Ausstellungsbesprechungen

Goya. Die Schrecken des Krieges – Sammlung Bönsch, Landesmuseum Schloss Gottorf Schleswig, bis 26. November 2017

Die vollständige Folge der »Desastres de la Guerra« wird vom Spätsommer bis in den Herbst im Kreuzstall des Schleswiger Schlosses gezeigt – eine seltene Gelegenheit, einen der berühmtesten Zyklen der Kunstgeschichte im Original anzuschauen. Stefan Diebitz ist nach Schleswig gereist.

Es ist der Großzügigkeit zweier privater Stifter zu verdanken, dass das Landesmuseum in diesem Herbst wie auch in den folgenden Jahren in Sonderausstellungen Meisterwerke besonders des Impressionismus präsentieren wird, denn das Ehepaar Hans-Joachim und Elisabeth Bönsch hat sich mit dem Landesmuseum darauf geeinigt, in den nächsten dreißig Jahren je eine Sonderausstellung aus dem reichen Bestand der Stiftung zu bestreiten und in einem Katalog zu dokumentieren. Den Anfang machte im vergangenen Jahren eine »Ouvertüre« genannte Überblicksschau, und jetzt wird die Reihe der Sonderausstellungen mit Goyas großem Zyklus der »Desastres de la guerra« eröffnet, also mit einem Werk, das noch vor dem Impressionismus liegt.

Die 80 Radierungen fertigte Francisco de Goya zwischen 1810 und 1814 ursprünglich im Auftrag des spanischen Hofes an, der aber wohl anderes erwartete als eine hochartifizielle, kaum parteigebundene, dazu aber sehr, sehr drastische Dokumentation von ausgesuchten Grausamkeiten aller Art. Goya selbst erlebte und überwachte noch den Druck einzelner Blätter, aber die gesamte Folge wurde erst 1863 erstmals gedruckt, 35 Jahre nach seinem Tod. Es folgten noch insgesamt 6 Auflagen nach den Originalplatten, die dafür »verstählt« wurden, um das weiche Kupfer widerstandsfähiger zu machen. Die Blätter der Schleswiger Ausstellung stammen aus der zweiten Auflage, als die Druckplatten noch frisch waren.

Goya hat alle Blätter mit zwei verschiedenen Techniken gearbeitet, Radierung und Aquatinta, die von Hans-Joachim Mocka im Katalog detailliert und fachgerecht auch mit Blick auf ihre künstlerische Bedeutung erläutert werden. »Man kann sagen, die feine Radiernadel, die sich auf dem glatten Kupfer unter der Grundierung bewegt, agiert noch sensibler als eine Stahlfeder auf Papier. […] Für die Dramaturgie war die Aquatinta zuständig. Sie sorgt für die Licht- und Schattenmalerei und inszeniert so das Geschehen.«

Der Zyklus ist keine Dokumentation – das wird an allem deutlich, an der Artifizialität und Durchdachtheit der einzelnen Szenen wie an den Beschriftungen der Bilder und endlich an ihrer Zusammenstellung zu einem Zyklus. Alle Blätter sind durchnummeriert, und man muss sie auch von links nach rechts lesen, insbesondere wenn man die lakonischen Kommentare des Meisters verstehen will.

»Krieg«, »Hunger« und »Allegorien« sind in Schleswig die drei Kapitel zu 47, 17 und 16 Blättern überschrieben. Schon das macht deutlich, dass es sich um einen komponierten Zyklus, nicht aber um eine Reportage handelt, wenngleich natürlich die Erfahrung einer bitteren Realität die Grundlage sämtlicher Arbeiten ist. Es beginnt mit den »Bitteren Vorahnungen (tristes presentimientos) kommender Ereignisse« und kulminiert in den letzten beiden Blättern, die niemandem sonst als der Personifikation der Wahrheit gewidmet sind. Dazwischen findet ein Festival der Grausamkeiten statt.

Numero 79 stellt fest »Die Wahrheit ist gestorben«, das letzte und abschließende Blatt zeigt die Wahrheit in einer Gloriole, als sei sie die Heilige Jungfrau auf dem Weg ins Himmelreich, und schließt mit einem Fragezeichen: »Wird sie wieder auferstehen?« Auf beiden Blättern wird die Wahrheit von einem zum Betrachter hin offenen Halbkreis von dunklen, teils verhüllten Gestalten umringt, der auf dem zweiten Blatt ganz von dem Licht der Wahrheit überblendet wird. Wird die Wahrheit auf dem vorletzten Blatt von einem Bischof, dessen Linke segnend erhoben ist, in die Erde gebettet – ein altes Mütterchen, so sieht es aus, will gleich mit einem Spaten Erde auf sie schaufeln –, so scheinen die nicht mehr zu identifizierenden Gestalten des letzten Blattes erschrocken über das blendende Licht, das von ihr ausgeht. Ein missgestaltetes Wesen mit einer Art Schweinskopf hebt ein aufgeschlagenes Buch weit über seinen Kopf, ein anderes, bereit zuzuschlagen, scheint einen Knüppel zu schwingen: eine Trauergemeinde sieht wohl anders aus, es muss sich wohl eher um die Mörder der Wahrheit handeln. Aber ob diese wieder aufersteht? Wir wissen es nicht, und Goya wusste es ja auch nicht.

Besonders wichtig sind die Unterschriften der einzelnen Blätter von der Hand des Meisters – ohne Ausnahme sehr gut lesbar. Trotzdem sind sie alle nicht leicht und schon gar nicht sofort verständlich, und das liegt an ihrer kaum noch zu steigernden Lakonik. Blatt 36, das auch das Ausstellungsplakat ziert, zeigt einen Gehenkten, zu dem ein sitzender (französischer?) Offizier aufschaut. Offenbar freut ihn, was er sieht. »Tampoco« (»auch nicht«) ist das Blatt unterschrieben, und das muss so lange unverständlich bleiben, wie man das vorhergehende Blatt und seinen Kommentar nicht zur Kenntnis genommen hat. »Man weiß nicht, warum« heißt es dort unter der Abbildung von acht Hingerichteten. Noch ein weiteres Mal zurückgeblättert, findet man eine Leiche vor dem Pfahl der Garotte, ein Kreuz in der Hand, und der lakonisch-unverständliche Kommentar lautet einfach nur »Wegen eines Messers«.

Eine Schilderung dieses Blattes findet man bei einem großen Autor. Lion Feuchtwanger erzählt, wie Goya in Südspanien die grausame Hinrichtung eines berühmten Räubers erlebt, und hat sich dafür offensichtlich von dem betreffenden Blatt aus den »Desastres« inspirieren lassen: »Sehr sichtbar jetzt für alle in der grellen Sonne war das Gesicht des toten Mannes, verzerrt, bläulich angelaufen, inmitten des wirren Bartes, die Augen verdreht, der Mund offen mit hängender Zunge. Goya wußte, er werde sich dieses Gesicht jederzeit wieder vor Augen rufen können.«

Natürlich liegt der Vergleich mit den Blättern Jacques Callots nahe, die der Künstler des frühen 17. Jahrhunderts mit »Die großen Schrecken des Krieges« überschrieb und die Goya sicherlich kannte. Anders als Goya hat Callot in Gedichtform kommentiert, und die lyrischen Zeilen unter dem Bild sind viel ausführlicher als die kargen Bemerkungen des spanischen Meisters, formulieren eine Moral und stellen das Geschehen so in einen Sinnzusammenhang, der bei Goya vollständig fehlt. Zusätzlich stellen sie sich auch noch zwischen die Szene, die auf diese Weise fast zu einer Bühne wird, und den Betrachter, der davor sitzt wie der Besucher eines Schauspiels. Deshalb ist das Geschehen auf Goyas Radierungen dem Betrachter viel näher und damit bedrängender, und außerdem ist es nicht mit der unfassbaren Präzision Callots, des »Meisters des Diminutiven« (Bernd Schuchter), gestichelt, sondern vor allem enorm expressiv und dazu viel weniger eindeutig: eben das macht die Modernität dieser Blätter aus, die mit ihrer Ambivalenz auf spätere Zeiten vordeuten.

Im Grunde schreit auch alles nach einer Wirkungsgeschichte dieser Blätter, denn man findet sich an ungemein viele Arbeiten der verschiedensten Künstler erinnert. In einem Fall dachte ich sogar an Wilhelm Busch, in mehreren anderen – den Allegorien mit den Tierabbildungen – an A. Paul Weber.

Der Katalog zur Ausstellung bringt nicht allein die 80 Blätter des Zyklus mit einer Übersetzung der Unterschriften, sondern bildet zusätzlich noch drei Ölgemälde Goyas ab. Das alles wird ergänzt von dem bereits angesprochenen Text Mockas, der, von Farbfotos unterstützt, die handwerkliche Seite der Techniken erläutert. Schließlich ist der Leser dankbar für ein kurzes, aber sehr konzises Vorwort von dem Kurator Thomas Gädeke, in dem dieser nicht allein Goya in die Kunstgeschichte einordnet, sondern auch Erläuterungen oder besser Bildbeschreibungen zu den einzelnen Radierungen hinzufügt.

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