entstanden sind, im Verbund mit neuen Installationen, die zeigen, dass Fabritius der Druckstock allein nicht mehr genügt, um all das zu sagen, was er zu sagen hat.

Die Ausstellung in Kornwestheim bietet einen Querschnitt durch das großartige Schaffen des Künstlers, das auch viele, bislang noch nicht in der Öffentlichkeit präsentierte Arbeiten umfasst. Es ist die Bilanz eines Lebens, die auch nach 70 Jahren zum Sprung nach vorne einlädt.

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